Cash für die Arbeit am Wiederaufbau
Wie kann humanitäre Hilfe nach Naturkatastrophen effizient eingesetzt werden? Die Schweiz setzt nach den Überschwemmungen in Pakistan auf die schnelle und direkte Verteilung von Geld – mit einem Konzept, das international Schule macht.
Ungewöhnlich grosse Monsun-Niederschläge und schmelzende Gletscher haben im Sommer 2022 weite Teile Pakistans unter Wasser gesetzt: 33 Millionen Menschen waren von der Katastrophe betroffen, gemäss offiziellen Angaben kamen rund 1700 Menschen ums Leben. Die Schäden an Infrastruktur und Landwirtschaftsflächen sind immens.
Rasche humanitäre Hilfe war das Gebot der Stunde. Regina Gujan, Programmbeauftragte der Humanitären Hilfe der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), befand sich vor Ort im Swat-Tal, in der nördlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Obwohl die Provinz nicht so hart getroffen wurde wie andere Landesteile, seien die Schäden auch hier gravierend, so Gujan.
Neben dem Expertenteam aus der Schweiz sind vor allem lokale Hilfskräfte im Einsatz. Ging es zunächst um die Beseitigung von Schlamm, Schutt und Geröll, kamen danach Instandsetzungsarbeiten dazu. So wurden mehrere Schulen und Fussgängerbrücken repariert oder neu gebaut, sowie mehrere Kilometer Wasserleitungen wieder instandgesetzt. Die Schweiz hat für die Hilfe in Pakistan insgesamt drei Millionen Franken bereitgestellt.
Arbeitende Männer werden mittels eines Cash-for-work Ansatzes für die Instandstellung von Zugangswegen entschädigt. Die Unterstützung mit Geldleistungen (Cash) ist ein Konzept der humanitären Hilfe, das heute in unterschiedlichsten Formen vermehrt angewandt wird. Die Schweiz hat dabei eine Pionierrolle inne.
«Jede Notlage ist anders»
In einem ersten Schritt habe man sich mit den Dorfgemeinschaften abgesprochen, um die dringendsten Bedürfnisse einschätzen zu können, sagt Gujan. Und um zu sehen, wie viele Männer mitarbeiten können: «Danach haben wir mit den lokalen Behörden die Höhe der Tageslöhne festgesetzt.» Diese seien vorerst auf ein paar Wochen beschränkt, doch deren Nutzen sei unmittelbar sichtbar gewesen: Rund 13’000 Menschen – die Tagelöhner und ihre Familien – hätten durch das Cash-for-work-Programm schnell und unkompliziert Zugang zu Geld erhalten.
Solche Programme sind das Resultat eines Umdenkens in der humanitären Hilfe. Die zugrundeliegende Idee ist einfach: Die Betroffenen wissen selber, was sie am meisten benötigen und wie sie am besten ihre Bedürfnisse abdecken. Weg von der logistisch aufwendigen Hilfe mit Hilfsgütern, hin zur individualisierten Hilfe mit Finanzmitteln also. Diese ist nicht nur für den einzelnen effizienter, sie wirkt sich auch positiv auf die lokalen Märkte, weil so rasch Geld in Umlauf kommt. Auch im Swat-Tal habe sich dieser Effekt eingestellt, sagt Gujan.
In anderen Landesteilen, die aktuell noch mit dem Wasser zu kämpfen haben, macht diese Art von Hilfe vielleicht noch nicht Sinn. Die humanitäre Hilfe muss sich immer dem lokalen Kontext anpassen, denn jede Notlage ist anders, so Gujan. Cash-Programme etwa funktionieren nur, wo es einen funktionierenden Markt gibt. Und wo auch die Verteilung möglich ist: Entweder mit Banktransfers, Kreditkarten oder mittels digitaler Lösungen wie mobile money. Diese elektronische Zahlungsform kann mit mobilen Geräten verwendet werden und ist etwa in Ostafrika ein weitverbreitetes Instrument. Bargeld wird nur noch in Ausnahmefällen ausgehändigt.
In den letzten fünfzehn Jahren hat der Anteil entsprechender Programme zugenommen, heute macht er etwa ein Fünftel der globalen humanitären Hilfe aus und betrug im Jahr 2021 knapp sieben Milliarden Dollar.
Wichtiger psychologischer Effekt
Die Schweiz hat erste Cash-Projekte bereits in den 1990er-Jahren umgesetzt, erstmals im Kontext der Balkan-Kriege. Seither hat sie mehr als dreissig solche Projekte implementiert, die zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren dauern, sagt Stefan Bumbacher. Er ist Programmbeauftragter für «Cash and Voucher Assistance» bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Bern, welche Cash-Projekte finanziert und umsetzt.
Je nach Ziel wird ein Cash-Projekt unterschiedlich aufgebaut. Eine spezielle Art sind Cash-for-Work-Projekte. «Diese verfolgen grundsätzlich zwei Ziele, die einander verstärken sollen: Einerseits werden Betroffene unterstützt, andererseits kommt die Aktion der Gemeinschaft zugute», sagt Bumbacher. Sie sind also mit Bedingungen verknüpft, wie bei den Aufräumarbeiten im Swat-Tal.
Wichtig ist auch der psychologische Effekt: Die Betroffenen kriegen Entscheidungsmacht und sind nicht blosse Hilfsempfänger. Durch die Selbstbestimmung erhalten sie ein Stück Normalität zurück, was insbesondere nach traumatisierenden Ereignissen wichtig ist.
Deshalb sollten solche Programme nicht alleine durchgeführt werden, sondern in Kombination mit weiteren Massnahmen. «Das können psychosoziale Aktivitäten sein, die Integration von marginalisierten Minderheiten oder der Einbezug von Frauen im Arbeitsmarkt», so Bumbacher.
Dies wird insbesondere in einem zweiten Schritt wichtig, nachdem die akute Phase der humanitären Hilfe erfolgt ist, etwa bei intern Vertriebenen. Das könnte nun auch in Pakistan zutreffen: Gemäss Regierungsangaben sind rund acht Millionen Menschen von den Wassermassen vertrieben worden, von denen viele ihre Lebensgrundlage verloren haben und vielleicht kaum je zurückkehren können.
Die grösste Herausforderung in der humanitären Hilfe ist häufig die Beschaffung finanzieller Mittel. Das ist auch jetzt so: Die pakistanische Regierung schätzt die Zerstörungen auf dreissig Milliarden Dollar – die internationalen Zusagen decken bisher jedoch nur einen geringen Teil davon ab. Die drei Millionen der Schweiz steuern exakt einen Zehntausendstel bei.
Globaler Einsatz der Schweiz
Die Schweiz setzt nicht nur eigene Projekte um, sondern tritt auch als Geldgeberin bei Partnerorganisationen auf, die solche «Cash and Voucher Assistance» durchführen. Das können lokale NGO sein, UNO-Organisationen oder auch das IKRK. Zudem ist die Schweiz auf organisatorischer und institutioneller Ebene tätig: Durch einen Pool von 60 Fachleuten stellt sie Partnerorganisationen ihre Expertise zur Verfügung, momentan etwa in Nicaragua, Sri Lanka und Simbabwe (via WFP), Ungarn (via IFRC) oder am Hauptsitz (via IKRK, UNFPA und IOM). Auf globaler Ebene setzt sie sich in Foren und Arbeitsgruppen dafür ein, solche Projekte zu stärken und weiter innerhalb der humanitären Hilfe zu etablieren und auszubauen.
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