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Tiny Häuser haben es in der Schweiz schwer

Die Familie vor dem Tiny House
Ester Unterfinger/swissinfo.ch

In der Schweiz sind sie (noch) Exoten: Marlies und Moni wohnen mit Kleinkind und Hund auf 20 Quadratmetern Wohnfläche in einem Tiny House auf Rädern. Dank geringer Mietkosten haben sie mehr Zeit für die Familie. Doch Stellplätze sind schwer zu finden.

In der winterlich verschneiten Berglandschaft ist es trotz Sonnenschein so kalt, dass einem die Finger steif werden: Das Thermometer zeigt minus 8° Celsius. Doch drinnen im Tiny House ist es angenehm warm. Die kleine Romy kann sogar barfuss herumhüpfen – das Tiny House hat eine Bodenheizung.

Das Tiny House ist eindeutig mehr Haus als Wohnwagen: Die Fenster sind aus echtem Glas, es hat einen Holzofen, eine Abwaschmaschine, Dusche und ein Kompost-WC. “Wir sind eine ganz normale Familie, die einfach auf kleinem Raum wohnt”, betont Moni. “Wir sind weder Hippies noch Aussteiger”, ergänzt Marlies.

Seit Frühling 2016 wohnen Moni und Marlies im Tiny House. Das war eine ziemliche Umstellung: Zuvor hatten sie in einer 100 m2 grossen Wohnung gelebt.

Marke Eigenbau kostet 70’000 Franken

Das junge Ehepaar hat sein Haus selbst geplant und mit eigenen Händen gebaut. Als Moni’s Mutter schwer erkrankte, zog die Tochter zu den Eltern nach Deutschland, um die Mutter zu pflegen. Marlies ging mit und baute in dieser Zeit das Eigenheim für die junge Familie. “Alles hatten wir selbst in der Hand, das ist schön!”, meint Moni.

Die kleine Tochter isst am Fussboden ein Joghurt
Am Boden essen ist gemütlich. Ester Unterfinger/swissinfo.ch
Koffer
Ester Unterfinger/swissinfo.ch
Lebensmittel
Ester Unterfinger/swissinfo.ch

Wenn Tochter Romy grösser ist, wollen sie einen zweiten Wagen anbauen – als Kinderzimmer. Denn einen Nachteil hat das Leben im Tiny House: “Die Spielsachen von Romy müssen immer weggeräumt werden, sie kann nichts stehen lassen, um am nächsten Tag weiter damit zu spielen”, erklärt Moni.

Günstig wohnen im Tiny House?

Der Bau des Hauses kostete etwa 70’000 Franken. Laufende Kosten fallen an für Landpacht sowie Nebenkosten. Auf dem Camping bezahlten Moni und Marlies 350 Franken pro Monat Stellplatzmiete inklusive Wasser, dazu kamen 400 Franken Stromkosten pro Jahr – dank Solarpanelen ist der Strom im Sommerhalbjahr fast gratis. Gas und Holz machen weitere 200 Franken pro Jahr aus. Die Gebäudeversicherung kostet 500 Franken im Jahr.

Alles in allem kostet das Leben in einem Tiny House also (ohne Baukosten) unter 500 Franken im Monat. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Monatsmiete für eine Einzimmerwohnung betrug 2015 auf gesamtschweizerischer Ebene 729 FrankenExterner Link – ohne Neben- und Heizkosten. Eine Dreizimmer-Wohnung in Zürich kostete zum gleichen Zeitpunkt im Schnitt  2432 FrankenExterner Link. Die Mietkosten machen für viele Schweizer Familien den grössten Posten im Familienbudget aus.

Dank der günstigen Miete reicht der Familie Vins der Lohn von Moni’s 60%-Stelle als Primarlehrerin sowie Gelegenheitsjobs. So bleibt ihnen viel gemeinsame Familienzeit.

Familie
Ester Unterfinger/swissinfo.ch

Wermutstropfen: Schwierige Stellplatzsuche

Ursprünglich lebten die Vins auf einem Campingplatz. “Auf dem Camping war toll, dass es einen Spielplatz hatte und Romy Spielkameraden fand”, erzählt Marlies. Doch dann erhielten sie die Kündigung, weil der Campingplatz den Winterbetrieb einstellte.

Damit begann die Suche nach einem neuen Stellplatz. “In Europa ist alles sehr bürokratisch”, sagt Marlies. “Tiny Houses sind schlicht nicht vorgesehen.”

In der Schweiz unterscheiden sich die Bauordnungen von Kanton zu Kanton. Wer sein Tiny House bei einem Bauern abstellt, riskiert eine Anzeige. In der Landwirtschaftszone dürfen nämlich nicht einfach so Bauten aufgestellt werden. Die einzig legale Lösung besteht darin, eine Parzelle Bauland zu kaufen, ein Baugesuch zu stellen und einen Wasser- und Kanalisationszugang zu legen (was ziemlich teuer sein kann).

Wegen der schwierigen Rechtslage engagieren sich die Vins in einem Verein, der bessere Bedingungen für Kleinwohnformen schaffen möchte (siehe Box).

Im Moment leben sie auf dem Grundstück eines Hauses, das demnächst renoviert werden soll. Eine klassische Zwischennutzung also. Aber eigentlich sehnen sie sich nach einer definitiven Lösung. “Es läuft darauf hinaus, dass wir uns ein eigenes Stück Land kaufen”, sagt Marlies.

Tiny House
Ester Unterfinger

Mit Tiny Houses gegen Zersiedelung?

Durchschnittlich bewohnt ein Schweizer oder eine Schweizerin 46 m2 WohnflächeExterner Link. Die Vins belegen unter 6 m2 pro Person. Sind Tiny Houses also ein Lösungsansatz gegen die Zersiedelung der Schweiz, über die am 10. Februar abgestimmt wird?

Nur bedingt, schliesslich handelt es sich um freistehende einstöckige Mini-Häuser mit Platz für höchstens eine Familie. “So verbraucht es natürlich schon Platz”, räumt Moni ein. “Aber die Idee ist, dass Tiny Houses Lückenfüller sein können.” Zwischennutzungen hätten ein grosses Potenzial, ergänzt Marlies. Das Tiny House sei mobil und könne jederzeit weggestellt werden.

“Das Einfamilienhaus ist ein Traum vieler Schweizer”, meint Marlies. “Wenn eine Gemeinde Baulandparzellen macht, warum müssen diese 800 m2 umfassen? Man könnte auch 200 m2 nehmen und solche kleinen Häuschen aufstellen.” Manche Mini-Häuser lassen sich sogar mehrstöckig stapelnExterner Link und könnten damit eine Alternative zu Wohnblöcken sein.

Downsizing ist ökologischer

Zwar bezeichnen Moni und Marlies sich nicht als Öko-Fundamentalisten, aber ein Tiny House zwingt einem automatisch zu einem sparsameren und ökologischeren Lebensstil: Die Solarpanelen erzeugen je nach Jahreszeit beschränkt Gratis-Strom, also wird gespart.

Solaranlage
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Dusche
Ester Unterfinger/swissinfo.ch
Toilette
Ester Unterfinger/swissinfo.ch


Und es müssen regelmässig Wassertank befüllt und Abwassertank geleert werden. Zurzeit machen die Vins das mit einem Schlauch vom Brunnen. “Weil wir wissen, das ist mit ein bisschen Arbeit verbunden, lassen wir den Hahn gar nicht so laufen”, sagt Moni lachend. Und: “Wir kaufen sehr wenig, weil wir ja gar keinen Platz haben.” Wenig kaufen bedeutet auch wenig verbrauchen. Insofern könnten Tiny Houses tatsächlich zu einer besseren Öko-Bilanz verhelfen.

Grosses Interesse an Tiny Houses trotz rechtlicher Hürden

Der Tiny House Boom ist aus den USA nach Europa und in die Schweiz übergeschwappt. Doch hierzulande ist es gar nicht so einfach, einen Stellplatz für das Haus auf Rädern zu finden. Das gilt auch für andere Kleinwohnformen wie Jurte, Wohnwagen, Bauwagen, Hausboot oder Wohncontainer.

Im Juni 2018Externer Link wurde der Verein für innovative Kleinwohnformen SchweizExterner Link gegründet, mit dem Ziel, in der Schweiz eine einheitliche Bewilligungspraxis für Kleinwohnformen zu etablieren und es Menschen zu ermöglichen, legal in kleinen und mobilen Wohnungen zu wohnen. Innerhalb nur eines Monats traten über 100 Mitglieder dem Verein bei, inzwischen zählt der Verein fast 600 Mitglieder.

Es scheint tatsächlich Bewegung in die Sache zu kommen: Im Dezember beschloss der grosse Rat des Kantons Basel-Stadt, nach einem geeigneten Standort für Tiny Houses zu suchen. Und in Liestal ist eine Siedlung aus gestapelten Tiny Homes geplant. Damit soll der Wohnungsnot entgegengewirkt werden.

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