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Ukraine und Schweiz drängen in Davos auf Unterstützung des Friedensplans

Andriy Yermak auf dem Podium des Presseraums des World Economic Forums in Davos
Andriy Yermak, Leiter der Präsidialamts der Ukraine, sprach nach den Diskussionen über eine Friedensformel vor der Presse in Davos. Keystone / Gian Ehrenzeller

Die Ukraine und die Schweiz haben sich in Gesprächen im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums (WEF) für einen Friedensplan ausgesprochen. Konkreten Schritte wurden jedoch nicht vereinbart. Russland und China sassen nicht mit am Verhandlungstisch.

Hochrangige Vertreter:innen der ukrainischen Regierung erklärten, die Gespräche über einen Friedensplan seien “offen und konstruktiv” verlaufen. Die Länder seien sich über die wichtigsten Grundsätze einig, um einen “umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden” zu erreichen.

Bei den Gesprächen am 14. Januar stellte die Ukraine ihren Zehn-Punkte-Friedensplan vor. Andriy Yermak, Leiter des Präsidialamts der Ukraine, erklärte auf einer Pressekonferenz im Anschluss an die eintägigen Gespräche, man hoffe, dass der Friedensplan zu einem “gemeinsamen Plan” werde, der von vielen Ländern getragen werde.

Das Treffen der nationalen Sicherheitsberater:innen in Davos knüpfte an drei vorangegangene Treffen in Kopenhagen, Jeddah und Malta an, bei denen es ebenfalls um die Friedensformel ging, die der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Ende 2022 vorgestellt hatte.

Zuvor hatte der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis, der das Treffen der nationalen Sicherheitsberater:innen aus über 80 Ländern und internationalen Organisationen leitete, erklärt, wenn man “das Schicksal des Planeten beeinflussen wolle”, gebe es keine Alternative zu Gesprächen.

“Das ukrainische Volk braucht nach fast zwei Jahren Krieg dringend Frieden”, sagte Cassis. “Wir müssen alles tun, was wir können, um der Ukraine zu helfen, diesen Krieg zu beenden.”

Mehr als fünfzig Journalist:innen wurden aufgrund der strengen Sicherheitsvorkehrungen rund um die Friedensgespräche bis zur letzten Minute über den Ort der Pressekonferenzen im Unklaren gelassen.

Die hohe Sicherheitsstufe war auch auf den Strassen in Davos sichtbar: durch die starke Präsenz von Polizei und Armee. Der Luftraum über dem Bergort ist seit dem 12. Januar gesperrt.

Die Ukraine hatte die Schweiz gebeten, die Friedensgespräche zeitgleich mit dem WEF-Jahrestreffen auszurichten, das offiziell am 15. Januar beginnt.

Der Gründer des WEF, Klaus Schwab, und seine Frau Hilda sassen bei der Pressekonferenz mit Aussenminister Cassis in der ersten Reihe, ein Zeichen für das Gewicht des WEF als Gastgeberin.

Internationaler Druck für einen Friedensplan

Im Mittelpunkt der Gespräche standen die Punkte sechs bis zehn des 10-Punkte-Friedensplans, das sind: die Beendigung der Feindseligkeiten und der Abzug der russischen Truppen, Gerechtigkeit für begangene Verbrechen, Schutz der Umwelt, Verhinderung einer weiteren Eskalation und Bestätigung des Kriegsendes.

Die Teilnehmer:innen erörterten auch Fragen der Ernährungssicherheit und der humanitären Hilfe, da “Russland nicht nur die Ukrainer, sondern Menschen auf der ganzen Welt ins Visier genommen hat”, so Julija Swyrydenko, erste stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine.

Mehr als 300 Millionen Menschen leiden derzeit unter Ernährungsunsicherheit, weil “Russland Land abbaut, Lagerstätten zerstört und die Schifffahrt blockiert”, sagte Swyrydenko. Dies hat den Preis für Weizen in die Höhe schnellen lassen.

Yermak und Cassis betonten beide, dass die wachsende Zahl der beteiligten Länder ein Zeichen für den Erfolg der Gespräche sei. Neben nationalen Sicherheitsberater:innen aus den USA und vielen europäischen Ländern waren unter anderem auch Vertreter:innen aus Brasilien, Indien, Saudi-Arabien, Argentinien und Südafrika anwesend.

Laut Cassis ist es sehr wichtig, diese Länder an Bord zu haben, um die Kontakte mit Russland zu erleichtern und “kreative Wege zu finden, um aus diesem Krieg herauszukommen”. Die Ukraine plant nun, bilaterale Konferenzen in Lateinamerika und Afrika abzuhalten.

Eine wichtige Akteurin, die bei den Gesprächen fehlte, war China, das sich für Russland stark gemacht hat. Yermak wies darauf hin, dass China an Botschafter:innentreffen in Kiew teilgenommen hat und bei einem früheren Gespräch in Dschidda anwesend war.  

“China ist ein wichtiges und einflussreiches Land”, sagte Yermak. “Wir werden nach Wegen suchen, um China einzubinden.” Dass Präsident Selenski und der chinesische Premierminister Li Qiang während des WEF-Jahrestreffens in Davos in dieser Woche zusammenkommen werden, wurde nicht bestätigt.

Kein Frieden ohne Russland

Cassis räumte ein, dass die Verhandlungen noch weit von einem Ende des Kriegs entfernt sind. Ohne Russland am Verhandlungstisch könne es keinen Frieden geben.

“Russland wird so oder so mit einbezogen werden müssen”, sagte Cassis am Sonntag in Davos übereinstimmend. “Ohne das Wort Russlands wird es keinen Frieden geben.”

Einem Reuters-Bericht zufolgeExterner Link hat Russland die “Friedensformel” als absurd zurückgewiesen, da sie keine russische Teilhabe vorsehe.

Der Schweizer Aussenminister stellte jedoch klar, dass das Ziel der Gespräche nicht darin bestehe, Russland zufriedenzustellen, sondern ein gemeinsames Verständnis zwischen den Nationen über den 10-Punkte-Friedensplan zu schaffen und zu sehen, “wann und wie wir Russland ins Boot holen können”.

Keine Zeit zu verlieren

Auch wenn in Teilen der Ukraine weiterhin heftige Kämpfe toben, sei es wichtig, jetzt Vorbereitungen für den Frieden zu treffen, sagte Cassis.

“Jeden Tag, den wir warten, sterben in der Ukraine Dutzende von Zivilpersonen. Wir haben nicht das Recht, zu warten”, sagte Cassis.

“Wir müssen bereit sein, wenn die Bedingungen es erlauben”, betonte er. Ziel der Gespräche sei, dass “wir bereit sind, einen Prozess mit Russland einzuleiten, wenn die Zeit reif dafür ist”.

Im Anschluss an die nationalen Sicherheitsgespräche erklärte Yermak, dass nun die Vorbereitungen für einen ersten Friedensgipfel auf Führungsebene getroffen werden könnten, ohne jedoch zu sagen, wann ein solcher stattfinden könnte.

Die Friedensgespräche finden zu einer Zeit statt, in der die USA und die Europäische Union um die Freigabe umfangreicher Hilfsgelder ringen.

Das wirft die Frage auf, ob die Ukraine in der Lage ist, sich gegen weitere russische Angriffe zu verteidigen, wenn nicht noch mehr Geld und Waffen fliessen.

Die Rolle der Schweiz

Das Treffen in Davos war die zweite internationale Konferenz zur Ukraine, welche die Schweiz seit dem Ausbruch des Kriegs im Februar 2022 ausgerichtet hat.

Im Juli 2022 hatte die Schweiz in Lugano zahlreiche Länder zusammengerufen, um einen Rahmen für den politischen Prozess des Wiederaufbaus der Ukraine auszuarbeiten.

Cassis hob die “lange Tradition der Schweiz in der Friedensförderung” als einen wichtigen Faktor für die Mitorganisation der Gespräche in Davos hervor.

Die Schweiz ist auch an drei Arbeitsgruppen beteiligt, die sich mit der so genannten Friedensformel befassen, darunter die nukleare Sicherheit, die Ernährungssicherheit und die Beendigung des Kriegs.

Neben der Beteiligung an den Friedensgesprächen hat die Schweiz rund 400 Millionen Franken (470 Millionen Dollar) an humanitärer Hilfe für die Ukraine bereitgestellt. Davon sind rund 100 Millionen Franken für Minenräumaktionen bestimmt.

Bis 2026 hat sich die Schweiz verpflichtet, der Ukraine mindestens 1,5 Milliarden Franken zur Verfügung zu stellen. Aufgrund ihrer Neutralitätspolitik kann die Schweiz keine Waffen in die Ukraine liefern.

Im Dezember teilte die Schweizer Regierung mit, dass sie im Rahmen der Sanktionsmassnahmen russische Vermögen in Höhe von 7,7 Milliarden Franken eingefroren hat.

Übertragung aus dem Englischen: Marc Leutenegger

Übertragung aus dem Englischen: Marc Leutenegger

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