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Die Talentschmiede für die neue, hochvernetzte Forschenden-Generation

Etudiants à l EPFL
"Jugendgerechtes" Fördernetzwerk: Im Zentrum der Forschungsprojekte der Jungen Akademie sind Innovation und Vernetzung über die eigenen Forschungsgebiete hinaus. Bild: Studierende an der ETH Lausanne (EPFL). © Keystone / Gaetan Bally

Die Schweiz klinkt sich ein in die weltweite Bewegung zur Schaffung junger Akademien. Ab diesem Jahr erhalten junge Forscherinnen und Forscher eine eigenes Fördernetzwerk samt eigenem Budget zur Unterstützung innovativer, kreativer und interdisziplinärer Projekte.

Es sind 29, davon 17 Frauen. Sie sind unter 40 Jahre alt und forschen in 25 Disziplinen an 15 Schweizer Universitäten und Hochschulen.

Die Forschungsfelder reichen von Archäologie bis Film, von Informatik und Sozialwissenschaften bis hin zu molekularer Biotechnologie.

Die Rede ist von den 29 ersten Mitgliedern der Jungen Akademie SchweizExterner Link, einem neuen Pool für einige der talentiertesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Schweiz. Sie wurden von arrivierten Forschenden unter hundert Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt.

Stefanie Boulila. Jeune Académie Suisse

Sind darin die besten Nachwuchsforscherinnen und -forscher des Landes vereint? Stefanie Boulila, Mitglied des ersten fünfköpfigen Präsidiums der Jungen Akademie, muss lachen.

“Ich selber bringe dieses Konkurrenzdenken überhaupt nicht mit. Zwar war eines der Kriterien, dass die Kandidierenden über hervorragende akademische Ergebnisse verfügen mussten. Aber das war nicht das wichtigste. Gesucht waren vielmehr begeisterungsfähige junge Forschende, die eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft einerseits und eine inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit andererseits schaffen wollen”.

Estefania Cuero, ebenfalls Präsidiums-Mitglied und dazu Sprecherin der Jungen Akademie, unterstreicht das Momentum der Innovation. Aufgabe der Jungen Akademie sei es, einen neuen Weg der Forschungsförderung zu beschreiten, sagt sie.

“Die Formate werden anders sein, weshalb wir die Kriterien neu definieren müssen. So sollen Projekte realisiert werden, die sonst nicht automatisch finanziert würden.” Als weiteres zentrales Kriterium nennt sie die Transdisziplinarität der eingereichten Forschungsvorhaben.

“Keine fünf Projekte zu Coronaviren”

Die Junge Akademie startet mit einem überschaubaren Budget von einer Million Franken – für fünf Jahre. Davon werden sowohl einzelne Projekte – mit bis 1000 Franken – als auch gemeinsame Vorhaben – mit maximal 30’000 Franken – finanziert. Zum Vergleich: Die vier “grossen” Akademien samt ihren beiden Kompetenzzentren verfügen über Forschungskredite von 228 Millionen Franken über den gleichen Zeitraum.

Hierzulande gibt es unter dem Dach der Akademien der Wissenschaften Schweiz vier Unter-Akademien. Es sind dies jene der Naturwissenschaften, der Geistes- und Sozialwissenschaften, der medizinischen sowie die technischen Wissenschaften. Dazu gehören auch das Kompetenzzentrum für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss, die Stiftung Science et Cité und weitere wissenschaftliche Netzwerke.

Die Akademien sind dem Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verpflichtet. Ihre Verwurzelung in der Gemeinschaft der wissenschaftlichen Forschung verschafft ihnen Zugang zu Fachwissen und Spitzenleistungen: Umgekehrt ermöglicht dies Politikern und Gesellschaft, in entscheidenden politischen Fragen vom Knowhow der Forschenden zu profitieren.

(Quelle: Akademien der Schweizer Wissenschaften)

Für einen genauen Plan ist es noch zu früh. In ihrer Planung für 2021-2024 haben die Schweizer Akademien, welche die Forschungs-Agenda des Landes massgeblich prägen, drei wichtige Tätigkeitsbereiche definiert: Digitalisierung, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung.

Was die Junge Akademie betrifft, so lägen schon mehr als 40 Projektvorschläge auf dem Tisch, sagt Cuero. Um die Efforts zu bündeln, kommen vermutlich fünf Projekte in die Kränze. “Ich kann Ihnen aber versichern, dass es Vielfalt geben wird. Es werden nicht fünf Projekte zum Coronavirus sein.”

Die grösste Aufgabe für die nächsten fünf Jahre aber sieht Cuero darin, das neue Förderinstrument auf ein nachhaltiges Fundament zu bringen.

Estefania Cuero. Jeune Académie Suisse

Stimme der nächsten Generation

Die Gründung einer Jungen Akademie an sich ist alles andere als eine Innovation, haben doch rund 40 Länder bereits eine solche gegründet. Kommt aber damit eine neue Ebene in die bisher schon recht komplexe Struktur der Forschungsförderung in der Schweiz?

Boulila hat sich auf das Abenteuer eingelassen habe, angetrieben von “dem Wunsch, die Situation junger Forschender zu verbessern und die Schweizer Wissenschaftsinstitutionen gerechter und integrativer zu machen”. Für sie ist die neue Struktur auch “ein Rahmen für die Erprobung neuer Wege der Zusammenarbeit ohne Hierarchie”.

Denn auch wenn das Bild des Professors, der sein Team leitet, seinen Namen unter die Publikationen seiner Mitarbeitenden setzt und Auszeichnungen für die Arbeit seiner Studierenden einheimst, der Vergangenheit angehört: Es gibt noch viel Nachholbedarf, was die Verbesserung der Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses Betrifft.

“Die meisten haben zum Beispiel sehr kurzfristige Verträge, so dass es keinerlei Sicherheit gibt, wenn es darum geht, ihre Positionen in der Zukunft abzusichern”, sagt Cuero. “Wir müssen uns nicht gegenseitig konkurrenzieren, sondern uns organisieren und die Probleme auflisten, die fast überall auftreten. Und dann müssen wir den Dialog mit der Politik aufnehmen.”

An Themen sieht sie keinen Mangel: Hochschulpolitik, aber auch sozialpolitische Forderungen wie Vaterschaftsurlaub und ganz allgemein die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hier habe die Schweiz einen gehörigen Rückstand, sagt sie.

Der Status der Jungen Akademie ist jener eines Gremiums mit beratender Funktion. Im Idealfall sollte es die Stimme des ambitionierten Schweizer Forschungsnachwuchses sein.

“Freizügigkeit unerlässlich”

Die heutige Generation der Forschenden ist kosmopolitisch und hochmobil. Das bedeutet, dass sie ihr Elixier zu grossen Teilen aus dem internationalen Austausch holt. Die Junge Schweizer Akademie ist bereits mit europäischen Kolleginnen und Kollegen zusammengetroffen. Jene aus Deutschland beispielsweise können auf eine 20-jährige Erfahrung mit dem Förderkanal bauen, was für die Neulinge aus dem Nachbarland Gold wert sein kann.

Unter diesen Bedingungen würde ein mögliches Ja am 27. September zu der Initiative der konservativen Rechten, die die Freizügigkeit mit der EU abschaffen will, als Katastrophe empfunden werden. “Ich habe in England studiert, in Deutschland gearbeitet und habe Projekte mit Kollegen aus mehreren europäischen Ländern. Ich bin überzeugt, dass Herausforderungen wie der Klima-Notstand, Covid-19 oder soziale Ungleichheiten internationale Zusammenarbeit erfordern”, sagt Stefanie Boulila.

Auch Estefania Cuero, die ebenfalls einen internationalem Hintergrund hat, sieht “ein immenses Interesse an der Weiterführung der Personenfreizügigkeit: “Dies auch hinsichtlich unserer eigenen Arbeit und unserer persönlichen und beruflichen Entwicklung.”

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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