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Billigarbeit an der ETH Zürich

Doktorieren oder nicht doktorieren, das ist die Frage. Keystone

Welches ist die Gemeinsamkeit zwischen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und der Migros? Beide zahlen schlechte Löhne. Erstere ihren Doktorierenden, letztere ihrem Verkaufspersonal. Die Migros garantiert neuerdings Mindestlöhne von 3'000 Franken, die ETH (noch) nicht.

“Um die hohen Anforderungen an die Forschung der ETH zu erfüllen, arbeiten wir oft 70 Stunden die Woche, und besuchen noch Vorlesungen”, schreibt ein Student der Erdwissenschaften in der täglichen Web-Zeitung “ETH Life”. Das Ganze nota bene oft bei einem Anstellungs-Verhältnis von 50%, das heisst einem monatlichen Lohn von knapp 2’200 Franken brutto.

Ein zusätzlicher Verdienst liegt bei diesem Arbeitsaufwand nicht drin. Doch sich mit diesem Lohn ein Leben in Zürich zu finanzieren, ist schwierig. Die Lebenskosten sind höher als in anderen Schweizer Städten.

Die Personalabteilung begründet die tiefen Löhne mit dem Argument, das Doktorandenstudium sei eine Weiterbildung. Diese verbessere die Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt.

Ohne Doktorierende keine ETH

Dem entgegnet Moritz Kälin, ehemaliger Co-Präsident der Akademischen Vereinigung des wissenschaftlichen Mittelbaus (AVETH) in “ETH Life”: “Doktoranden arbeiten in erster Linie als wissenschaftliche Mitarbeiter in den Forschungsgruppen, und in zweiter Linie als Assistenten in der Lehre. (…) Doktorierende liefern vollwertige Arbeit, ohne die die ETH nicht funktionieren könnte.”

Unattraktiver Lohn, lange Arbeitszeiten – die Alternative ist die Privatwirtschaft. ABB bezahlt einem Studienabgänger, einer Studienabgängerin in einem Trainee-Programm pro Monat zwischen 5’700 und 6’400 Franken, Anstellungs-Verhältnis 100% und geregelte Arbeitszeiten. IBM zahlt ihren Trainees rund 6’600 Franken monatlich. Die Zürcher Kantonalbank bezahlt mindestens soviel plus Boni.

Die schlechten Löhne an der ETH führen zu einem Braindrain, zu einer Abwanderung, – von der Universität hin zur Privatwirtschaft. Aber auch von der Schweiz ins Ausland, denn 47% aller Doktorierenden der ETH haben keinen Schweizer Pass. Weil sie in dieser Funktion kein Recht auf Familiennachzug haben, kehren sie nach einer Doktorarbeit häufig in ihr Heimatland zurück.

Bessere Löhne – mehr Doktorierende

Die Schweiz, deren wichtigste Ressource die Bildung ist, wie oft moniert wird, verliert so wichtiges Know-how. Die Vertretung der Doktorierenden schlägt deshalb eine konkrete Lösung vor: Den Anstellungsgrad auf 75% erhöhen damit der Lohn 45’000 Franken pro Jahr beträgt. Laut Dietbert Neumann, Vorstandsmitglied der AVETH, würde die Lohnerhöhung 1% des ETH-Budgets kosten, rund 10 Mio. Franken.

Was die ETH Zürich noch diskutiert, ist an ihrer Schwester-Hochschule in Lausanne längst gang und gäbe. An der ETH Lausanne verdienen Doktorierende Löhne, die über dem Existenz-Minimum liegen. Auch andere Hochschulen zahlen besser, wobei es immer Unterschiede auch innerhalb der Hochschulen gibt. So bezahlt die Hochschule St. Gallen (HSG) mindestens 2’800 Franken pro Monat, bei einer Anstellung von 50%. Meist würden jedoch, laut Auskunft, die Doktorierenden 70% angestellt. In Bern erhalten die Assistenten nach dem Hochschulabschluss etwas weniger, aber noch immer mehr als an der ETH Zürich, bei einer Anstellung von bis zu 50%.

Rebecca Vermot

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