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600 Hektaren Fläche benötigt ein Auerhahn. www.vogelwarte.ch

Zusammen mit Pandas oder Elefanten werben Bilder von balzenden Auerhähnen für den Naturschutz. Nun ist klar, dass solche Flagschiff-Arten Sinn machen.

Zahlreiche Tierarten profitieren vom Schutz des Auerhuhns, dies zeigt eine neue Schweizer Studie.

Das Auerhuhn gilt bei Naturschützern als Flaggschiff-Art. So werden Arten genannt, die bekannt und beliebt sind und dadurch als Werbeträger des Naturschutzgedankens dienen können, wie etwa Pandas oder Elefanten.

Oft sind solche Flaggschiff-Arten zugleich Schirmarten, das heisst Arten, die spezifische Ansprüche an den Lebensraum mit grossen Raumbedürfnis kombinieren.

Schutzbestrebungen für die Schirmart kommen damit automatisch vielen anderen Arten zugute, die den selben Lebensraum benötigen, aber weniger attraktiv oder auch weniger gut erforscht sind.

Attraktiv – und grosses Territorium

Das Auerhuhn (Tetrao urogallus) scheint alle diese Anforderungen zu erfüllen: Mit seinen bis zu 5,5 Kilogramm Gewicht, den metallisch blaugrünen Brustfedern und einem Schwanz, den er wie ein Pfau zu einem Rad fächern kann, ist der Hahn ein äusserst attraktiver Vogel. Zudem beansprucht ein einzelnes Tier bis zu 600 Hektaren Lebensraum.

Doch die Sache hat einen Haken: Bisher wurde nie wissenschaftlich untersucht, ob Massnahmen zugunsten einer Schirmart anderen Arten auch tatsächlich helfen. Werner Suter und Roland Graf von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf haben diese Frage nun anhand des Auerhuhns überprüft und bestätigt, dass zumindest diese Vögel den Titel «Schirmart» zu Recht tragen.

Zentral für Arten- und Biotopschutz

Bei sorgfältiger Anwendung könne das Schirmartenkonzept generell zu einem wichtigen Instrument der Effizienzsteigerung im Arten- und Biotopschutz werden, so Suters Fazit.

Für ihre Untersuchung haben die Wissenschafter in 30 Gebieten im Alpenvorland alle dort vorkommenden Vogelarten inventarisiert; 17 dieser Sektoren waren von Auerhühnern besiedelt. Dann verglichen die Forscher die Vogelarten, die in den verschiedenen Gebieten lebten.

Wichtig: Lichte Wälder

Dabei zeigte sich, dass die Untersuchungsflächen in den Auerhuhn-Gebieten deutlich mehr seltene Vogelarten enthielten als die anderen Flächen. Die selten gewordene Waldschnepfe, der Dreizehenspecht und der Sperlingskauz kamen fast nur dort vor, wo auch Auerhühner lebten.

Diese Gebiete zeichneten sich durch eine besonders vielfältige Waldstruktur mit hohem Lichteinfall und reicher Bodenvegetation aus. Da also die Massnahmen zur Aufwertung des Auerhuhn-Lebensraums auch anderen bedrohten Vögeln nützen, lohne sich auch der Einsatz für das Auerhuhn, so Suter.

Ihre Forschungsergebnisse haben die Fachleute im Fachblatt «Conservation Biology» publiziert.

Habitat-Verluste – weniger Tiere

Das Auerhuhn hat diese Unterstützung bitter nötig. Zwischen 1970 und 1985 hat sich die Zahl balzender Hähne von 1100 auf 600 verringert. Im vergangenen Jahr versammelten sich gerade noch 450 bis 500 Hähne auf den traditionellen Balzplätzen.

Gleichzeitig zerfiel das Verbreitungsgebiet in viele kleinere und teilweise isolierte Restflächen. Die logische Konsequenz: Das Symboltier ungestörter Bergwälder ist in der Schweiz akut vom Aussterben bedroht. Nur noch wenige Vorkommen haben eine grössere Ausdehnung, darunter jene im Waadtländer Hochjura, in den Berner, Luzerner, Schwyzer und Obwaldner Voralpen sowie in Zentralbünden und im Engadin.

Störfaktor Mensch

Die Gefährdungsursachen sind bekannt. Dem grössten Vogel aus der Familie der Rauhfusshühner fehlen in erster Linie grossflächige, reich strukturierte und lichte Wälder.

Zudem reagiert er äusserst empfindlich auf menschliche Störungen und leidet daher unter der zunehmenden Erschliessung der Bergwälder mit Forststrassen, die vielen Erholungssuchenden den Zutritt zu einstmals abgelegenen Wäldern ermöglicht. Durch Pilz- und Beerensammler, Mountainbiker und Orientierungsläufer, Photographen und Ornithologen aufgescheucht, verlassen Hähne ihren Balzplatz und Hennen ihr Gelege.

Sensibilisierung da

Doch im Gegensatz zu anderen bedrohten Tierarten kann sich das Auerhuhn nicht darüber beklagen, dass sich die Menschen keine Sorgen um seinen Rückgang machen würden. Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft hat letztes Jahr gleich zwei Publikationen herausgegeben, die Auskunft darüber geben, wie dem Vogel mit einer angemessenen Waldbewirtschaftung geholfen werden kann.

Kantone und Naturschutzorganisationen versuchen in Einzelaktionen die Restbestände zu erhalten. Förster sind meist bereit, Rücksicht auf das Auerhuhn zu nehmen. Dazu zählt nicht nur der Verzicht auf Waldarbeiten während der Balz- und Aufzuchtszeit zwischen April und Juli, sondern auch die Durchforstung dichter Wälder und die Erhaltung einer lückigen Kronenstruktur.

Auch die Forschung hat reagiert: An der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL wurde vor einem Jahr ein Auerhuhn-Projekt zum Schutz und zur Förderung dieser Tierart ins Leben gerufen.

swissinfo, Gregor Klaus

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