Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Luzerns Abschied vom Kalten Krieg

1987: Die Übung "Ameise" förderte die Mängel der gigantischen Zivilschutzanlage Sonnenberg zu Tage. Keystone

Dieses Wochenende beginnen die Aktionstage "Stadt in den Berg". Letzte Gelegenheit, die weltgrösste Zivilschutz-Anlage, den Sonnenberg-Autobahntunnel, zu besuchen.

Die Aktion weist auf die Neufokussierung des Zivilschutzes in der Schweiz hin – auf eher natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen und Notlagen.

Die nach heutigem Wissen grösste Zivilschutzanlage der Welt, der Luzerner Sonnenbergtunnel, hätte nach dem Willen seiner Erbauer in jeder der beiden Röhren 10’000 Menschen Schutz vor konventionellen, chemischen oder Atomwaffen bieten sollen.

1,5 Meter dick und rund 350’000 Kilo schwer sind die Tore zur Schliessung des Luzerner Tunnels der Autobahn A2, welche den Süden Europas mit dem Norden verbindet. Sie wurden so konzipiert, dass sie dem Luftstoss einer in einem Abstand von 1 km von Tunnelportal explodierten 1-Megatonnen-Atombombe trotzen sollten.

In einer zusätzlich in der Mitte der beiden Röhren erstellten Kaverne wurden ein Kommandoposten, ein Notspital mit Operationssaal, ein Radiostudio sowie Mehrzweck- und Nebenräume untergebracht.

Die Luzerner Regierung hatte 2002 beschlossen, die Tunnel-Schutzräume aufzuheben und die bestehenden Anlagen zurückzubauen. Die siebenstöckige Kaverne wird jedoch als Schutzraum für 2000 Luzerner und Luzernerinnen weiter betrieben.

“Stadt in den Berg”

Luzern und der Schweizerische Zivilschutz nehmen nun mit den Aktionstagen “Stadt in den Berg” endgültig Abschied von diesem Monument des Kalten Krieges.

Und das ist gut so. Denn bei der grossangelegten Übung “Ameise” im Jahr 1987, bei der geprobt werden sollte, wie ein bedeutender Teil der Stadtbevölkerung im Berg Zuflucht finden könnte, liessen sich die monumentalen Panzertore nicht richtig schliessen.

Diese und andere Mängel wurden auch später nicht vollständig behoben – aus Kostengründen. Dabei schien die Sonnenberg-Zivilschutzlösung anfangs mehrere Fliegen auf einem Streich zu treffen.

In den 1960er-Jahren hatte die Stadt Luzern zu wenig Zivilschutzräume. Dieses Problem löste der in zwei gigantische Zivilschutzräume umfunktionierte Sonnenberg-Autobahntunnel mit einem Schlag, konnte er doch nun einem Drittel der Bevölkerung Unterschlupf gewähren.

Dank der gemeinsamen Konstruktion von Nationalstrassen-Tunnel und Bevölkerungsschutz-Anlage ergab sich ein sehr willkommener Nebeneffekt: Die Eidgenossenschaft subventionierte so gleich zweimal – den Autobahntunnel und die rund 40 Mio. Franken teure Zivilschutzanlage.

Mehr

Mehr

Zivilschutz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Zivilschutz wirkt in den Bereichen Schutz, Betreuung und Unterstützung der Zivilbevölkerung. Angehörige des Zivilschutzes kümmern sich um Schutzbedürftige, aber auch um Kulturgüter. Sie unterstützen die Führungsorgane und stellen Infrastrukturen wieder instand. Schutzdienstpflichtig sind grundsätzlich Männer mit Schweizer Bürgerrecht, die für die Schutzdienstleistung tauglich sind und nicht Militärdienst oder Zivildienst leisten.

Mehr Zivilschutz

Schwierige Betreuung

Damals dachten die Projekt-Verantwortlichen kaum daran, dass die enge Konzentration von 20’000 Menschen auf engstem Raum fast unlösbare psychische und logistische Probleme verursachen könnte.

“Betreuung ist fast nicht machbar in dieser Grössenordnung. Die Probleme häufen sich in dieser Art und bei dieser Grösse”, erklärt Moritz Boschung, Chef Information des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BABS), gegenüber swissinfo.

Katastrophen- und Kriegstauglichkeit

Bei der Konstruktion der Zivilschutzräume stand nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges die Tauglichkeit im Kriegsfall im Vordergrund.

Moritz Boschung: “Wir konnten aber feststellen, dass sich die Infrastruktur auch in Katastrophen und Notlagen bewährt. So zum Beispiel 1999 im Oberwalliser Goms, als die Schutzanlagen der Bevölkerung Zuflucht boten, nachdem in Folge der Unwetter der Strom ausfiel und die Menschen in ihren Häusern nicht mehr sicher waren.”

Die Schweiz im internationalen Vergleich

Auch ohne die aufgehobenen Luzerner Schutzplätze steht die Schweiz im internationalen Vergleich recht gut da. So gibt es hierzulande rund 270’000 Schutzräume. “Damit stehen für rund 95% der Bevölkerung moderne, künstlich belüftete Schutzplätze zur Verfügung”, so Moritz Boschung.

Ein Vergleich mit dem Ausland sei jedoch sehr schwierig, meint er weiter, da die Konzepte jeweils ein wenig anders seien. “Wir wissen aber, dass wir einen sehr hohen Standard erreicht haben. Vor allem in den nordeuropäischen Staaten gibt es ähnliche Schutzunterkünfte für die Bevölkerung.”

Ob die Schutzräume in Israel gleich massiv gebaut und ausgerüstet sind wie in der Schweiz, kann Moritz Boschung nicht beurteilen. “Auf jeden Fall erfüllten sie während der jüngsten Raketenangriffe der Hisbollah eine wichtige Schutzfunktion”.

swissinfo, Etienne Strebel

Der Personalbestand des Zivilschutzes beträgt gesamtschweizerisch rund 120’000 Personen.

In einem Schutzraum ist pro Person 1m2 resp. 2,5m3 vorgesehen.

Die Schutzbauten sollen bei Katastrophen und in Notlagen als Notunterkünfte genutzt werden können.

Bei einem bewaffneten Konflikt soll jeder Einwohnerin und jedem Einwohner ein Schutzplatz in einem Schutzraum in der Nähe des Wohnorts zur Verfügung stehen.

Seit dem 1. Januar 2004 sind die neuen Gesetze und Verordnungen über den Bevölkerungsschutz und Zivilschutz in Kraft.

Der Bevölkerungsschutzes hat den Auftrag, die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen bei Katastrophen und Notlagen zu schützen. Dies gilt auch für den Fall eines bewaffneten Konflikts.

Der Bevölkerungsschutz besteht aus fünf Partnerorganisationen: Polizei, Feuerwehr, Gesundheitswesen, technische Betriebe und Zivilschutz.

Zuständig sind grundsätzlich die Kantone. Sie gestalten den Bevölkerungsschutz mit den Gemeinden und Regionen. Die Kantone tragen die Kosten für Katastrophen und Notlagen.

Der Bund regelt grundsätzliche Aspekte des Bevölkerungsschutzes und sorgt für die Koordination. Er trifft Anordnungen für den Fall von erhöhter Radioaktivität, Notfällen bei Stauanlagen, Epidemien und Tierseuchen sowie für den Fall eines bewaffneten Konflikts.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft