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Wie lange halten die Schweizer AKWs?

Der kaputte Leibstadt-Generator: Die Kraftwerk-Leitung ist immer noch auf der Suche nach der Ursache des Defekts. Keystone

Technisch auf der Höhe oder Schrottmeiler? Die Diskussion über den Zustand der AKW in der Schweiz hat nach jüngsten Pannen neue Nahrung erhalten.

Die Aufsichtsbehörde des Bundes bescheinigt den Atomkraftwerken einen hohen Sicherheitsstand. Die Umweltorganisation Greenpeace sieht zunehmende Risiken.

Der Zustand der schweizerischen Atomkraftwerke (AKW) ist gut, das Sicherheitsniveau hoch und die Strahlenbelastung sehr tief. Dies geht aus dem Aufsichtsbericht 2004 hervor, den die Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) Ende April veröffentlichte.

Das gilt für Leibstadt als jüngstes AKW, aber auch die älteren Anlagen Beznau, Gösgen und Mühleberg. “Diese wurden sicherheitstechnisch stetig nachgerüstet mit ca. 10 bis 20 Mio. Franken pro Jahr und Werk. Punkto Reaktorsicherheit befinden sie sich auf einem sehr guten Stand”, erklärt Ulrich Schmocker, Direktor der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK), gegenüber swissinfo.

Risiko nimmt keine Rücksicht

Doch der HSK-Jahresbericht wurde gewissermassen “vorgängig” von der Realität eingeholt: Am 28. März, dem Ostermontag, kam es im Atomkraftwerk Leibstadt zu einem schweren Generatorschaden, der zu einer automatischen Abschaltung der Turbine und damit der gesamten Stromproduktion führte.

Eine so genannte Pressplatte, die aus dünnen Stahlblechen besteht, wies durchgeschmolzene Stellen auf. Immerhin: Die Gefahr eines Austritts von Radioaktivität habe nicht bestanden, gab die Betreiberin, die Kernkraftwerk Leibstadt AG Entwarnung.

Gigantischer Schaden

Erst war von einem Betriebsunterbruch von zwei Monaten die Rede, jetzt steht die Stromproduktion bis Ende September, also ein halbes Jahr, still. Weil Leibstadt nicht nur das jüngste und teuerste, sondern auch das grösste Atomkraftwerk der Schweiz ist, wird der Produktionsausfall auf der Einnahmenseite ein dreistelliges Millionenloch schlagen. Das KKL liefert immerhin 17% oder rund einen Sechstel des gesamten Stromverbrauchs des Landes.

Weil die Pressplatte eine Einzelanfertigung war, muss sie erst wieder hergestellt werden. Die eigentlichen Reparaturkosten von rund drei Mio. Franken sind also nur ein “kleiner Klacks”.

Ursache immer noch unklar

Auch nach rund einem Monat hat die Betreiberin, die Kernkraftwerk Leibstadt AG, immer noch keine Angaben über die Ursache der Panne gemacht. Was doch einigermassen erstaunt und der Vertrauensbildung in die nach wie vor umstrittene Technologie nicht unbedingt förderlich ist.

HSK-Direktor Schmocker erwähnt einen weiteren Punkt: “Der Generatorschaden – der vorkommen kann – ist insofern erstaunlich, als der Generator 2004 während der Revision teilweise demontiert und sehr genau untersucht wurde.”

HSK: Betriebssicherheit nicht tangiert

Die Betriebssicherheit der Anlage steht für Schmocker aber ausser Frage, ebenso wenig die Betriebsdauer, die laut KKL bei 50 bis 60 Jahren liegt. “Leibstadt ist nicht unsicherer als die anderen Werke, wir würden erst hellhörig, wenn ein Trend in diese Richtung ginge.”

Die HSK setze in der Sicherheitsfrage auf eine “positive Fehlerkultur”, in der Menschen aus Fehler lernen und so Systeme, Vorschriften und Arbeitsvorgänge laufend verbessert werden könnten. Schmocker ortet da aber noch Handlungsbedarf, gerade in Leibstadt.

Neuerlicher Vorfall

“Die Schweiz macht zwar im internationalen Vergleich sehr viel. Ich akzeptiere aber nicht, wenn Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten werden, wie es im KKL schon vorgekommen ist.” Die HSK werde deshalb 2005 diesbezüglich in Leibstadt “genauer hinsehen”.

Und genau das wurde gerade jüngst wieder notwendig: Bei den vorgezogenen Revisionsarbeiten wurde am 23. April ein Brennelement in den Reaktorkern eingesetzt, während zwei Steuerstäbe noch nicht eingefahren waren. Der gemeldete Vorfall, er resultierte aus einer Kommunikationspanne, ist ein Verstoss gegen die so genannte Technische Spezifikation der HSK.

Für die Umweltorganisation Greenpeace dagegen ist die Lage nach dem 28. März eindeutig: “Das Ereignis ist klar ein neuerlicher Anlass, der unsere Forderung nach Stillegung der AKW stützt”, sagt Leo Scherer, Leiter der Atom-Kampagne bei Greenpeace Schweiz.

Produktionsfehler

Solch ein Riesenschaden im Generatorbereich könne sich auch auf den Reaktorteil, mit dem er über eine Welle direkt verbunden sei, ausbreiten, so Scherer.

Wie Schmocker ist auch er beunruhigt über die nach wie vor unklare Pannen-Ursache. “Aufgrund der Informationslage könnte es sich um einen Produktionsfehler handeln. Und da stellt sich die Frage, ob solche auch in anderen Bereichen vorkommen könnten.” Scherer fordert deshalb eine akribische Generaluntersuchung.

Den AKW-Betreibern kommt der Generatorschaden höchst ungelegen, nicht nur wegen des riesigen Millionenlochs auf der Einnahmeseite. Weil die Atomkraftwerke Beznau und Mühleberg 2019 definitiv ausrangiert werden, haben die Stromproduzenten bereits laut Bedarf für neue AKW oder Gaskraftwerke angemeldet. Doch dafür ist der Gegenwind nach dem Ostermontag stärker geworden.

swissinfo, Renat Künzi

Der Generatorschaden in Leibstadt sorgt für den grössten Produktionsausfall in der Geschichte der Schweizer Atomstrom-Wirtschaft.
Bei einer Jahresproduktion von rund 9 Mrd. kWh fehlen jeden Tag rund 28 Millionen kWh Strom im Wert von etwa 1,8 Mio. Franken.
Das KKL als grösstes AKW des Landes beliefert einen Sechstel der Schweizer Bevölkerung mit Strom.
Der halbjährige Produktionsunterbruch führt laut KKL AG nicht zu einem Versorgungs-Engpass in der Schweiz.
Strom wird von Werken im Ausland eingeführt, an denen die Schweizer Energiehersteller Beteiligungen aufweisen.

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