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“Homosexuelle Landwirtinnen werden doppelt diskriminiert”

© Keystone / Christian Beutler

Bäuerin und lesbisch oder transgender sein: In der Schweiz ist das immer noch besonders schwierig, trotz der Fortschritte, welche das Land im Bereich der Rechte sexueller Minderheiten macht. Die Autorin einer preisgekrönten Studie erzählt, wie sich die helvetische Agrarwelt weiterentwickeln muss.  

Während sich in den USA oder im kanadischen Quebec Vereinigungen von LGBTIQ-Bäuerinnen und -Bauern anfangen zu bilden, sind in der Schweiz homosexuelle oder transsexuelle Menschen in der Branche noch unsichtbar und nicht anerkannt. Das zeigt die StudieExterner Link von Prisca Pfammatter. Homosexualität oder Transidentität in der Landwirtschaft wird oft im Verborgenen gelebt. Es ist deshalb schier unmöglich zu sagen, wie viele sie sind.

Was bedeutet LGBTIQ?
Das aus dem Englischen stammende Kürzel LGBTIQ steht für lesbische, schwule (gay), bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle und queere Personen. Im Lauf der Zeit sind andere Begriffe erschienen, um die verschiedenen sexuellen Orientierungen und Geschlechts-Identitäten zu definieren.

Lesbische Landwirtinnen, die bereits wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden, haben es noch schwerer als schwule Bauern, stellt Prisca Pfammatter fest. Im Rahmen ihrer Studie traf die 26-jährige Forscherin vier lesbische oder transgender Frauen und besuchte ihren Landwirtschaftsbetrieb, um zu verstehen, wie sich queere* Menschen in der Welt der Landwirtschaft bewegen.

Ihre Arbeit wurde im Rahmen ihres Studiums der biologischen Landwirtschaft an der niederländischen Universität Wageningen durchgeführt und gewann den Preis für die beste Forschung zu Gender und Sexualität in den Niederlanden.

SWI swissinfo.ch: Warum haben Sie begonnen, sich für queere Landwirtschaftsbetriebe zu interessieren?

Prisca Pfammatter: Ich habe schon früh festgestellt, dass Frauen in der Landwirtschaft ein wenig fehl am Platz sind. Ich bin im Tessin aufgewachsen, in einem Haus, in dem seit vielen Jahren nur Frauen lebten, da mein Vater und mein Grossvater früh verstorben waren. Als ich anfing, im Garten arbeiten zu wollen, sagten meine Mutter und meine Grossmutter, dass ich das meinem Onkel überlassen solle. Auch wenn er dafür extra anreisen musste und schon 70 Jahre alt war. Später habe ich mehrere Praktika in der Landwirtschaft gemacht. Auch dort hatte ich das Gefühl, dass Frauen nicht immer willkommen waren.

Portrait von Prisca Pfammatter
Prisca Pfammatter ldd

Wie hat sich das ausgewirkt?

Wenn ich zu feminine Kleidung anzog, erhielt ich unangenehme Kommentare. Ich begann also, sehr auf meine Kleidung zu achten, damit sie nicht zu kurz oder zu eng war. Dann kam regelmässig die Frage, ob ich lesbisch sei. Ich war also entweder zu feminin, um in der Landwirtschaft zu arbeiten, oder zu maskulin, um der heterosexuellen Norm zu entsprechen. Das hat mich geprägt. Während meines Studiums habe ich mich dann für landwirtschaftliche Betriebe interessiert, die von Homosexuellen, Transgendern oder nicht-binären Menschen geführt werden.

Wie lebt es sich als LGBTIQ-Bäuerin oder LGBTIQ-Bauer?

Auf dem Hof gibt es keine Diskriminierung, da die queeren Landwirt:innen eine Art Blase schaffen. Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität spielen da keine Rolle. Auch die Beziehungen zu den Nachbar:innen sind gut. Probleme treten eher während der Ausbildung oder ausserhalb des Betriebes auf.

“Homosexuelle Frauen sind selten Opfer direkter Angriffe, doch sie verbergen ihre sexuelle Orientierung.”

Prisca Pfammatter

Welche Art von Problemen?

Um sich zu schützen, trauen sich lesbische Landwirtinnen oft nicht, sich während der Ausbildung zu outen. Es ist bereits so schwierig, als Frau in der Landwirtschaft ernst genommen zu werden. Häufig ist man als Frau mit sexistischen Bemerkungen konfrontiert.

Homosexuelle Frauen werden daher doppelt diskriminiert. Ich habe zum Beispiel eine Landwirtin getroffen, die sich nicht getraut hat, ihre Partnerin zu ihrer Abschlussfeier einzuladen, weil sie Angst vor der Reaktion ihrer Kolleg:innen hatte.

Homosexuelle Frauen sind selten Opfer direkter Angriffe, doch sie verbergen ihre sexuelle Orientierung. Sie fühlen sich in einem Umfeld, in dem Heterosexualität immer noch als Norm dargestellt wird, ausgegrenzt. Auch homophobe Sprüche sind üblich.

Ist die Situation für Transgender-Frauen schwieriger?

Ja, da sie ihre Transidentität nicht verbergen können, werden sie stärker diskriminiert. Eine Transgender-Frau erzählte mir etwa, dass sie ihren Sohn nicht mehr ins Schwingtraining brachte. Ein Sport, in dem noch sehr konservative Vorstellungen vorhanden sind. Sie befürchtete, dass ihr Sohn belästigt werden könnte. Ihre Kinder wurden wegen ihrer Transition in der Schule gemobbt. Sie zog sich daher etwas zurück, um ihrer Familie zu schützen.

Vor ihrem Coming-out war es beruflich so, dass wenn sie externe Dienstleistende beauftragen musste, diese jeweils am nächsten Tag kamen. Jetzt gehen sie zuerst zu allen anderen Bauernhöfen, bevor sie zu ihr kommen. Als Transgender-Frau hat sie ihre Glaubwürdigkeit in der Branche verloren.

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Dennoch werden LGBTIQ-Menschen in der Gesellschaft immer besser akzeptiert. Warum findet diese Entwicklung nicht auch in der Landwirtschaft statt?

Es gibt mehrere mögliche Erklärungen dafür. Einige ländliche Regionen sind stark vom Katholizismus geprägt. Religion spielt dort also eine wichtige Rolle. Andererseits ist auch die Vorstellung, dass Homosexualität ein städtisches Phänomen ist, weit verbreitet, einfach weil sie in den Städten sichtbarer ist. Queere Menschen sind jedoch überall zu finden.

Wie könnte sich die Landwirtschaft verbessern, um integrativer zu werden?

Es ist vor allem das Ausbildungssystem, das sich ändern müsste. Es besteht aus zwei getrennten Ausbildungsgängen, was eine Schweizer Besonderheit ist. Auf der einen Seite gibt es die Lehre zur Bäuerin, die einzige Ausbildung in der Schweiz, die ausschliesslich auf Frauen ausgerichtet ist. In ihr lernt man, wie man Hausarbeit und Verwaltungsarbeit erledigt oder sich um den Direktverkauf von Produkten des Bauernhofs kümmert. 2019 besuchte erstmals ein Mann diese Schule.

Regenbogen über Bauernhof
Ein Regenbogen, das Symbol der LGBTIQ-Bewegung, über einem von Prisca Pfammatter untersuchten Bauernhof. Die Landwirtschaft hat immer noch Schwierigkeiten, sexuelle Minderheiten zu integrieren. ldd

Auf der anderen Seite wird die Ausbildung zum Landwirt, die sich mit der Führung des Betriebs, der Bearbeitung des Bodens, der Viehzucht und der Wartung der Maschinen befasst, zu 80% von Männern absolviert. Dies begünstigt eine sehr klare und traditionelle Aufteilung der landwirtschaftlichen Arbeit entlang der Geschlechterachse: Frauen übernehmen bestimmte Aufgaben, Männer andere.

Es muss ein System eingeführt werden, das beide Aspekte des Berufs zusammenführt, um mehr Gleichberechtigung zu schaffen. Es sollte nicht das Geschlecht einer Person bestimmen, welche Aufgaben sie zu erfüllen hat.

Dabei haben queere Landwirt:innen bereits eine neue Art der Arbeitsteilung eingeführt.

Tatsächlich haben queere Bauernhöfe eine gleichberechtigte Arbeitsteilung, die in allen landwirtschaftlichen Betrieben übernommen werden könnte. Die Rollen werden dort je nach Interesse, Fähigkeiten oder verfügbarer Zeit festgelegt.

Queer (sprich: kwier) ist ein englisches Wort und bedeutet „seltsam, komisch“. Eigentlich gehörte es zu den vielen Schimpfwörtern, die in allen Sprachen zur Bezeichnung von Homosexuellen im Umlauf waren. Doch seit den 1990er Jahren verwendet die LGBTIQ-Gemeinschaft das Wort zur Selbstbezeichnung und besetzen es damit positiv.

übersetzt aus dem Französischen von Melanie Eichenberger

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