"Wilhelm Tell" besucht erstmals die Schweiz
Seit Friedrich Schillers "Wilhelm Tell” vor 200 Jahren uraufgeführt wurde, haben unzählige Berufs- und Laienschauspieler den Titelhelden dieses Dramas gespielt.
Doch der Mann, der für Millionen von Fernsehzuschauern in aller Welt den Schweizer Nationalhelden verkörperte, ist in Tat und Wahrheit ein Brite.
Auf Einladung von swissinfo besuchte Wilhelm Tell, alias Conrad Phillips, kürzlich zum ersten Mal die Schweiz.
Der 79-jährige Schauspieler erhält noch immer Fan-Post, obschon es fast 50 Jahre her ist, seit er zum letzten Mal als Hauptdarsteller der britischen Fernsehserie "Die Abenteuer des Wilhelm Tell" auf der Bühne stand. (s. Audio und Video)
Was er nicht ahnen konnte, als er den Apfel auf dem Kopf seines Sohnes ins Visier nahm, war die Tatsache, dass sein Tellschuss dereinst in der ganzen Welt bekannt sein würde – dank dem Verkauf von Zweitausstrahlungs-Rechten an Fernsehanstalten in vielen Ländern.
"Sogar hinter dem Eisernen Vorhang", meint Phillips stolz, während er einen ersten Blick auf die Innerschweizer Alpenlandschaft wirft, die für die Tellen-Sage eine passende Kulisse abgibt.
Er hätte es vorgezogen, einige Szenen am "Originalschauplatz" zu filmen, sagt Phillips, aber sein damaliger Produzent sei der Meinung gewesen, Fels sei Fels, und habe daher die Dreharbeiten aus Kostengründen kurzerhand in die Berge von Snowdonia in Norden von Wales verlegt.
Überlebensgross
"Die Abenteuer des Wilhelm Tell" war eine Serie für Kinder voller überlebensgrosser Figuren, angeführt von Tell und dem bösen österreichischen Landvogt Gessler.
Gessler ist ein übergewichtiger Erz-Bösewicht, ein komischer Trottel mit bösartigem Charakter und somit in vieler Hinsicht ein Vorläufer jenes "Bad guy"-Typen, der später in unzähligen Action-Serien und Filmen immer wieder sein Unwesen trieb.
Fast 50 Jahre später trifft Phillips nun auf eine fast ebenso ausgefallene Ansammlung von Darstellern – diesmal aber am eigentlichen Schauplatz des Geschehens, im Herzen der Schweiz.
Diese Hüter der Legende fühlen sich berufen, die Wahrheit der Tellen-Sage gegen eine Übermacht von Ungläubigen und Gleichgültigen verteidigen zu müssen. Im Brustton der Überzeugung, untermalt mit markanten Gesten, versuchen sie, den Besucher von ihrem Standpunkt zu überzeugen.
"Den Tell muss es gegeben haben", beharrt Thomas Christen vom Tell-Museum in Bürglen, dem angeblichen Geburtsort des Armbrust-bewehrten Rächers.
"Hier hat der Tell dem Gessler aufgelauert!" verkündet Hans Grossrieder mit lauter Stimme. Er ist Sekretär der Stiftung, die den als Hohle Gasse bekannten Waldstrich heute verwaltet.
Phillips, noch immer Vollblut-Schauspieler, leiht ihnen seine ungeteilte Aufmerksamkeit, die sie für sich und ihre Geschichte mit grosser Selbstverständlichkeit in Anspruch nehmen.
Tell heute
Überrascht ist Phillips jedoch von der milden Art des Thomas Gisler, des Laienschauspielers, der dieses Jahr im Telltheater von Altdorf, wo das Drama von Schiller 1895 erstmals aufgeführt wurde, die Hauptrolle gibt.
Gisler sei ein seltener Vogel, stellt Phillips fest, einer, der sich sehr zurückhaltend über die sagenhafte Figur äussere.
"Wenn man Schiller liest, so fällt einem auf, dass Tell eigentlich ein Sonderling ist, fast ein wenig egoistisch, und so stellen wir ihn auf der Bühne auch dar", sagt Gisler
"Er verteidigt einfach seine Familie. Da ist nichts Politisches dran."
Phillips meint, Gisler habe nicht unrecht. Die Altdorfer Produktion hält sich denn auch enger an die Vorlage, als dies Phillips Fernsehserie damals getan hatte.
"Trotzdem", meint Phillips, "bei unserer Fernsehserie ging es in erster Linie darum, einige einfache Wahrheiten zu zeigen: Ehrlichkeit, Integrität und Loyalität, und die verkörperte eben der Wilhelm Tell".
"Jetzt, wo ich hier bin, fühle ich fast so etwas wie Demut, vor dem ganzen Gewicht der Geschichte, dem Gewicht der Legende und der Tatsache, dass ich auch meinen Teil dazu beigetragen habe, diese Sage am Leben zu erhalten, auch wenn es in Form von Unterhaltung geschah."
"Das ist doch etwas wert, meine ich, denn dadurch wurde die Idee, um die es beim Tell ging, und um die es schliesslich auch bei der Schweiz ging, am Leben erhalten."
swissinfo, Dale Bechtel Altdorf
(Übersetzung aus dem Englischen: Dieter Kuhn)
In Kürze
Die 39-teilige Serie "Die Abenteuer des Wilhelm Tell" wurde vom britischen Fernsehen ursprünglich 1958 und 1959 ausgestrahlt.
Die Schlüsselszenen der Tellen-Sage werden alle in der ersten Episode gezeigt.
Nach dem Ende der Tell-Serie stand Conrad Phillips noch in zahlreichen Fernseh-, Theater- und Filmproduktionen als Darsteller im Rampenlicht.
In den 80er Jahren spielte er in "Crossbow", einer französichen Produktion, die sich sehr frei auf die Tellen-Sage abstützte, eine Nebenrolle.
Phillips reiste auf Einladung von swissinfo zum ersten Mal in die Schweiz, um die Schauplätze der Tellen-Sage zu besuchen.

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