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Warum die Gletscherschmelze uns alle betrifft

Welche Gefahren birgt der Rückzug der Gletscher für die Alpen?

Hängebrücke beim Trift-Gletscher in den Berner Alpen. Keystone / Urs Flueeler

Das Schmelzen der Gletscher führt zu einer Destabilisierung der Berge und erhöht das Risiko von Murgängen und Überschwemmungen.  Es eröffnen sich aber auch neue Szenarien für den alpinen Tourismus.

Dieser Inhalt wurde am 30. September 2019 - 11:00 publiziert

ZermattExterner Link in diesem Sommer: Ein heisser Tag ohne Regen. Die Einheimischen bereiten sich auf das Abendessen vor, während Touristen die frische Bergluft geniessen und durchs Dorf spazieren. Nichts lässt darauf schliessen, dass der Triftbach, der friedlich durchs Dorf plätschert, zu einem reissenden Strom werden wird, der das Dorf mit Wasser und Schlamm überspült.

Glücklicherweise hat das Hochwasser des Triftbachs keine Opfer gefordert. Doch Häuser und Infrastrukturen wurden beschädigt. Grund war das plötzliche Auslaufen eines unterirdischen Gletschersees beim Triftgletscher. Grosse Wassermengen mit Schutt und Steinen donnerten den Triftbach hinunter. "Ein unvorhersehbares Naturereignis", sagte Gemeindepräsidentin Romy Biner-Hauser.

Solche Naturphänomene frühzeitig zu erkennen, sei tatsächlich "extrem schwierig", anerkennt auch Christophe LambielExterner Link, Professor für Geowissenschaften an der Universität Lausanne. Vorhersehbar sei hingegen die Entwicklung, dass die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse auf Grund des Klimawandels steigen wird. "Einige Alpendörfer sind bedroht", so Lambiel.

INFOBOX: Warum sind Gletscher so wichtig?

Eine Artikelserie von swissinfo.ch zeigt die Folgen der Gletscherschmelze gemäss Höhenstufen auf: Dargestellt werden auch Strategien, darauf zu reagieren und diese Entwicklung zu bremsen.

3000-4500 Meter: Gletscherseen und Landschaft
2000-3000 Meter: Naturgefahren und Tourismus
1000-2000 Meter: Stromgewinnung aus Wasserkraft (Publikation im Oktober)
0-1000 Meter: Wasserressourcen (November)

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Eine im Gletscher versteckte Gefahr

Hohe Temperaturen und anhaltende Hitzewellen beschleunigen das Schmelzen von Schnee und Gletschern in den Bergen. Auf, neben oder unter den Gletschern können durch Schmelzwasser Seen unterschiedlicher Dimension entstehen.

Dieser See hat sich bei einem Gletscher am Matterhorn gebildet. © Keystone / Olivier Maire

Mit Webcams oder Satellitenbildern lassen sich Seen überwachen, die auf einem Gletscher entstehen. Diese Seen sind am unproblematischsten. Der See von Les Faverges auf dem Gletscher Plaine MorteExterner Link, auf 2700 Metern Höhe zwischen den Kantonen Bern und Wallis, entleert sich jedes Jahr auf natürliche Art und Weise. Ein Alarmsystem tritt in Kraft und warnt die Bevölkerung, wenn der Seepegel zu sinken beginnt.

Die folgende Animation veranschaulicht die natürliche Entleerung des Sees von Les Faverges:

Externer Inhalt

Der See von Les Faverges wird jedes Jahr grösser. Um Überschwemmungen im Dorf Lenk und im Simmental zu vermeiden, wurde vor kurzem ein künstlicher Entwässerungsstollen gebaut. Diese Lösung fand auch beim Unteren Grindelwaldgletscher im Berner Oberland vor rund 10 Jahren Anwendung.

Gefährlicher als diese Art von Seen sind laut Christophe Lambiel allerdings die Wasseransammlungen im Inneren der Gletscher. Die Seen unterhalb der Gletscheroberfläche können Tausende von Kubikmetern Wasser enthalten. Das Risiko besteht darin, dass sie ohne Warnung plötzlich auslaufen, wenn das Wasser sich eine Bahn durch das Eis gebahnt hat. "Wie im Fall von Zermatt entdeckt man diese Seen, wenn es zu spät ist", meint Christophe Lambiel.

Gemäss dem Walliser Kantonsgeologen Raphaël Mayoraz wäre es "viel zu kompliziert und kostspielig", solche Seen über Sonden aufzuspüren, wie er gegenüber der Tageszeitung Le Nouvelliste sagte.  Doch es gibt Alternativen: Beispielsweise die Verwendung von Geophonen zur Erkennung seismischer Wellen und Untergrundbewegungen, oder Sensoren, welche die abfliessende Wassermenge in Bächen und Flüssen messen.

Gletscherseen und Tourismus

Die neuen Bergseen, die sich durch das Schmelzen der Gletscher bilden, führen einerseits zu einem höheren Risiko von Naturkatstrophen. Andererseits kann das Auftauchen dieser Seen auch Landschaften bilden, die von touristischem Interesse sind.

Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2014 könnten in den Alpen Hunderte neuer Seen entstehen, deren Gesamtoberfläche 50 Quadratkilometer erreichen würde. Diese Seen "bereichern die Landschaft", heisst es in der Studie. Hängebrücken (wie beim Triftgletscher im Berner Oberland), Klettersteige und Lehrpfade könnten neue Attraktionen für Berggänger werden.

 + Wenn Seen die Gletscher ersetzen: Vorteile und Risiken

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Gefährdete Stabilität der Berge

Neu entstandene Seen in den Bergen stellen nicht die einzige Gefahr für Dörfer, Wege, Strassen und Infrastruktur in der Alpenregion dar. "In Folge des Anstiegs der Temperaturen verlieren auch die so genannten "hängenden Gletscher" an sehr steilen Bergflanken ihre Haftung. Es kann zu Eislawinen kommen. Solch ein Phänomen hatten wir 2017 in Saas Grund im Wallis", sagt Christophe Lambiel.

Der Rückzug der Gleitscher, das Auftauen des Permafrostes Externer Link– eigentlich dauerhaft gefrorenes Erdreich in einer Quote von über 2500 Metern Höhe – destabilisieren die Bergflanken. Grosse Massen von Material können sich lösen und bei Niederschlägen zu Tal gehen, wie das beratende Organ für Fragen der Klimaänderungen (OcCC) festhält.

Das Berggasthaus "Stieregg" (Bern) im Jahr 2005. Der fehlende Druck des Gletschers gegen die Moräne hatte das Terrain unstabil gemacht. Keystone / Peter Schneider

Die Veränderungen der Landschaft in Folge des Klimawandels stellen für Hüttenwarte eine anhaltende Herausforderung dar. Rund ein Drittel der 153 Berghütten des Schweizer Alpen-Clubs  (SAC) Externer Linkbefindet sich in der Nähe eines Gletschers.

Um beispielsweise zur Trifthütte zu gelangen, die lange über eine Gletscherzunge erreichbar war, wurde eine Hängebrücke gebaut, die inzwischen zu einer Touristenattraktion geworden ist. Infolge des Klimawandels musste auch der Zugang zur Monte-Rosa-Hütte ganz neu angelegt werden. Laut dem SACExterner Link ist dieser Zugang sicherer, kürzer und bedarf weniger Unterhalts.

Der alte Zugang zur Monte-Rosa-Hütte (dunkelgrün) und der neue Weg (hellgrün). CAS-Tourenportal / swisstopo

Wo sich keine alternative Routen finden lassen, müssen die SAC-Mitarbeiter die alten Wege instand setzen und unterhalten. Für René Wyss, Wegmacher und Mitglied der SAC-Hüttenkommission, bedeutet dies eine harte und häufig gefährliche Arbeit an den Bergflanken.

Wird es gefährlicher in den Bergen?

Christophe Lambiel von der Universität Lausanne ist häufig im Alpengebiet unterwegs. Er behauptet, sich heute eher sicherer zu fühlen als in der Vergangenheit. Denn seiner Meinung nach ist die Gefahr, die von den Gletschern ausgeht, "wahrscheinlich geringer als vor 150 Jahren".

Wie erklärt er das? "Die Gletscher sind kleiner, und somit gibt es weniger Eis", sagt Lambiel und verweist auf einige Katastrophen aus dem vergangenen Jahrhundert. Etwa die Tragödie von 1965 am Staudamm Mattmark im Vallis, bei der 88 Personen ums Leben kamen.

Besondere Vorsicht bei Hitze

"Wir wissen, welche Gletscher in der Schweiz problematisch sind", meint Lambiel. Im Wallis gebe es zwei, den Triftgletscher und den Weisshorngletscher. Und trotz eines dichten Messnetzes und Warnsystems lädt der Wissenschaftler dazu ein, immer auf der Hut zu sein: "Wir können nicht alles kontrollieren. Den Alpinisten und Berggängern empfehle ich daher, aufzupassen und alle möglichen Vorsichtsmassnahmen zu ergreifen, vor allem in Hitzeperioden."


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