
China tritt als neuer Friedensstifter auf – ist das glaubwürdig?

Die Teilnahme der Schweiz an der Gründung des von Peking geleiteten globalen Mediationsinstituts verlieh diesem mehr Gewicht. Doch bleibt die Frage, ob die chinesische Initiative zum Durchbruch bei der Eindämmung von Konflikten wird. Oder ein Versuch bleibt, westliche Rivalen zu untergraben.
China hat ehrgeizige Pläne für die Einrichtung des weltweit ersten Gremiums zur Beilegung internationaler Streitigkeiten durch Mediation.
Die bisherigen Reaktionen unterstreichen lediglich die Kluft zwischen den Verbündeten der westlichen Mächte und den Ländern, die im aufstrebenden asiatischen Wirtschaftsriesen ein Gegengewicht sehen.
Wie das chinesische Aussenministerium mitteilteExterner Link, nahmen am 30. Mai insgesamt 85 Staaten aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa an der Eröffnungszeremonie der Internationalen Organisation für MediationExterner Link (IOMed) in Hongkong teil.
Etwas mehr als 30 von ihnen unterzeichneten eine Konvention zur Gründung der Institution. Berichten zufolge waren Serbien und Weissrussland die einzigen europäischen Unterzeichnerländer.
Einige sehen in diesem Projekt Chancen. Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis, der von China eingeladen wurde, sagte den DelegiertenExterner Link, die Schweiz unterstütze Initiativen, die «pragmatische Lösungen» im Rahmen einer stabilen internationalen Ordnung bieten würden.
Andere sagen, dass der Fokus des neuen Gremiums Streitigkeiten auf freiwilligen Vereinbarungen lösen könnte, bei denen der Rechtsweg gescheitert ist, oder Länder besser vertreten könnte, denen es an einer Stimme auf der Weltbühne fehlt.
Dennoch ist noch nicht klar, ob China in einer Zeit der Spannungen mit dem Westen wesentlich mehr Länder davon überzeugen kann, sich seinem Plan anzuschliessen.
Zudem bleibt die Frage, ob China den Verdacht ausräumen kann, es versuche, bereits etablierte Schiedsgerichte zu verdrängen, die von seinen geopolitischen Rivalen aufgebaut wurden.
Angst vor einer Parteinahme
«Viele Staaten möchten vielleicht vermeiden, dass man meint, sie würden zu einer Seite halten», sagt Xinyu Yuan, Forscherin für chinesische Global Governance am Geneva Graduate Institute. «Die Unterzeichnung eines von China geführten Abkommens könnte als Annäherung empfunden werden.»
Der ständige Ausschuss der nationalen Legislative in Peking billigte die Konvention am 27. Juni und gab an, dass er Streitigkeiten mit der Welthandelsorganisation nicht vor die IOMed bringen werde, berichtete die South China Morning Post unter Berufung auf die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.
Obwohl die vollständige Liste der Gründungsmitglieder noch nicht offiziell veröffentlicht wurde, sagte Dana Landau, Co-Leiterin und Senior Researcherin im Bereich Mediation bei der in Basel ansässigen Stiftung Swisspeace, dass 33 Länder die Konvention in Hongkong unterzeichnet hättenExterner Link.
Die prominente Anwesenheit der Schweiz, die seit mehr als einem Jahrhundert als Vermittlerin in Konfliktfällen tätig ist, trug dazu bei, die Lancierung zu vervollständigen.
Dennoch kamen die Unterzeichnerstaaten hauptsächlich aus dem so genannten Globalen SüdenExterner Link. Dieser Begriff fasst Länder mit einem im Allgemeinen niedrigeren Durchschnittseinkommen zusammen. Viele davon wurden in der Vergangenheit von europäischen Imperien kolonialisiert.

Laut Landau von Swisspeace sehen sich die Schweiz und andere an der Streitbeilegung beteiligte Länder mit tektonischen Verschiebungen konfrontiert, darunter wachsende geopolitische Rivalitäten und eine Aushöhlung der internationalen Regeln und der Gremien, die sie durchsetzen. «All dies hat die Vermittlungsbemühungen der Schweiz in vielen Kontexten erschwert», sagt sie.
In den letzten Jahren wurde das Angebot der Schweiz, gute Dienste zu leisten, bei zahlreichen Gelegenheiten abgelehnt:

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Mediation für Staaten und Einzelpersonen
Peking fördert IOMed als alternatives Instrument zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Regierungen sowie zwischen einem Staat und Einzelpersonen aus einem anderen Staat – beispielsweise ausländischen Investorinnen und Investoren.
Auch internationale Handelsstreitigkeiten, die in gegenseitigem Einvernehmen eingereicht werden, sollen von IOMed bearbeitet werden.
Zweifelnde könnten das Projekt im Zusammenhang mit den Bemühungen Pekings sehen, seinen Einflussbereich auszuweiten und Alternativen zur seit langem bestehenden internationalen Ordnung zu fördern, die von den westlichen Nationen aufgebaut wurde.
Diese reichen von Investitionen und Kreditvergabe im Rahmen der «Belt and Road Initiative» in Übersee über das Engagement mit Russland während des Kriegs in der Ukraine bis hin zur Förderung des chinesischen Yuans als Alternative zum Dollar im internationalen Handel und Finanzwesen.
«IOMed signalisiert eine neue Phase in Chinas diplomatischer Strategie als Grossmacht», schreibt Hiroyuki AkitaExterner Link, Kommentator der japanischen Zeitung Nikkei und Autor von Büchern über die Beziehungen zwischen den USA, Japan und China, in einer am 15. Juni veröffentlichten Stellungnahme. «Wenn Chinas Bemühungen weiter zunehmen, eine parallele Weltordnung aufzubauen, wird sich die globale Polarisierung vertiefen.»
Die Regierung von HongkongExterner Link, die IOMed in einem Polizeirevier aus der Kolonialzeit unterbringen will, erklärte, die Einrichtung werde dem Internationalen Gerichtshof und dem Ständigen Schiedsgerichtshof (PCA) in Den Haag «ebenbürtig» sein.
Im Jahr 2016 lehnte Peking einen Entscheid des PCA ab, der im Wesentlichen zugunsten der Philippinen in Bezug auf strittige Ansprüche im Südchinesischen Meer ausfiel.
China beteiligte sich nicht an dem Tribunal, da es zuvor erklärt hatte, dass die Angelegenheit aufgrund eines Schlüsselartikels des Seerechtübereinkommens der Vereinten Nationen von einem solchen Verfahren ausgenommen sei. Das Tribunal wies dieses Argument jedoch zurückExterner Link.
Besorgniserregende Menschenrechtsbilanz
«Chinas Bilanz in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen, das Südchinesische Meer und andere Themen wie Grenzstreitigkeiten und internationale Urteile ist offensichtlich besorgniserregend», sagt Yun Sun, Fellow der Brookings Institution und Expertin für chinesische Aussenpolitik, gegenüber Swissinfo.
«Ich glaube, dass das Schiedsverfahren von 2016 der Ursprung der IOMed ist. Neben Rechtsstreitigkeiten und Schiedsverfahren könnte es einen weiteren Weg geben: die Mediation.»
Es gebe «keine Garantie dafür, dass andere Länder die IOMed als fair, gerecht und unparteiisch ansehen», schrieb sie am 6. Juni auf der Website der in Washington ansässigen DenkfabrikExterner Link.
Chinesische Beamte haben argumentiert, das Gremium sei eine Bereicherung für das weltweite Verhandlungsarsenal. Sun Jin, der die Einrichtung der IOMed in der Abteilung für Verträge und Recht des chinesischen Aussenministeriums beaufsichtigt, schrieb in einem Papier zu diesem ThemaExterner Link, die IOMed sei eine «nützliche Ergänzung zu den bestehenden Streitbeilegungsinstitutionen und -methoden».
China ist für einige vorteilhafter
Yuan vom Geneva Graduate Institute sagt, andere Nationen aus dem globalen Süden könnten bereit sein, sich anzuschliessen, da sie der Meinung seien, dass China für sie vorteilhafter ist und ihre Stimmen in den derzeitigen Institutionen nicht angemessen vertreten seien.
So gab das Internationale Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten der Weltbank anExterner Link, dass im Jahr 2022 fast zwei Drittel der Schiedsrichter, Schlichterinnen und «Ad-hoc-Ausschussmitglieder», die für seine Fälle ernannt wurden, aus Westeuropa oder Nordamerika stammten.
Laut Daten der WeltbankExterner Link und des Internationalem WährungsfondsExterner Link entfällt auf diese beiden Regionen in diesem Jahr weniger als die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung, auf Grundlage der Kaufkraftparität lediglich etwa ein Drittel.
Wie dem auch sei, ohne eine breitere Unterstützung auf der ganzen Welt wird es Chinas Vermittlungsversuch schwerfallen, die geopolitische Kluft zu überwinden, die bei seiner Gründung sichtbar wurde.
«Wenn sich die IOMed bei der Schlichtung internationaler politischer und wirtschaftlicher Streitigkeiten aufgrund ihres einzigartigen Standorts und ihrer Rechtsgrundlage als wirksam erweist, wird sie eine ernsthafte Konkurrenz zu den bestehenden internationalen Streitbeilegungsmechanismen sein», schrieb Sun in ihrem Artikel für die Brookings Institution: «Aber die Jury hat noch nicht entschieden.»
Editiert von Tony Barrett/ac

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