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Wieso spanische Zeitungen auf die Schweiz zielen

Illustration mit Marta Rovira und spanischen Zeitungen
Marta Rovira lebt im Genfer Exil – sie ist nicht die einzige Katalanin, die sich in die Rhonestadt abgesetzt hat. Screenshot composite / Wikimedia 4.0 Marcpuigperez

Kritische Beiträge über die Schweiz häufen sich momentan in spanischen Medien. Das hängt mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zusammen. Und damit, wie die spanische Politik das Katalonien-Thema bewirtschaftet.

“Die Schweiz weigert sich zu kooperieren”: So und ähnlich titelten in den letzten Wochen mehrere spanische Zeitungen, hauptsächlich solche aus dem konservativen Spektrum. Auslöser ist ein spanisches Rechtshilfeersuchen, dass Ende 2023 an die Schweiz gerichtet wurde und Marta Rovira betrifft.

Rovira ist Generalsekretärin der Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), einer linken Partei, die sich für ein unabhängiges Katalonien einsetzt. Sie setzte sich 2018 nach Genf ab. Daraufhin hat die spanische Justiz sie zur Fahndung ausgeschrieben.

Warum wird die Schweiz in Spaniens Medien kritisiert?

In manchen Zeitungen wird berichtet, die Schweiz habe das spanische Rechtshilfeersuchen abgelehnt – was falsch ist. Raphael Frei vom Bundesamt für Justiz (BJ) klärt auf Anfrage: “Das Ersuchen wird derzeit geprüft. Im Rahmen dieser Prüfung wurde eine Rückfrage an das spanische Justizministerium gerichtet.”

Da es sich um ein laufendes Verfahren handle, erteilt das BJ keine weiteren Auskünfte. Es bestätigt aber, dass auch der Name Ruben Wagensberg im Zusammenhang mit dem Rechtshilfeersuchen auftaucht. Wagensberg ist Abgeordneter der ERC und seit kürzlich ebenfalls in Genf lebend. Die Vorwürfe der spanischen Justiz gegen Rovira und Wagensberg sind happig, es geht unter anderem um Terrorismus.

Das Ganze geht zurück auf ein Gerichtsurteil von 2019: Damals wurden prominente katalanische Politiker:innen wegen ihrer Rolle beim umstrittenen Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens 2017 verurteilt. In der Folge kam es zu mehrtägigen Unruhen in mehreren Städten im Land.

Eine der Aktionen war die von der Protestgruppe Tsunami Democràtic organisierte Besetzung des Flughafens Barcelona. Rovira und Wagensberg sollen gemäss spanischen Behörden daran massgeblich beteiligt gewesen sein.

Tausende von Menschen legen den Flughafen von Barcelona lahm
Darum geht’s: Am 14. Oktober 2019 rief der Tsunami Democratic dazu auf, den Flughafen Barcelona lahmzulegen – als Reaktion auf die Verurteilung mehrerer katalanischer Politiker:innen. KEYSTONE

Hat Spaniens Rechtshilfeersuchen überhaupt eine Chance?

Die Antwort der Schweiz auf das Gesuch wurde in Spanien offenbar den Medien zugespielt, denn mehrere Medien zitieren daraus. Dass die Schweizer Behörden nach mehr Informationen ersucht haben, wurde verschiedentlich als Zeichen interpretiert, dass die Schweiz von den spanischen Vorwürfen nicht überzeugt ist.

Gerhard Fiolka, Professor für Internationales Strafrecht an der Universität Freiburg, teilt diese Einschätzung: “Die Schweiz ist in der Regel Rechtshilfeersuchen gegenüber tendenziell positiv eingestellt. Aber: In diesem Fall gibt es eine klare politische Dimension, das macht es komplexer.” Damit solchen Gesuchen nachgekommen werde, müsste die Tat auch nach Schweizer Recht strafbar sein. Im RechtshilfegesetzExterner Link gibt es allerdings spezifische Ausschlusskriterien, etwa wenn es sich um ein politisches Delikt handelt.

“Die spanische Behörde macht hierbei den Tatbestand des Terrorismus geltend. Dieser ist im spanischen Recht sehr weitschweifig definiert”, so Fiolka. Es gebe gute Gründe, hier von einem politischen Delikt auszugehen – denn die Betroffenen fielen zwar durch politische Aktivität auf, aber nicht durch den Einsatz von Gewalt. Er geht denn auch davon aus, dass die Schweiz das Gesuch ablehnen wird.

Wieso ist die Katalonien-Frage in Spanien so wichtig?

Das Spannungsverhältnis zwischen Zentralstaat und regionalen Unabhängigkeitsbewegungen ist historisch einer der grossen, traditionsreichen Konflikte der spanischen Innenpolitik. In Spanien nimmt die Katalonien-Frage deshalb einen wichtigen Platz ein. “Insbesondere für die Konservativen und die Rechten ist es ein emotionales und wichtiges Thema”, sagt der Politikwissenschaftler Alejandro Quiroga Fernández de Soto von der Universidad Complutense in Madrid.

“Manche Parteien haben da viel politisches Kapital investiert. Es ist ein wichtiges Element in ihrem politischen Diskurs – und wird so auch konstant in den Medien bespielt.” Gemäss Umfragen seien der Bevölkerung aber andere Themen wichtiger, Fragen zu Inflation oder Kaufkraft beispielsweise.

Trotz Protesten finden Verhandlungen unter anderem in der Schweiz statt. Das bringt die Opposition erst recht auf die Palme. Audio-Beitrag von Radio SRF vom 6.12.2023:

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Gemäss Quiroga Fernández de Soto sind diejenigen Richter:innen, die federführend an der Verfolgung der Separatist:innen beteiligt sind, den Konservativen eng verbunden.

Dass die spanische Justiz gerade jetzt aktiv geworden ist, ist kein Zufall: Die regierende sozialistische PSOE und die separatistisch-katalanischen Junts führen in Genf Gespräche über eine Amnestie. Die erste Gesprächsrunde fand im Dezember statt, eine zweite soll folgen. Die Verhandlungen werden insbesondere von der konservativen PP und der rechtspopulistischen Vox heftig kritisiert. Wichtig dabei: Verurteilungen wegen Terrorismus fielen ursprünglich nicht unter die Amnestie. Am 7. März wurde das Gesetz von der Justizauskommission des Kongresses gebilligt und umfasst nun auch geringfügige terroristische Straftaten.

Was sagt die offizielle Schweiz dazu?

Die Schweiz ist an den Gesprächen zwischen PSOE und Junts nicht beteiligt, wie das Schweizer Aussenministerium (EDA) auf Nachfrage sagt. Allerdings hat sie in der Vergangenheit angeboten, die Mediation zwischen Spaniens Zentralregierung und separatistischen Gruppierungen in Katalonien zu führen – was die damals regierenden Konservativen ablehnten und auch von der heutigen PSOE-Regierung nicht in Anspruch genommen wird.

Separatistische Bewegungen setzen überall auf der Welt immer wieder auf die Internationalisierung eines Konflikts, also den Einbezug anderer Staaten oder externen Akteuren. Damit kann via internationalen Druck die eigene Position gestärkt werden. Im Fall von Spanien hat das die Zentralregierung stets zu verhindern versucht. Das EDA betont auf Anfrage, dass “die Frage der Unabhängigkeit Kataloniens eine Angelegenheit der spanischen Innenpolitik ist und dass diese Frage im Rahmen der spanischen Verfassungsordnung behandelt werden muss.”

Blick auf das Zentrum für Humanitären Dialog in Genf
Mediation und diskrete Diplomatie: So beschreibt das Centre for Humanitarian Dialogue seine Aktivitäten. KEYSTONE

Warum verhandelt Spanien und die Separatismusbewegung in Genf?

Dass nun in Genf Verhandlungen stattfinden, dürfte mehrere Gründe haben. In Genf sind katalanische Separatist:innen sicherer vor der spanischen Justiz als in der Europäischen Union. So gibt es innerhalb der EU den europäischen Haftbefehl – wird jemand damit gesucht, gibt es kaum Möglichkeiten die Anschuldigungen zu prüfen. An die Schweiz müssen EU-Staaten hingegen stets ein Rechtshilfeersuchen schicken, was umständlicher ist. Das ist für politische Verhandlungen ein eher vorteilhafter Rahmen.

Zudem sind in Genf natürlich zahlreiche internationale Organisationen; die Wege sind kurz. Zusätzlich gibt es eine historische Dimension: In Genf haben bereits früher Verhandlungen mit Delegationen aus Spanien stattgefunden. Das Zentrum für Humanitären Dialog ist eine verschwiegene diplomatische Organisation, die aus der Rotkreuzbewegung hervorgegangen ist, beherbergte in den Nullerjahren die Verhandlungen zwischen dem spanischen Staat und der baskischen Terrororganisation ETA. Im selben Zentrum finden auch die jetzigen Verhandlungen über die Straffreiheit der Separatist:innen statt. Damit wird dort auch ein Stück von Kataloniens Zukunft verhandelt.

Editiert von Benjamin von Wyl

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