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Sind die Schweizer Universitäten Opfer ihres Erfolgs?

Viele junge Menschen vor der EPFL
In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Bachelor- und Masterstudierenden an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) fast verdoppelt. Keystone

Die renommierte Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) erwägt, die Zahl der internationalen Studienplätze zu begrenzen, um die Qualität der Ausbildung zu sichern. Das wirft ein Schlaglicht auf den Boom der Schweizer Universitäten und der internationalen Zulassungen.

Überfüllte Hörsäle, Bibliotheken und Cafeterias und in manchen Fällen wenig Kontakt zwischen Studierenden und Lehrpersonen – die EPFL-Absolventinnen und Absolventen kennen einige der Wachstumsschmerzen der Hochschule.

“Es ist ein Kampf, einen Platz in einer Vorlesung zu ergattern – das ist nicht ideal”, sagt Charles Fontannaz, einer von Hunderten Studierenden im zweiten Jahr seines Bachelorstudiums in Maschinenbau.

Wer nicht früh genug aufstehe, riskiere, auf dem Boden sitzen oder die Vorlesung via Livestream in einem Nebenraum verfolgen zu müssen, sagt er gegenüber SWI swissinfo.ch.

Die EPFL rangiert regelmässig unter den besten Hochschulen Europas und zieht Studierende, Forschende und Lehrende aus der ganzen Welt an.

In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Bachelor- und Masterstudierenden auf rund 11’000 fast verdoppelt. Insgesamt kommen 55% aller Bachelorstudierenden aus dem Ausland, davon 90% aus Frankreich.

Bei den Masterstudierenden (64,9% aus dem Ausland) und den Doktorierenden (85,7%) sind die Zahlen noch höher. Auf dem Campus sind heute mehr als 120 Nationalitäten vertreten.

Doch die steigende Zahl der Studierenden “belastet die Qualität der Ausbildung”, teilte die EPFL im Januar mit. Sie erwägt deshalb, die Zahl der Bachelor-Studienplätze ab 2025 auf 3000 zu beschränken, wobei Schweizer Studierende Vorrang haben sollen. Ein formeller Entscheid wird noch dieses Jahr erwartet.

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Die Zahl der Studierenden in der Schweiz nimmt seit Jahren zu, und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Gemäss den Prognosen des BundesExterner Link wird die Zahl der Studierenden aufgrund des demografischen Wachstums in der Schweiz und der anhaltenden Bildungstrends jährlich um 1,5% auf rund 320’000 Personen im Jahr 2031 ansteigen (+15% für den Zeitraum 2021-2031).

Ein Teil des jüngsten Wachstums ist auch auf die Zunahme der ausländischen Studierenden zurückzuführen. Die Schweizer Universitäten belegen in internationalen Rankings regelmässig Spitzenplätze. Ihr guter Ruf, das internationale Umfeld und die vergleichsweise niedrigen Studiengebühren ziehen viele ausländische Studierende an.

Der Anteil der ausländischen Studierenden an der Gesamtzahl der Immatrikulierten beträgt heute rund ein Drittel. Er ist damit höher als in anderen Mitgliedländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die beliebtesten Studienfächer sind Natur- und Ingenieurwissenschaften.

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An der Università della Svizzera ItalianaExterner Link (USI) im italienischsprachigen Kanton Tessin hat sich die Zahl der Studierenden in den letzten 20 Jahren fast vervierfacht; 69,8% sind heute ausländische Studierende, sie stammen vor allem aus Italien.

Die Hochschule gibt an, ihre Infrastruktur dem Wachstum angepasst zu haben und im Allgemeinen die Wachstumsschmerzen der EPFL vermieden zu haben.

Ein Platzproblem besteht jedoch vor allem an der Architekturakademie in MendrisioExterner Link, wo die Infrastruktur nicht Schritt gehalten hat. Ein Neubau ist zwar geplant, aber es gibt Einschränkungen für Architekturkandidierende.

“Wir mussten die Zahl der Neueinschreibungen begrenzen, um die Qualität der Lehre zu sichern und ein vernünftiges Verhältnis von Studierenden unterschiedlicher Herkunft zu erhalten”, sagt USI-Sprecherin Barbara Vogt.

Die ETH Zürich ist die internationalste Hochschule der Schweiz. Dies geht aus einem Ranking des Times Higher Education SupplementExterner Link hervor, das auf Kennzahlen zu internationalen Studierenden, Mitarbeitenden, Co-Autorinnen und -Autoren und Reputation basiert.

Die Eidgenössische Technische Hochschule belegt in der globalen Erhebung 2024 den siebten Platz. Die meisten ausländischen Studierenden an der ETH Zürich kommen aus Deutschland, Italien, China und den USA.

Die Zahl der Studierenden an der ETH Zürich hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Rektor Günther Dissertori räumte letztes Jahr einExterner Link, dass bei anhaltendem Wachstum und knappen Budgets “die uns zur Verfügung stehenden Mittel – vor allem Personal und Infrastruktur – in den nächsten Jahren mindestens stagnieren werden. Das hat Auswirkungen auf das Betreuungsverhältnis und gefährdet die Qualität unserer Lehre”.

Eine Beschränkung der Studienplätze oder eine Erhöhung der Studiengebühren ist an der ETH Zürich jedoch vorerst nicht geplant.

Stattdessen hat sie auf der Masterstufe, wo fast die Hälfte (45,7%) der Studieninteressierten aus dem Ausland kommt, eine strengere Selektion eingeführt. Unter anderem werden Kapazitätsgrenzen von den Fachbereichen für jeden Studiengang festgelegt und regelmässig überprüft.

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Eine weitere Universität mit starkem internationalem Profil ist St. Gallen. Gegenwärtig sind fast 10’000 Studierende aus über 90 Ländern eingeschrieben. Rund 64,9% der Doktorierenden kommen aus dem Ausland.

“Mit diesem Wachstum stösst die Universität St. Gallen an ihre infrastrukturellen Grenzen”, sagt Sprecherin Mattea Bieniok gegenüber SWI swissinfo.ch.

Ein neuer Campus ist geplant, die Fertigstellung aber auf 2031 verschoben worden. Dies werde die Raumnot in Lehre und Forschung weiter verschärfen, räumt die Universität ein.

Gleichzeitig seien erhebliche Mittel in den Ausbau des Lehrpersonals investiert worden, so dass sich das Betreuungsverhältnis trotz steigender Studierendenzahlen verbessert habe, so Bienok.

St. Gallen ist die einzige Schweizer Universität, die eine Quote für ausländische Studierende eingeführt hat. Seit 1963 ist der Anteil ausländischer Studierender auf maximal 25 Prozent beschränkt.

Für Rudolf Minsch, Chefökonom des Verbands der Schweizer Unternehmen (Economiesuisse), ist St. Gallen ein gutes Beispiel für den positiven Zusammenhang von Beschränkung und Qualität.

“Die Universität ist in der Lage, die motiviertesten und talentiertesten Studierenden aus dem Ausland zu rekrutieren. Das führt zu einem positiven Wettbewerb während des Studiums und sorgt dafür, dass auch die Schweizer Studierenden besser sein müssen. Das wirkt sich auch positiv auf den Ruf der Universität aus”, sagt er gegenüber SWI swissinfo.ch.

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Schweizer Doktorierendenprogramme sind für ausländische Studierende besonders attraktiv. Im Jahr 2017 kamen 55% der Studierenden, die in der Schweiz ein Doktorat oder ein gleichwertiges Studium absolvierten, aus dem Ausland, gegenüber 22% im OECD-Durchschnitt.

Wie lässt sich dies erklären? Überdurchschnittlich hohe nationale Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die “wiederum den Fortschritt der Doktorierenden während und nach ihrem Studium unterstützen”, sowie niedrige Studiengebühren, so die OECD.

So belaufen sich beispielsweise die jährlichen Studiengebühren an der ETH Zürich im Studienjahr 2023/24 für alle Studierenden (egal ob aus der Schweizer oder nicht, die Hochschule macht keinen Unterschied) auf rund 1500 Franken (1700 Dollar). An vielen US-Spitzenuniversitäten sind ausländische Studierende mit durchschnittlichen jährlichen Studiengebühren von über 50’000 Dollar konfrontiert.

Ein weiterer Faktor ist laut OECD die Tatsache, dass in der Schweiz viele Doktorierende an den Universitäten angestellt sind und während ihres Studiums ein Gehalt beziehen, was ihre finanzielle Belastung verringert.

Beschäftigung und Fachkräftemangel

Rund 60% der Masterstudierenden und Doktorierenden finden nach ihrem Abschluss eine Stelle in der Schweiz. Manche Absolventinnen und Absolventen haben es jedoch schwerer.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass der so genannte “Inlandvorrang”, der eine Bevorzugung von Bewerberinnen und Bewerbern aus der Schweiz, der EU und der EFTA (Europäische Freihandelsassoziation) institutionalisiert, sowie die mit der EU vereinbarte Personenfreizügigkeit Gründe für die Überlegenheit europäischer Absolvierender auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sind.

Einige sind der Ansicht, dass die Behörden die Integration ausländischer Hochschulabsolvierender in den Schweizer Arbeitsmarkt erleichtern sollten, besonders wenn diese in der Schweiz studiert haben und in Schlüsselbranchen ein Fachkräftemangel besteht.

Economiesuisse hat 2019 berechnetExterner Link, dass die Schweiz rund 180 Millionen Franken pro Jahr für die Ausbildung von Studierenden aus Drittstaaten ausgibt.

Sie schätzt, dass nur 10 bis 15% der Studierenden aus Ländern ausserhalb der EU und der EFTA nach dem Studium eine Stelle in der Schweiz finden. Einwanderungsbeschränkungen, Visakontingente und kurze Fristen seien die Hauptgründe dafür.

Am 19. Dezember 2023 wurde im Anschluss an eine Debatte im Parlament angekündigt, dass die Schweizer Regierung die Verfahren überprüfen und verbessern will, um es den zahlreichen Hochschulabsolvierenden aus Nicht-EU/EFTA-Staaten zu ermöglichen, nach Abschluss ihres Studiums in der Schweiz zu arbeiten.

Die Schweiz hat zehn kantonale Universitäten und zwei Eidgenössische Technische Hochschulen in Zürich und Lausanne. Hinzu kommen neun Fachhochschulen und 14 Pädagogische Hochschulen.

Die Schweizer Universitäten arbeiten nach dem Bologna-System, das die Vergleichbarkeit der Standards und die Qualität der Abschlüsse gewährleistet. Studierende können einen Bachelor-, Master- oder PhD-Abschluss erwerben.

Jede Universität legt ihre eigenen Zulassungsbedingungen fest. Bei der Bewerbung müssen die Kandidierenden eine Reihe von Unterlagen einreichen, etwa ihre Zeugnisse und Sprachnachweise.

Die Universität prüft, ob der Abschluss der Sekundarstufe II dem schweizerischen Maturitätszeugnis gleichwertig ist. Ist dies nicht der Fall, kann eine Aufnahmeprüfung genügen.

Einige Hochschulen verlangen auch Berufserfahrung und/oder führen Sprachtests durch, um festzustellen, ob die Studierenden die Unterrichtssprache (Deutsch, Französisch oder Italienisch) ausreichend beherrschen. Bei einer wachsenden Zahl von Aufbaustudiengängen ist die Unterrichtssprache Englisch.

Wer sich von ausserhalb Europas bewirbt, muss nach der Zulassung ein Visum und nach der Einreise in die Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung des Wohnkantons beantragen.

Editiert von Virginie Mangin/ts, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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