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Ausschaffungen: Blocher und Pelli kreuzen Klingen

Schafften es nicht, zu überzeugen: Fulvio Pelli (links) und Christoph Blocher. Keystone

Alt-Bundesrat Christoph Blocher und FDP-Präsident Fulvio Pelli, haben am Dienstag diskutiert, wie mit kriminellen Ausländern umgegangen werden soll. Konkrete Fragen aus dem Publikum aber blieben unbeantwortet.

Blocher, der ehemalige Minister der Schweizerischen Volkspartei (SVP), war an die Universität Genf gekommen, um die Ausschaffungs-Initiative seiner Partei zu verteidigen.

Sein Gegner Pelli, Präsident der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), setzte sich für den Gegenvorschlag von Landesregierung und Parlament ein, der am 28. November ebenfalls an die Urne kommt.

Erstaunlicherweise war niemand von der Gegnerschaft der beiden Vorlagen eingeladen worden.

“Warum erlaubt die Universität eine Debatte zwischen der Pest und der Cholera?”, fragte jemand aus dem Publikum.

Zwischen Applaus und Buhrufen

Schon von Beginn weg ist klar, dass die von der Genfer Sektion der SVP organisierte Debatte nicht klar von einer Seite dominiert sein würde. Zum Beweis wird Blocher beim Besteigen des Podiums sowohl applaudiert wie auch ausgebuht.

“Von den etwa 450 Anwesenden haben 250 Blocher applaudiert und 200 haben ihn ausgebuht”, erklärt mein Tischnachbar, der sich als Präsident der Jungen Genfer SVP entpuppt.

Die Debatte beginnt mit einer kurzen Präsentation – etwa 15 Minuten – von Christoph Blocher, der sich für sein gebrochenes Französisch entschuldigt.

Hindernis für Kriminalität

Der frühere Justizminister beginnt mit dem Hinweis, dass Ausländer bei den schweren Straftaten überrepräsentiert seien. Sie machten lediglich 22% der Bevölkerung aus, seien aber gemäss seinen Zahlen verantwortlich für 54% der schweren Körperverletzungen und 62% der Vergewaltigungen.

“Was ist also zu tun?”, fragt er das Publikum. Für ihn ist die Lösung klar: Man muss diese Kriminellen ausschaffen. “Das Gefängnis ist kein Hindernis für Kriminalität. Das einzige Hindernis ist die Gewissheit, das Land verlassen zu müssen. Deshalb haben wir diese Initiative lanciert.”

Den Gegenvorschlag der Regierung und einer Mehrheit des Parlaments lässt Blocher nicht gelten: “Die Politiker haben gesagt, ‘im Prinzip sind wir gleicher Meinung mit der SVP’; aber wenn ein Politiker ‘im Prinzip’ sagt, ist er dagegen”, erklärt er.

Prinzip der Verhältnismässigkeit

Fulvio Pelli gibt zu bedenken, dass die Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer bereits heute möglich ist. Der Gegenvorschlag sorge lediglich dafür, die derzeitige Praxis etwas zu verschärfen, um die Anliegen der über 200’000 Personen aufzunehmen, die die Volksinitiative der SVP unterschrieben hätten.

Doch diese Initiative sei “weder präzis noch effizient”, analysiert Pelli. Für ihn ist die grosse Schwäche des Anliegens, dass es das Prinzip der Verhältnismässigkeit nicht einhält. “Man kann nicht verurteilen und ausschaffen, ohne die Umstände zu berücksichtigen”, betont er.

Als Beispiel nennt er eine italienische Familie, die in den vergangenen fünfzehn Jahren ohne Probleme in der Schweiz gelebt hat und deren 19-jähriger Sohn gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat. “Können wir wirklich diesen jungen Menschen ausschaffen, dessen Eltern in der Schweiz leben”, fragt der FDP-Präsident.

Ein weiteres Defizit der Initiative ist in seinen Augen die automatische Abschiebung. Eine solche Praxis stehe im Widerspruch zu internationalen Abkommen, die die Schweiz abgeschlossen habe, so Pelli.

Wenig präzise Antworten

Die beiden Kontrahenten beschränken sich in Genf darauf, ihr Mantra aufzusagen, das auf den Argumentarien ihrer Parteien fusst. Mit zusätzlichen Ausführungen hätten sie konkrete Antworten auf Fragen geben können, beide bleiben aber etwas schwammig.

So ist im Abstimmungskampf beispielsweise immer wieder die Rede von diesen internationalen Abkommen, die die Schweiz bei einer Annahme der Ausschaffungs-Initiative verletzen würde. “Doch welche Abkommen sind das genau”, ist eine Frage aus dem Publikum, die unbeantwortet bleibt.

Blocher erklärt lediglich, dass es keine Probleme geben würde und nannte als Beispiele Dänemark (1500 Zwangsausschaffungen im letzten Jahr) oder Frankreich, das Roma ausschafft, “die nicht einmal kriminell waren”.

Pelli seinerseits zitiert Juristen und kommt damit einmal mehr auf die “Verhältnismässigkeit” zu sprechen. Zumindest sind die beiden Politiker – beide Doktoren der Jurisprudenz – einig in einer Einschätzung: Der Raum für Interpretation kann für Rechtsanwälte sehr weit sein…

Ein weiteres heikles Thema, das vom Publikum aufgeworfen wird: “Wie sollen kriminelle Ausländer abgeschoben werden, wenn ihre Heimatländer sie nicht aufnehmen wollen?” Auch auf diese Frage erhält das Publikum keine endgültige Antwort.

Am 28. November kann sich das Schweizer Stimmvolk zur SVP-Initiative “Für die Ausschaffung krimineller Ausländer” äussern.

Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder die missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben, sollen alle Aufenthaltsansprüche verlieren und ausgewiesen werden.

Der Initiative stellen der Bundesrat und eine Parlamentsmehrheit einen direkten Gegenvorschlag entgegen.

Dieser beschreibt Mindeststrafen, die ausgesprochen werden mussten, um eine Wegweisung zu rechtfertigen und schlägt einen Integrations-Artikel vor.

Der Tessiner, geboren am 26. Januar 1951, ist Präsident der Freisinnig-Demokratischen Partei der Schweiz (FDP.Die Liberalen).

Seit 1995 ist er Nationalrat, seit 2005 Parteipräsident.

Kürzlich war er dazu gedrängt worden, in die Landesregierung zu wechseln, verzichtete schliesslich aber auf eine Kandidatur.

Der Zürcher, geboren am 11. Oktober 1940, ist Vizepräsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Von 1979 bis 2003 war er Nationalrat, von 2004 bis 2008 Bundesrat (Justizminister).

Nach seiner Nicht-Wiederwahl Ende 2008 musste er die Regierung verlassen.

Unter dem Einfluss von Blocher war die SVP, bis dahin die kleinste der vier in der Regierung vertretenen Parteien, zur stärksten Kraft im Land geworden.

Heute hat Blocher kein politisches Mandat mehr inne, er bleibt aber einer der wichtigsten Köpfe in der SVP.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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