Das E-Voting, das von Zug aus die Welt erobern soll
So nah können Absturz und Aufbruch beieinander liegen: Am Mittwoch hat der Kanton Genf den Rückzug seines E-Voting-Systems angekündigt, das sieben Kantone anwenden. Am Freitag verkünden Behörden und IT-Spezialisten aus dem Zuger Crypto Valley, dass der Probelauf mit der weltersten E-Voting-Abstimmung, die auf der Blockchain-Technologie beruht, erfolgreich verlaufen sei.
Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch. Hier äussern nebst internen auch aussenstehende Autoren ihre Ansichten. Ihre Positionen müssen sich nicht mit jener von swissinfo.ch decken.
Während Genf sein E-Voting-System Anfang 2020 beerdigen wird, steht die digitale Abstimmung «Made in Zug» in den Startlöchern für den demokratischen Einsatz überall dort auf der Welt, wo aktive Bürger mit ihrer Stimme mitreden wollen und können.
Das Crypto Valley ist die Hightech-Biotop der Schweiz. Es schmiegt sich ans obere Ufer des Zugersees und nimmt sich auf den ersten Blick alles andere als eindrücklich aus: Graue Bürogebäude dominieren, die auch Zahnarztpraxen oder Versicherungsfilialen beheimaten könnten.
Doch in diesen Räumen wird an der Zukunft geschmiedet – auch an jener der Demokratie.
Blockchain-Eldorado
Dafür ist die Bedeutung dieses Valleys umso grösser. Einerseits aufgrund der technologischen Innovationen im Bereich digitale Verschlüsselung. Andererseits aber im Hinblick auf das Potenzial, das die in Zug ertüftelten Lösungen für die Demokratien darstellen. Davon sind die Köpfe, die dahinterstecken, überzeugt.
Im Kanton Zug, wo inzwischen an die 200 Blockchain-Firmen sitzen, ist nämlich das weltweit erste System zum E-Voting entstanden, das auf ebendieser Technologie fusst.
In einem Pilotversuch wurde es im vergangenen Sommer von 72 Bürgerinnen und Bürger der Stadt Zug getestet. Wer mitmachen wollte, musste sich dafür zuerst eine neue Identität zulegen, sprich, eine digitale ID lösen, bevor sie ihre Stimme per Mausklick abgaben.
Jetzt haben die involvierte Hochschule Luzern und die Blockchain-Firma Luxoft den Versuch ausgewertet. Ihr Bericht erfüllt Daniel Truttmann mit Freude: «Ein voller Erfolg», bilanziert der Leiter der IT-Abteilung der Stadt Zug, der das Projekt von behördlicher Seite betreut.
Das sind die Stationen der Blockchain (Grafik in Englisch):
Dezentrale Datenlagerung
Die Zuger Lösung kann zwar noch nicht als volle Alternative zu den zwei E-Voting-Systemen gelten, die aktuell in der Schweiz im Einsatz sind. Dies aber erst in zehn Kantonen und nicht bei nationalen Abstimmungen.
Die beiden Lösungen stammen von der Post sowie vom Kanton Genf. Letzterer jedoch wird sein System zurückziehen, «aus Kostengründen», wie die Genfer Behörden am Mittwoch bekanntgaben.
Dieser Rückschlag tangiert gerade auch die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Ausland – aufgrund langer Postwege ist E-Voting ein starkes Anliegen der fünften Schweiz.
Was ist neu? Der grösste Unterschied der Blockchain-Lösung «Made in Zug» zum bisherigen E-Voting liegt darin, dass die Daten nicht an einem zentralen Ort gespeichert werden, beispielsweise in der Stadtverwaltung oder bei einer externen Firma.
Vielmehr liegen sie auf vielen Servern, die überall auf der Welt verstreut sind. «Das verhindert eine Machtballung, die entsteht, wenn nur ein enger Kreis von Administratoren Zugriff auf das System hat», sagt Alexander Denzler, Dozent für Blockchain-Technologie an der Hochschule Luzern und wissenschaftlicher Leiter des Zuger E-Voting-Projekts.
Da jeder Server eine identische Kopie der Daten besitze, lasse sich eine solche Abstimmung auch von aussen kaum manipulieren.
Politik, Wissenschaft und Wirtschaft vereint
Möglich gemacht hat die E-Voting-Weltpremiere die Hochschule Luzern. Deren Departement für Informatik in Rotkreuz liegt am äussersten Zipfel des Crypto Valleys.
Begonnen hatte alles mit einer Bachelorarbeit zum Thema zu E-Voting auf Blockchain-Basis. Geschrieben hatte sie ein Informatik-Student, der bei den städtischen Behörden in Zug arbeitete. Sein Paper wurde zur Grundlage für das Pilotprojekt.
Bei der Entwicklung konnte das Hochschul-Team auf einen bestehenden Code der Software-Entwicklerin Luxoft zurückgreifen. Diese hatte nämlich bereits eine Blockchain-basierte Abstimmungslösung für die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft entwickelt. Gemeinsam spann man sie nun weiter. So entstand am Ende eine Kollaboration von Stadt, Hochschule und Crypto-Firma.
Der Knackpunkt
Grösster Knackpunkt war für die Entwickler die Wahrung des Stimmgeheimnisses. Denn in der Blockchain ist es grundsätzlich nicht möglich, Daten nachträglich zu löschen. Es würde für immer nachvollziehbar bleiben, wer wie abgestimmt hat.
«Wir mussten eine Lösung finden, wie wir diese Daten unkenntlich machen können», sagt Alexander Denzler. Also schufen die Entwickler eine Kombination von mehreren Verschlüsselungsansätzen.
Dabei aber bleibt ein zentrales Problem: «Verschlüsselungen können immer geknackt werden, wenn genügend leistungsstarke Computer darauf zugreifen», sagt Alexander Denzler.
Mehr
10 Argumente für und gegen digitales Abstimmen
Von «sehr sicher» bis…
Bei der Abstimmung im Sommer hat die Sicherheitsmauer vorerst standgehalten. Vor dem Versuch hatten die Entwickler eine Aufforderung zum «Hack me if you can» platziert, also Hacker explizit eingeladen, das System auf Herz und Nieren auf Schwachstellen abzuklopfen. «Der Test hat bestätigt, dass unsere E-Voting-Applikation sehr sicher ist», sagt Alexander Denzler.
… «zu unsicher»
Die Erkenntnisse von Zug kommen gerade rechtzeitig für die aktuelle und heiss laufende Debatte über E-Voting. Der Grund: Die Schweizer Regierung hat einen ambitionierten Plan vorgelegt, wonach die Kantone E-Voting auch bei Abstimmungen auf nationaler Ebene einführen müssen, und das relativ rasch.
Dies hat aber Widerstand geweckt. Auch im Schweizerischen Parlament. Mehrere Mitglieder wollen die elektronische Stimmabgabe stark einschränken oder verbieten.
Sie haben eine Volksinitiative zum Bann von E-Voting angekündigt. Der Start der Unterschriftensammlung ist für Anfang 2019 angekündigt (Link). Der Tenor lautet: E-Voting ist zu unsicher.
Kritiker wie Hernani Marques vom Chaos Computer Club (CCC) betonen, dass die Systeme höchst anfällig auf Angriffe durch Hacker seien. Dies, so der Spezialist, könne das Vertrauen in die Demokratie beschädigen. CCC-Mitgliedern war es jüngst gelungen, das Genfer System zu hacken.
Das sieht Daniel Truttmann, IT-Chef der Stadt Zug, anders. «Ich bin überzeugt, dass E-Voting unsere Zukunft sein wird. Die Digitalisierung hat unseren Alltag längst durchdrungen.» Damit die elektronische Stimmabgabe dereinst sicher sei, müsse man sie dringend weiterentwickeln und testen, statt sie schlicht zu verbieten.
“Wissen teilen”
Neben der Blockchain-Grundlage verfügt die Lösung von Zug noch über einen weiteren, wichtigen Unterschied zu den zwei bisherigen Systemen: sie ist «open source», also IT-Spezialisten rund um den Globus zugänglich. Die beteiligten Partner Zug, das Blockchain Lab der Hochschule Luzern und Luxoft wollen demnächst auf ihren Internetseiten einen Link zum Code aufschalten.
«Wir wollen, dass Menschen aus allen Ländern auf den Code zugreifen und ihn so weiterentwickeln und verbessern», sagt Alexander Denzler. Das mache ihn besser und sicherer. Zudem entspreche die Veröffentlichung den persönlichen Haltungen der Involvierten: «Wissen soll man nicht in einen Container packen und im Meer versenken, sondern teilen.»
Das E-Voting von Zug wird aber auch in die reale, fassbare Welt hinausgetragen. Daniel Truttmann will die Zuger Lösung an diversen Konferenzen vorstellen. Umgekehrt herrscht auch grosses internationales Interesse am Zuger Hightech-Biotop. «Wir haben praktisch wöchentliche Anfragen und Besuche von ausländischen Delegationen, die nicht nur am Crypto-Valley-Ökosystem interessiert sind, sondern auch an der Blockchain-basierten digitalen ID. So zum Beispiel kürzlich eine Delegation aus Kirgistan, die eine solche Lösung für Wahlen und Abstimmungen in Betracht zieht», heisst es seitens der Stadt Zug.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch