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Kosovo: Schweizer Friedensmission ist umstritten

Verteidigungsminister Samuel Schmid bei einem seiner Besuche der Swisscoy-Truppen im Kosovo. Keystone

Mit der am 17. Februar in Pristina ausgerufenen Unabhängigkeitserklärung ist die Debatte um die Schweizer Swisscoy-Soldaten im Kosovo neu entfacht.

Gemäss gewissen Experten und Politikern fällt mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung die rechtliche Grundlage für die friedenssichernde Mission der Schweiz im Kosovo weg.

Die Schweiz hat seit 1999 Swisscoy-Soldaten im Kosovo stationiert. Das Schweizer Kontingent beteiligt sich an der multinationalen Kosovo-Friedenstruppe KFOR (Kosovo Force), die der NATO untersteht.

Das Schweizer Kontingent zählt momentan 220 Soldaten und arbeitet mit dem österreichischen und deutschen Kontingent zusammen. Die Mehrheit der Schweizer sind in Suva Reka stationiert. Aufgabe der Swisscoy ist es, die KFOR in den Bereichen Logistik, Infanterie, Militärpolizei und Flugtransport (mit Helikoptern) zu unterstützen.

Angesichts der einseitigen Unabhängigkeitserklärung stellt sich für verschiedene Experten und Politiker die Frage, ob die militärische Präsenz der Schweiz in Kosovo noch legal ist.

Gefährlicher Präzedenzfall

Für Thomas Fleiner, Rechtsprofessor an der Universität Freiburg, ist klar: “Mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kosovos fallen die völkerrechtlichen Grundlagen für diese Mission weg.”

Gemäss Fleiner könnte die Unabhängigkeitserklärung für die Schweiz zu einem gefährlichen Präzedenzfall werden. So könnten etwa die Serben in Bosnien ihrerseits die Abspaltung von Bosnien und den Anschluss an Serbien fordern. Dasselbe gilt für die Kroaten in Bosnien.

“Dies könnte die ganze Region destabilisieren. Auch Ossetien, Abchasien, Moldawien oder Regionen in Afrika und Asien könnten ihre Unabhängigkeit einfordern”, so Fleiner.

Gemäss Fleiner basiert das Mandat der KFOR auf der Uno-Resolution 1244 von 1999, die der Provinz Kosovo eine weitreichende Autonomie gewährt, Serbien die territoriale Integrität garantiert und die Entsendung internationaler Truppen zulässt.

Neutralität in Gefahr

Dieser Ansicht ist auch Albert A. Stahel, Dozent für Strategische Studien an der Universität Zürich. Stahel sieht in der Fortführung des Swisscoy-Einsatzes in Kosovo eine ernsthafte Gefährdung der Schweizer Neutralität.

Gewisse Parteien wie die Grünen oder die Schweizerische Volkspartei (SVP) plädieren für einen Abbruch der Swisscoy-Mission. SVP-Nationalrat J. Alexander Baumann fordert einen unverzüglichen Abzug der Schweizer Truppen. Man solle nicht abwarten, bis sich die Situation in Kosovo verschlechtere.

“Unsere Präsenz im Kosovo macht keinen Sinn mehr und stellt die internationale Position der Schweiz in Gefahr”, sagt Baumann.

Rechtliche Grundlagen

Anders sieht dies die Sicherheitskommission des Nationalrats. Die Kommission sprach sich Ende Januar 2008 für eine Verlängerung des Swisscoy-Einsatzes bis 2011 aus. Für die Kommission ist die Friedensmission auch nach der Unabhängigkeit Kosovos mit dem Völkerrecht vereinbar.

Gemäss der Sicherheitskommission und der Schweizer Regierung hat die Unabhängigkeitserklärung Kosovos keinen Einfluss auf die UNO-Resolution 1244. Diese bleibe weiterhin gültig.

“Allein der Sicherheitsrat der UNO ist berechtigt, die Resolution aufzulösen”, sagt Bruno Roesli, Kommandant des Kompetenzzentrums SWISSINT der Schweizer Armee. “Nur dann, oder im Fall, dass der Sicherheitsrat eine neue Resolution erlässt, müsste der Bundesrat abklären, ob die rechtlichen Grundlagen für die Aufrechterhaltung der Swisscoy-Präsenz noch gegeben sind.”

Gewaltspirale

Falls das Schweizer Parlament die Interpretation des Bundesrats unterstützt, könnte diese Frage also theoretisch als gelöst betrachtet werden. Gemäss dem grünen Nationalrat Josef Lang könnte die Unabhängigkeitserklärung Kosovos jedoch eine Gewaltspirale auslösen.

In diesem Fall würde sich die Frage der militärischen Einmischung stellen. Eine Einmischung in Guerilla- oder Kriegssituationen ist gemäss dem Schweizer Militärgesetz verboten.

Wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel

Die Unabhängigkeitserklärung Kosovos wirft jedoch nicht nur rechtliche Fragen auf. Serbien, Aserbeidschan, Kirgisien, Polen, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan gehören zu der Gruppe von Ländern, die von der Schweiz in den Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank und Internationaler Währungsfonds IWF) vertreten werden.

Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos könnte der Bundesrat die Serben verärgern. Sie könnten sich aus der durch die Schweiz vertretenen Gruppe zurückziehen und damit die Stellung der Schweiz schwächen.

“Diese Sorge ist berechtigt”, sagt Tania Kocher, Sprecherin im Eidgenössischen Finanzdepartement. “Die Beziehungen mit Serbien sind hervorragend. Belgrad ist mit unserer Arbeit bei den internationalen Geldinstituten sehr zufrieden. Ich schliesse deshalb einen Austritt Serbiens aus.”

Diese Gewissheit steht in Kontrast zur Kritik von Finanzminister Rudolf Merz an seiner Bundesratskollegin Micheline Calmy-Rey und ihrer Entschlossenheit, den neuen Staat Kosovo anzuerkennen.

swissinfo, Paolo Bertossa
(Übertragung aus dem Italienischen: Corinne Buchser)

Basierend auf der UNO-Resolution 1244 fällte der Bundesrat am 23. Juni 1999 den Grundsatzentscheid, sich militärisch an der Kosovo-Friedenstruppe KFOR zu beteiligen.

Bei der Friedensmission der Schweiz handelt sich um ein Massnahmepaket, das Soforthilfe im Kosovo vorsieht und einen Beitrag zur Stabilisierung der Region leistet.

Das Parlament sprach sie dafür aus, den Swisscoy-Einsatz bis 2008 zu begrenzen. Das Budget von 2006 bis 2008 betrug 37,5 Mio. Franken pro Jahr.

Am 21. Dezember 2007 hat der Bundesrat die Verlängerung des Swisscoy-Einsatzes bis Ende 2011 gutgeheissen.

Dieser Entscheid muss noch von den beiden Parlamentskammern abgesegnet werden. Der Nationalrat behandelt das Thema im März 2008.

Der Bundesrat wird sich nach Konsultation der aussenpolitischen Kommission der beiden Parlamentskammern über die Anerkennung Kosovos aussprechen.

Die Kommission des Ständerats wird am 21. Februar 2008, die Kommission des Nationalrats am 22. Februar 2008 darüber diskutieren.

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