Welche Armee braucht die Schweiz?
Miliz- oder Berufsheer? Mit dieser Frage hat Verteidigungsminister Samuel Schmid nicht nur an einem Tabu geritzt, sondern auch eine Diskussion mit Zündstoff lanciert.
Eine Spezialistin in Sachen Sicherheitspolitik sowie ein Militärexperte äussern gegenüber swissinfo ihre Vorstellungen.
«Bereits während der Diskussionen um die Armee-Reform XXI waren viele überzeugt, dass diese Frage eines Tages auf den Tisch kommen muss», sagt Barbara Haering, Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission des Parlaments.
Für die Zürcher Sozialdemokratin ist klar, dass die Debatte in der Schweiz nicht mehr länger hinausgeschoben werden kann. Denn es sei offensichtlich, «dass das Land keine so grosse Armee mehr braucht» und dass der «Spardruck den Verzicht auf alles bedingt, was nicht mehr nötig ist».
Die Bundesverfassung aber lässt in der Frage keinen grossen Spielraum: Die Schweizer Armee ist grundsätzlich als Milizarmee organisiert, heisst es in Artikel 58.
Im Artikel 59 ist die allgemeine Wehrpflicht verankert, die für alle Männer mit Schweizer Nationalität gilt. Wichtig: Die Wehrpflicht bleibt laut Verfassung auch bestehen, falls das Gesetz einen zivilen Ersatzdienst vorsieht.
Der Tod des Bürger-Soldaten?
Sollte sich die Schweiz von der Milizarmee verabschieden und stattdessen ein Berufsheer aufstellen, wäre also eine Änderung in der Bundesverfassung und damit verbunden eine Volksabstimmung nötig.
Eine Ausmusterung des bisher «heiligen» Bürger-Soldaten, sollte die tatsächlich kommen, würde aber nicht ohne schweren politischen Geschützdonner über die Bühne gehen. Bereits am Tag, als Samuel Schmid die Miliz-Diskussion öffentlich lancierte, sprach Rechtsaussen Ulrich Schlüer, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei, von «Wortbruch» und «Verrat am Volkswillen».
Tief im Volksbewusstein verankert
«Etwas für die ‹res publica›, den Staat und die ‹Sache des Volkes› zu tun, hat in der Schweiz viel mehr Tradition als in anderen Ländern», sagt Karl Haltiner, Professor an der Militärakademie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ).
Persönlich ist er der Meinung, dass eine Berufsarmee für die Schweiz nicht die richtige Lösung wäre. Er plädiert hingegen dafür, die allgemeine Wehrpflicht wenn auch nicht zu streichen, so doch zu suspendieren.
Armee der Freiwilligen
Was Haltiner vorschwebt, ist «eine Milizarmee, die aus Freiwilligen besteht». Die Soldaten würden sich für eine Vertragsdauer von fünf oder sechs Jahren verpflichten. Was aber nicht bedeute, dass sie die gesamte Zeit unter der Fahne stünden.
Gemäss dem Zürcher Militärexperten müssten die Freiwilligen genauso wie die heutigen Soldaten eine mehrmonatige militärische Grundausbildung und danach jährliche Wiederholungskurse absolvieren.
Falls es die Bedrohungslage erfordere, könnte die ausser Kraft gesetzte allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt werden.
Schweiz unter den Letzten
«Von den 30 Ländern in Europa hat die Hälfte die allgemeine Wehrpflicht schon aufgehoben, und in 10 Länder ist die Aufhebung in Diskussion. Es sind nur fünf, darunter die Schweiz, welche die Debatte noch nicht aufgenommen haben», erläutert Haltiner.
Zivildienst versus Arbeitsmarkt?
Auch Barbara Haering optiert für ein Modell auf der Basis von Freiwilligkeit statt einer Berufsarmee. Sie fordert aber, dass neu die Wahlfreiheit zwischen Militär- und Zivildienst in Artikel 59 der Bundesverfassung aufgenommen wird.
«Dabei müsste aber ausgeschlossen werden, dass der Zivildienst den Arbeitsmarkt konkurrenziert», unterstreicht Haering. «Zudem wäre zu überlegen, wie auch Frauen in einen solchen Zivildienst integriert werden könnten.»
In der Schweiz sind die Frauen von der allgemeinen Wehrpflicht ausgenommen, können aber freiwillig Militärdienst leisten.
10’000 motivierte Männer
Ob Profis oder Milizler, die Frage bleibt, wie viele Soldaten die Schweiz tatsächlich nötig hat. «Das hängt davon ab, welche Aufgaben die Armee übernehmen soll», sagt der Militärwissenschafter Haltiner.
«Wenn sie Unterstützungsdienste für die Polizei, Einsätze im Katastrophenfall sowie friedenssichernde Einsätze im Ausland leisten soll, sind 10’000 Mann völlig ausreichend.»
Andere wichtige Frage: Gäbe es genügend freiwillige Soldaten, falls die allgemeine Dienstpflicht suspendiert würde? Für Haltiner ist klar, dass diese Freiwilligen mit attraktiven Lösungen motiviert werden müssten: Dazu gehörten gute Löhne, aber beispielsweise auch lebenslängliche Gratisprämien für die Krankenversicherung.
Forsches Tempo?
Die öffentliche Erklärung Schmids von Anfang Woche hat bereits hohe politische Wellen geworfen. Und der nächste Schritt steht bereits fest: Noch in diesem Herbst will der Verteidigungsminister die Armeefrage im siebenköfpigen Bundesrat zur Diskussion stellen.
Danach wird das Parlament am Zug sein. Barbara Haering glaubt daran, dass der Entscheid noch in der laufenden Legislaturperiode fallen wird, also noch vor 2007.
swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)
Von den 30 Ländern in Europa haben 15 die allgemeine Wehrpflicht bereits abgeschafft.
In 10 Ländern ist die Abschaffung in Diskussion.
Die Wehrpflicht kennen noch die Schweiz, Österreich und die skandinavischen Länder.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch