Warum Palantir zum Risiko für die Schweiz wird
Zürich dient dem US-Unternehmen Palantir als Drehscheibe für seine Geschäftsbeziehungen. Wegen seiner umstrittenen Tätigkeiten in Gaza beschäftigt sich nun auch das Aussendepartement mit der Firma.
Palantir ist die derzeit wohl umstrittenste Tech-Firma der Welt. Sie erwartet für das laufende Jahr einen Umsatz von über 4 Milliarden Dollar und steht für viele als Sinnbild einer Tech-Dystopie. Die Softwareprodukte des Unternehmens führen unterschiedliche Daten zusammen und erstellen daraus Lagebilder.
Für Armeen liefert die Software Informationen, die Tötungsentscheidungen beeinflussen, der Polizei dient sie als Überwachungstool, und auch grosse Unternehmen nutzen Palantir für Prozessoptimierungen und als Entscheidungshilfe.
Das Unternehmen hat weltweit Kunden aus den Bereichen Militär und Verwaltung. Auch der Schweizer Staat stand auf der Wunschliste des Tech-Konzerns – doch zum Geschäft kam es nicht. Die Bundesämter und die Schweizer Armee scheuten bisher eine Zusammenarbeit. Was die Schweizer Behörden abschreckt, scheint jedoch kein Hindernis für die hiesige Standortförderung zu sein.
Zu Gast in den Zürcher Palantir-Büros
Eine erste Anfrage für ein Treffen vom letzten Juli beantwortete das Tech-Unternehmen erwartungsgemäss negativ. Der Konzern gilt als sehr verschlossen.
Um uns ein Bild vor Ort zu machen, suchten die Büros von Palantir auf. Doch dort trafen wir auf eine Treuhandfirma, die uns abwimmelte. Kurz darauf meldete sich eine Anwaltskanzlei im Auftrag von Palantir und fragte nach dem Grund unseres Besuchs. Wir baten erneut um ein Gespräch.
Kurz darauf folgte ein Gesprächsangebot von Palantir. Vor Ort trafen wir auf zwei leger gekleidete Herren in Sneakers, die sich als Alec und Courtney vorstellten. Alec McShane leitet das europäische Handelsgeschäft von Palantir und betreut vor allem die Beziehungen zu Privatkunden.
Courtney Bowman ist der Schweizer Ansprechpartner für Medienschaffende; offiziell trägt er den Titel «Global Director of Privacy and Civil Liberties Engineering».
Derzeit erhält Palantir besonders viele Fragen rund um Datenschutz und Bürgerrechte.
Im Gespräch räumen die beiden Führungskräfte ein, dass die US-Firma in Europa ein erhebliches Reputationsproblem hat. Man fühle sich missverstanden und nicht richtig gewürdigt – etwa von den deutschen Medien.
Tatsächlich wird in Deutschland seit Monaten über den Einsatz von Palantir-Software durch Polizeibehörden diskutiert. Kritikerinnen befürchten, dass selbst Menschen, die nur eine Anzeige erstatten oder Opfer einer Straftat werden, wegen Palantir ins Visier der Behörden geraten könnten. Die Software durchsucht nämlich sämtliche Datensilos wie ein Staubsauger und erstellt Profile, Muster und Analysen.
«Ja, wir stehen unter Druck. Und das beeinflusst unser Geschäft», sagt Bowman. Man werde falsch wahrgenommen und müsse daher die Kommunikationsstrategie neu ausrichten.
Und: «Das ist auch der Grund, warum wir Sie heute eingeladen haben.»
Das rund einstündige Gespräch verläuft erstaunlich offen, die Palantir-Führungskräfte nehmen Stellung zu allen Kritikpunkten. Sie wollen in diesem Gespräch einige «Missverständnisse» klären.
Denn die Schweizer Behörden haben offenbar grosse Skrupel, Verträge mit Palantir abzuschliessen. Und das ist ein Problem für das US-Unternehmen.
Privatkunden-Manager McShane sagt: «Ja, wir haben unsere Produkte verschiedenen Stellen angeboten, bisher jedoch ohne Erfolg. Wir sind weiterhin sehr offen für eine Zusammenarbeit.»
Die Befürchtung der Schweizer Armee, aber auch von deutschen zivilgesellschaftlichen Aktivistinnen, dass sensible Daten in die USA abfliessen könnten, sei unbegründet, betont Palantir. Die Kunden behielten stets die volle Kontrolle über ihre Daten und sämtliche darauf aufbauenden Analyse- und Entscheidungsprozesse.
Doch auch ohne Regierungskunden ist die Schweiz für Palantir ein strategisch wichtiger Markt, wie McShane sagt: «Wir pflegen hier langjährige Partnerschaften, die unser Engagement auf den globalen Märkten und die Weiterentwicklung unserer Produkte wesentlich geprägt haben.»
So arbeitet das US-Unternehmen mit einer «kritischen Masse» führender Schweizer Firmen zusammen, darunter Ringier, Swiss Re, die ehemalige Credit Suisse und Novartis. Eine konkrete Zahl nennt der Palantir-Manager nicht.
«Der Standort Zürich ist wichtig für das weitere Wachstum unseres europäischen Geschäfts», sagt Bowman. Palantir-CEO Alex Karp sei ein Fan der Schweiz und regelmässiger Besucher des Zürcher Büros.
Auf diese Aussagen scheinen die Zürcher Standortförderer jahrelang hingearbeitet zu haben. Denn gleich zwei halböffentliche Standortorganisationen bemühten sich in den letzten Jahren um die Ansiedlung von Palantir in der Schweiz, wie die Recherche der Republik zeigt.
Entzückte Standortorganisationen
Aus einem verwaltungsinternen Dokument geht hervor: Ein Kantonsvertreter aus dem Aargau verfasste 2016 ein Schreiben an das Staatssekretariat für Migration. Er witterte das grosse Geschäft für die Schweiz: Das bekannte US-Unternehmen Palantir plane ein «IT Onshoring».
Das bedeutet: Das weltweite Geschäft sollte künftig nicht mehr aus den USA gesteuert werden, sondern von einem europäischen Standort aus. Der Kantonsvertreter bat die Migrationsbehörde um ein Referenzschreiben, das die Attraktivität seines Kantons unterstreichen sollte.
Dann nahm die Landesregierung die Sache persönlich in die Hand. 2018 besuchte der damalige SVP-Bundesrat Ueli Maurer im kalifornischen Palo Alto den Hauptsitz von Palantir. Organisiert wurde die Reise von der nationalen Standortförderorganisation «Switzerland Global Enterprise», die schon länger ein Interesse an einer Ansiedlung von Palantir in der Schweiz bekundet hatte.
Der Standortförderer fasste ebenfalls 2016 in einem schriftlichen Briefing die Anforderungen von Palantir an den künftigen Standort zusammen: ein attraktives Paket an (nicht näher definierten) Anreizen und Steuern, eine gute Verfügbarkeit von Fachkräften, Nähe zu urbanen Zentren, ein starker Tech-Cluster und sinngemäss unbürokratische Wege für Arbeitsbewilligungen.
Palantir plante, mehrere hundert Arbeitsplätze zu schaffen, und die Schweiz schien dem Unternehmen die besagten Wünsche zu erfüllen.
2021 folgte der Paukenschlag: Palantir verkündete den Aufbau seines Europa-Hubs – allerdings nicht im Aargau, sondern in der kleinen Tiefsteuergemeinde Altendorf im Kanton Schwyz. Auch CEO Alex Karp kündigte seinen privaten Umzug in den Kanton an.
Dort zeigte man sich vor vier Jahren erfreut. Die Firma werde «qualifizierte Arbeitsplätze» in den neu entstehenden Tech-Cluster am Zürichsee bringen, sagte Urs Durrer, Vorsteher des Schwyzer Amts für Wirtschaft.
Die Standortmarketing-Organisation «Greater Zurich Area» veröffentlichte kurze Zeit später eine eigene Videoserie über die Palantir-Ansiedlung. Der Medienverantwortliche Courtney Bowman verrät auf der Website, dass er die «Greater Zurich Area» und den Schwyzer Wirtschaftsdirektor Durrer bei der Ansiedlung als «extrem hilfreich» erlebt habe.
Ein paar Jahre nach dem medialen Trommelwirbel wird jedoch klar: Weder Alex Karp noch Palantir liessen sich dauerhaft im Kanton Schwyz nieder.
Zürich als Dreh- und Angelpunkt für Palantir
Im Juni 2025 machte Palantir vor allem wegen Aufnahmen von brutalen ICE-Agenten Schlagzeilen, die mithilfe ihrer SoftwareExterner Link Migranten aufgespürt hatten. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt publizierte die Standortorganisation «Greater Zurich Area» ein weiteres Imagevideo Externer Linkmit Palantir.
Darin spricht der Medienverantwortliche Bowman über den Ausbau des Standorts in Zürich und verrät, dass ihn die Stadt an die frühen Tage des Silicon Valley erinnere.
Die Firma sei bereits seit mehreren Jahren in Zürich, sagt er im Video. Der Standort biete viele Vorteile: die Berge und Seen, die hohe Lebensqualität, Zugang zu Talenten und zu weltbekannten Bildungsinstitutionen. «Zürich ist ein Ort, an dem Leute leben wollen», sagt er.
Bowman sagt auch, die Stadt sei ein wichtiger «Dreh- und Angelpunkt» für das Wachstum von Palantir geworden: «Unsere Präsenz in Zürich bleibt ein wichtiger Teil unseres internationalen Geschäfts.»
Auch mit dem Schweizer Establishment ist Palantir mittlerweile gut vernetzt – vor allem mit dem Medienkonzern Ringier. Laura Rudas ist nicht nur Executive Vice President von Palantir, sondern war auch Verwaltungsrätin bei RingierExterner Link.
Und Ringier-Verwaltungsratspräsident Marc Walder steht dem Verband Digitalswitzerland Externer Linkvor, bei dem auch Palantir Mitglied ist. Zudem ist Ringier langjähriger Palantir-Kunde und hat die Zusammenarbeit letztes Jahr für 5 weitere Jahre verlängert, unter anderem für die Entwicklung von KI-Projekten.
Erst gerade bot der Medienverlag dem Palantir-CEO Alex Karp in Form eines unkritischen InterviewsExterner Link sogar eine Werbeplattform für seine Produkte.
Wie aber sehen die Zürcher Standortorganisationen selbst ihre Rolle bei der Ansiedlung des umstrittenen Unternehmens? Die «Greater Zurich Area» gibt sich zurückhaltend und sagt, man habe Palantir nicht aktiv hergeholt. Die Firma habe hier ihre Zelte von sich aus aufgeschlagen.
Doch diese Antwort ist ein grosses Understatement.
Denn in Zürich entsteht derzeit ein riesiges System von Big-Tech-Unternehmen, das sehr wohl auf die guten Rahmenbedingungen in der Stadt zurückgeht und Folge einer aktiven Standortpolitik ist: niedrige Steuern, gut ausgebildete Arbeitskräfte und grosse politische Stabilität.
Eine Recherche der Republik zeigte, wie etwa Google Schweiz von der rot-grünen Stadtregierung und dem früheren Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber (SP) umworben worden war. Das hatte Folgen, wie ein Beispiel zeigt: Das Energieunternehmen EWZ liess alles liegen, wenn ein Google-Mitarbeiter anrief.
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Wie «Greater Zurich Area» auf der Website betontExterner Link, hat die Region Zürich heute eine höhere Big-Tech-Dichte als das Silicon Valley. Google, Open AI, Microsoft, Meta und Apple bauen hier ihre europäischen Niederlassungen auf oder haben es bereits getan.
Fast alle dieser Firmen sind in den letzten Jahren auch im militärischen Bereich aktiv geworden und liefern Produkte, die unter anderem Israel und dessen militärische Einsätze im Gazastreifen unterstützen.
Vor allem Palantir spielt hier eine zentrale Rolle. Dazu kommt: Das Unternehmen hat soeben einen 10-Jahres-Vertrag über 10 Milliarden DollarExterner Link mit dem US-Militär unterzeichnet.
Spätestens an diesem Punkt stellen sich regulatorische Fragen für das neue Tech-Mekka Zürich. Konkret geht es um den möglichen Beitrag von Palantir an die militärischen Einsätze Israels in Gaza. Dürfen Produkte, die hier entwickelt und verkauft werden, ohne weiteres in Krieg führende Länder exportiert werden?
Woran arbeitet Palantir in der Schweiz?
Im Gespräch mit McShane und Bowman wird deutlich, welche Rolle Zürich im Geschäft von Palantir heute einnimmt. Rund 60 Personen arbeiten in der Stadt an der Entwicklung und am Vertrieb der verschiedenen Softwareprodukte. Das bedeutet auch: Ingenieurinnen wirkten direkt vor Ort an Palantirs Produkten mit.
Die Führungskräfte betonen jedoch, dass in Zürich nicht an der umstrittenen Gotham-Plattform gearbeitet werde, die vor allem in der Strafverfolgung und bei militärischen Einsätzen zum Zuge kommt. Stattdessen arbeiteten die Mitarbeiter an der Weiterentwicklung von Foundry mit, das überwiegend im zivilen Bereich zum Einsatz kommt.
Doch tatsächlich nutzen immer mehr staatliche Stellen Foundry. Bowman und McShane räumen ein, dass die Software auch im militärischen Umfeld genutzt werden kann. Sie wurde ursprünglich auch für die USA entwickelt, für die «Aufstandsbekämpfung» in Afghanistan und im Irak.
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Die Maschine und die Moral
Daraus ergibt sich die Frage: Unterliegen die Tätigkeiten der Zürcher Palantir-Entwickler den Schweizer Exportkontrollvorschriften?
Nein, sagt das Unternehmen: Von Zürich aus würden keine Geschäfte mit direktem Bezug zu Israel getätigt.
Auch die Exportkontrollstelle des Staatssekretariats für Wirtschaft sieht dies so. Obwohl Palantirs Produkte klassischen Dual-Use-Charakter haben – also sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden können – und damit eigentlich unter das Güterkontrollgesetz fallen, gibt es hier eine Regulierungslücke.
Für neue Technologien, insbesondere die KI, existieren bislang nämlich keine Exportkontrollen. Die Schliessung dieser regulatorischen Lücke wird derzeit intensiv in nationalen wie internationalen Gremien diskutiert.
In der Schweiz reichte die SP-Nationalrätin Farah Rumy ein Postulat zu diesem Thema ein. Der Bundesrat solle sicherstellen, so ihre Forderung, dass in der Schweiz entwickelte, betriebene oder hergestellte Produkte und IT-Dienstleistungen nicht in internen oder internationalen Konflikten eingesetzt würden. Genau das könnte bei Palantir in Zukunft der Fall sein.
Die Rolle von Palantir in Gaza ruft nun aber das Schweizer Aussendepartement auf den Plan. Die Schweiz hat nämlich ein Söldnergesetz.
Es betrifft Unternehmen, die von der Schweiz aus private Sicherheitsdienstleistungen im Ausland erbringen, und soll verhindern, dass Schweizer Firmen zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Logistische Unterstützung, etwa der Aufbau und die Instandhaltung von IT-Infrastruktur, fällt ebenfalls unter das Söldnergesetz.
In solchen Fällen besteht eine Meldepflicht. Die betreffenden Firmen werden vom Bund registriert und beobachtet.
Das Aussendepartement muss ernst zu nehmenden Hinweisen im Zusammenhang mit dem Söldnergesetz von Amtes wegen nachgehen. Aufgrund einer Anfrage der Republik und des Recherchekollektivs WAV sowie zahlreicher Medienberichte zu Palantir-Einsätzen ist das Departement nun aktiv geworden. Schliesslich räumt der CEO von Palantir selbst ein, dass seine Softwarelösungen auch Menschen töten können.
Ein Sprecher des Aussendepartements sagt auf Anfrage, man prüfe derzeit, ob eine Meldepflicht vorliegt.
Ist dies der Fall, müsste Palantir seine Tätigkeiten anmelden und durch eine Schweizer Behörde genehmigen lassen. Dann würde das Unternehmen offiziell auch als Schweizer Militär-Tech-Unternehmen gelten.
Zürich ist mitverantwortlich
Obwohl Palantir bei den Schweizer Behörden, dem Schweizer Geheimdienst und der Schweizer Armee bisher auf Granit gebissen hat, scheint das Unternehmen mit der Wahl von Zürich zufrieden zu sein.
Welche Bedingungen von Palantir die Schweizer Standortförderer genau erfüllt haben, ist noch ein Geheimnis. Deshalb bleibt auch unklar, ob Palantir ein Prinzip der kurzen Wege – also schnellen, direkten Kontakt mit den Behörden – und attraktive Steuerkonditionen erhalten hat wie Google Schweiz.
Fakt ist: Zürich ist mitverantwortlich für die Wachstumsstrategie von Palantir. Einem Unternehmen, deren Software immer öfter als tödliche Kriegswaffe gegen Zivilisten eingesetzt wird – und das offensichtlich kein Problem damit hat.
Diese Recherche wurde mit Unterstützung von JournafondsExterner Link realisiert. Sie erschien zuerst am 9. Dezember bei der Republik.
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