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Während Lockdown: mehr Frauen als Männer mit Covid-19 infiziert

Eine Pflegerin.
Der Anteil Frauen unter den bestätigten Covid-19-Fällen stieg während des Lockdowns in der Schweiz auf rund 54%. Keystone / Pablo Gianinazzi

Seit Beginn der Massnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 haben sich in der Schweiz mehr Frauen als Männer mit dem Virus infiziert. Das zeigt eine Datenauswertung. Was steckt hinter dem Phänomen?

Als das Coronavirus sich in der Schweiz auszubreiten begann, fanden sich mehr Männer als Frauen unter den bestätigten Fällen. Doch die Zahl der infizierten Frauen stieg allmählich an und bis zum Lockdown am 16. März waren Männer und Frauen gleichermassen betroffen.

Als in den folgenden Wochen Geschäfte geschlossen wurden und das öffentliche Leben grösstenteils stilllag, infizierten sich mehr Frauen als Männer mit Covid-19. Bis Mitte Mai waren nach Angaben des Bundesamts für Statistik etwa 13’800 der bestätigten Fälle Männer (46% der Gesamtzahl) und rund 16’500 Frauen (54% der Gesamtzahl).

In anderen Ländern ist ein ähnliches Phänomen zu beobachten. Zeitungen der Mediengruppe TamediaExterner Link berichten, dass in Italien 53% der Fälle weiblich sind, in Deutschland sind es 52% und in Spanien und Schweden jeweils 57%.

Gemäss einem am Wochenende von der Swiss National Covid-19 Science Task ForceExterner Link veröffentlichten Policy Brief ist ein Grund dafür, dass Frauen dem Virus stärker ausgesetzt sind, da sie die Mehrheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Altenpflege ausmachen. Dies bedeutet auch, dass sie häufiger getestet werden.

Frauen sind auch häufiger in Berufen wie Kinderbetreuung und Verkauf anzutreffen, die nicht zu Hause erledigt werden können und wo sie in direktem Kontakt mit Menschen sind. Frauen machen auch den Löwenanteil der Lehrpersonen aus, was sie einem höheren Infektionsrisiko aussetzen könnte, weil die Schulen des Landes wieder geöffnet haben.

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Die Task Force stellt zudem fest, dass Frauen auch häufiger einer schlechter bezahlten Arbeit nachgehen und es für sie daher schwieriger sein könnte, Schutzausrüstung zu verlangen, wenn diese nicht zur Verfügung gestellt wird.

Helena Trachsel, Leiterin der Gleichstellungsstelle des Kantons Zürich, erwähnte Tamedia gegenüber zudem, dass in der Schweiz mehr Frauen als Männer Teilzeit arbeiten – die Schweiz steht auf der Liste mit der höchsten Zahl an Teilzeit arbeitenden Frauen in Europa auf Platz zwei. Frauen seien daher mobiler, was die Exposition erhöhen könnte, so Trachsel.

Catherine Gebhard, Fachärztin für Geschlechtermedizin an der Universität Zürich, sagte gegenüber Tamedia-Zeitungen, dass zum Verständnis der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Infektionsraten weitere Untersuchungen im Gang seien. Nach heutigem Stand scheinen “soziale Unterschiede” eine grössere Rolle zu spielen als “biologische”, wie Gebhard sagt.

Es ist jedoch möglich, dass die Biologie eine Rolle dabei spielt, wie das Immunsystem von Männern und Frauen auf das Virus reagiert.

So treten schwere Erkrankungen bei Männern häufiger auf. Im Verlauf der Pandemie waren in der Schweiz stabile 40-42% unter den Coronavirus-bedingten Todesfällen weiblich. Andere Länder wie China und die USA berichten von ähnlichen geschlechtsspezifischen Unterschieden bei den Todesraten.


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Weitere geschlechterspezifische Aspekte

Mit Blick auf die Geschlechterfrage sind nach Ansicht der Task Force nicht nur die Infektionsraten von Belang: Weil der Kampf gegen Covid-19 Priorität hatte, waren beispielsweise die Ressourcen für die pränatale Betreuung und die Geburtshilfe knapper. Hebammen hatten grössere Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Schutzausrüstung und reduzierten ihre Visiten.

Die Krise wurde auch mit einem Anstieg der häuslichen Gewalt in Verbindung gebracht, da die zeitweilige Ausgangssperre und wirtschaftliche Unsicherheiten die Paare stärker belasten.

Die Task Force stellt fest, dass Frauen auch wirtschaftlich unverhältnismässig stark von der Krise betroffen sind. Denn sie befinden sich häufiger in einer prekären wirtschaftlichen Situation, wenden mehr Zeit für unbezahlte Arbeit auf und machen die Mehrheit der alleinerziehenden Haushalte aus. Dies bedeutet, dass “ihre Widerstandsfähigkeit schwächer ist als jene der Männer”.

Mütter kümmern sich zudem eher ums Unterrichten der Kinder zu Hause. Auch das verstärke den Druck auf die Frauen, wenn sie gleichzeitig versuchten, ihre Karriere aufrechtzuerhalten, so die Task Force.

Gleichzeitig zeigen die Untersuchungen, dass neue, weniger geschlechtsspezifische Modelle für das Arbeits- und Privatleben aus der Krise hervorgehen. Dazu gehört, dass Väter während des Lockdowns mehr elterliche Pflichten übernommen haben.

Mit Blick in die Zukunft halten die Forscher fest, dass die Krise auch zu einer grösseren Offenheit für flexible Arbeitsregelungen und Telearbeit führen könnte. Daraus könnten sich Vorteile für die Gleichstellung der Geschlechter ergeben.

Die Task Force hat eine Reihe von Empfehlungen zusammengestellt, die berücksichtigen, wie sich das Virus und die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns auf Männer und Frauen unterschiedlich auswirken. Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen veröffentlicht zudem eine Reihe von Artikeln zu geschlechtsspezifischen Covid-AspektenExterner Link. Thema der ersten Veröffentlichung ist der Arbeitsmarkt.

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(Übertragung aus dem Englischen: Kathrin Ammann)

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