Jean-Luc Addor: «Die Politik vergisst die Fünfte Schweiz weitgehend»
Für den SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor ist die elektronische Stimmabgabe keine geeignete Lösung, um Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern die Teilnahme an Abstimmungen zu ermöglichen. Im Rahmen unserer Interviewreihe «Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus» erläutert er seinen Standpunkt und stellt seine Alternativen vor.
Jean-Luc Addor, der 2015 in den Nationalrat gewählt wurde, ist manchmal unberechenbar. Der für seine konservativen Positionen bekannte Vertreter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) vertritt in der Migrationspolitik eine harte Linie.
Im vergangenen Juni sorgte der 61-jährige Walliser dennoch für eine Überraschung: Er wurde als erster SVP-Politiker Präsident einer nationalen Gewerkschaft – von Garanto, die das Zollpersonal vertritt. Durch Heirat hat er zudem das italienische Bürgerrecht erworben und ist damit Doppelbürger.
Seit Jahren vertritt er auch die Interessen der Fünften Schweiz in der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer:innen»Externer Link.
Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien, die ihren im Ausland lebenden Bürgerinnen und Bürgern Wahlkreise einräumen, haben die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer keine direkte Vertretung unter der Bundeskuppel.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt werden. Mehr als 60 Mitglieder von National- und Ständerat (von 246) sind in der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer:innen»Externer Link versammelt.
In jeder Sessionswoche lassen wir einen von ihnen in unserem neuen Format «Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus» zu Wort kommen.
Swissinfo: Quelle est la priorité pour vous durant cette session?
Jean-Luc Addor: Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit des Landes. Ich habe mich für die Revision des Bundesgesetzes über das Kriegsmaterial eingesetzt, welche am Dienstag vom Nationalrat angenommen wurde.
Durch diese Änderung wird der Export und Reexport von Waffen erleichtert, sodass unsere Rüstungsindustrie weiter bestehen kann.
Welches ist das wichtigste Thema der Session für die Fünfte Schweiz?
Ich weiss es nicht. Die Auslandschweizer sind mir wichtig, aber es gibt sehr viele wichtige Themen. Als Milizpolitiker kann man nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen.
Im Moment stecke ich ziemlich in Arbeit. Je nach Session setze ich Prioritäten und versuche, mein Bestes zu geben – auch in ihrem Interesse.
Warum setzen Sie sich für die Wählerschaft der Auslandschweizer:innen ein?
Weil sie keine halben Schweizer sind, sondern vollwertige. Ich setze mich dafür ein, ihre Interessen zu vertreten und sicherzustellen, dass sie ihre Bürgerrechte ausüben können.
Es ist inakzeptabel, dass ein Teil dieser Bürger ihre Stimmunterlagen erst nach dem Abstimmungstermin erhält, obwohl sie im Stimmregister eingetragen sind.
Befürworten Sie die Einführung der elektronischen Stimmabgabe als Lösung dieses Problems?
Auf keinen Fall. Ich bin absolut gegen die elektronische Stimmabgabe. Zunächst einmal aus Sicherheitsgründen: Die Zuverlässigkeit dieser Systeme wurde uns nie nachgewiesen.
Zum anderen aus grundsätzlichen Gründen: Wählen ist ein Akt der Bürgerschaft und kein anonymer Klick hinter einer Tastatur. Ich bin auch gegen die allgemeine Briefwahl. Wählen gehen sollte ein sozialer Akt bleiben, ein Moment, in dem man sich vorher oder nachher trifft, um gemeinsam einen Kaffee oder einen Aperitif zu trinken.
Welche Lösung schlagen Sie vor, um die Teilnahme der Fünften Schweiz an den Abstimmungen zu gewährleisten?
Mein ehemaliger Kollege, der Zürcher Grossrat Claudio Zanetti, hat 2019 eine Motion eingereichtExterner Link, in der vorgeschlagen wurde, den Auslandschweizern das Wahlmaterial elektronisch zuzusenden.
Der Vorschlag wurde abgelehnt, aber ich finde, man sollte ihn wieder aufgreifen. So würden die Auslandschweizer ihr Wahlmaterial schnell erhalten. Anschliessend müsste man überlegen, wie eine sichere Stimmabgabe vor Ort gewährleistet werden kann.
Welche Verbindungen haben Sie zur Auslandschweizer-Gemeinschaft?
Ich habe Schweizer Freunde, die im Ausland leben und ihre Verbindungen zu ihrem Heimatland pflegen möchten. Für mich ist es wichtig, ihnen die Möglichkeit zu geben, diese Verbindungen aufrechtzuerhalten.
Welches Projekt zur Verteidigung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Ausland war Ihrer Meinung nach das wichtigste, das Sie durchgeführt haben?
Ich hatte einen Vorstoss eingereicht, der die Schaffung eines Wahlkreises für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer forderte. Ein solches Modell gibt es bereits in einigen Nachbarländern wie Frankreich oder Italien.
Das Ziel war es, die Verbindung der im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer zur Schweiz zu stärken, insbesondere im Hinblick auf die Ausübung ihrer politischen Rechte.
Leider wurde der Antrag abgelehnt. Ich bin jedoch der Meinung, dass diese Idee weiterverfolgt werden sollte. Derzeit gibt es dafür allerdings keine politische Mehrheit.
Mussten Sie bei der Verteidigung der Interessen der Fünften Schweiz Niederlagen hinnehmen?
Die Fünfte Schweiz wird von der Schweizer Politik weitgehend vergessen – das muss sich ändern! Neben der Schaffung eines eigenen Wahlkreises könnte ihr Engagement auch dadurch gestärkt werden, dass bei Wahlen spezielle Listen für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer gefördert werden.
Bei den Parlamentswahlen 2023 habe ich versucht, eine solche Liste innerhalb meiner Partei im Wallis zu erstellen. Diese Initiative war jedoch nicht erfolgreich, da sich nicht genügend Kandidierende bereit erklärten, sich zu engagieren. Das Ziel ist nun, 2027 eine Liste vorlegen zu können.
Sind Sie der Meinung, dass die Interessen der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer im Bundeshaus nicht ausreichend vertreten sind?
Ich halte es für notwendig, die Prioritäten bei der Vertretung der Interessen der Auslandschweizer zu überdenken. Die allgemeine Einführung der elektronischen Stimmabgabe sollte nicht das Hauptziel sein.
Vielmehr sollte die Situation derjenigen verbessert werden, die sich im Ruhestand gezwungen sehen, ins Ausland zu ziehen, weil sie mit der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) in der Schweiz nicht angemessen leben können.
Es handelt sich um Menschen, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet und einen Beitrag für unser Land geleistet haben. Es ist unerlässlich, ihnen würdige Lebensbedingungen zu garantieren, damit sie in der Schweiz bleiben können.
Wenn Sie ins Ausland auswandern müssten, wo würden Sie sich niederlassen?
Ich hänge sehr an der Schweiz und habe nicht die Absicht, das Land zu verlassen. Ich reise jedoch gerne, um andere Orte zu entdecken. Dabei wird mir jedes Mal wieder bewusst, in was für einem schönen Land wir leben.
Übertragung aus dem Französischen mithilfe von Deepl: Melanie Eichenberger
>> Lesen Sie unseren Artikel über die Vertretung der Auslandschweizer im Parlament:
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