Zugewanderte kriegen auf dem Wohnungsmarkt in Zürich oft nur die Restposten ab
Sie zahlen überhöhte Mieten oder ziehen in «Schrottwohnungen» ein: Zuzügerinnen und Zuzüger aus dem Ausland sind auf dem umkämpften Zürcher Wohnungsmarkt klar benachteiligt – zumindest am Anfang.
Es ist ein Paradox: Obschon Zürich über die Landesgrenzen hinaus für seinen gnadenlosen Wohnungsmarkt berüchtigt ist, zieht es Arbeitsmigrantinnen und Expats in Scharen in die grösste Metropole der Schweiz.
Von den knapp 120 000 Zuwanderern, die im Jahr 2022 in die Schweiz einwanderten, zog jede zehnte Person in die Stadt Zürich. Das zeigt eine neue Auswertung der Zürcher KantonalbankExterner Link mit Daten des Bundesamtes für Statistik. Zur Einordnung: In Zürich lebt rund jede zwanzigste Person in der Schweiz.
Die hohen Zuwanderungszahlen bleiben nicht ohne Folgen, auch nicht für die Einwanderer selbst. Sie müssen in Zürich als Mitverursacher von Gentrifizierung und Preisexzessen herhalten. Und die SVP fordert gar mit einer Initiative einen Inländervorrang bei der Wohnungssuche.
Dabei ist die Realität von Expats und Arbeitsmigrantinnen eine andere: Sie sind mit einem Markt konfrontiert, der ihnen tatsächlich nur die Reste übriglässt.
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Eine Gruppe mit reduzierten Ansprüchen
Weil sie meist kurzfristig eine Wohnung suchen, seien Einwanderer vom Neubauwohnungsmarkt mehrheitlich ausgeschlossen, stellt die ZKB in ihrer Auswertung fest.
Zuwanderer ziehen deshalb häufiger in eine Altbauwohnung als Personen, die innerhalb der Schweiz umziehen. «Dabei handelt es sich wohl vor allem um solche Altbauten, die den Qualitätsansprüchen der Einheimischen nicht genügen oder zu überhöhten Mieten angeboten werden und daher am Markt übrigbleiben», so die ZKB.
Erst recht schlecht steht es um die Chancen von Einwanderern auf preisgünstige Genossenschaftswohnungen. In der Stadt Zürich, wo jede vierte Wohnung sogenannt gemeinnützig ist, sind 2022 laut der ZKB bloss 6 Prozent der Eingewanderten in eine Genossenschaftswohnung gezogen, verglichen mit 21 Prozent bei den Personen, die innerhalb der Schweiz umzogen. «Diese wenigen ziehen in aller Regel zu jemandem hinzu», schreibt die ZKB.
Die Mehrheit der Zugewanderten ist zwischen 20 und 40 Jahre alt und ledig. Das erhöht mindestens kurzfristig die Flexibilität und senkt die Ansprüche. So belegen viele zunächst keine eigene Wohnung, sondern nehmen mit einer Wohngemeinschaft vorlieb oder stossen – etwa im Rahmen des Familiennachzuges – zu Verwandten hinzu.
Ihr Flächenverbrauch ist im Jahr nach der Ankunft mit 36 Quadratmetern pro Kopf entsprechend geringer als bei einheimischen Umzüglern mit 44 Quadratmetern.
Die erste Wohnung in der Schweiz ist für viele eine Übergangslösung, wie die ZKB schreibt. Jede fünfte Person zieht bereits ein Jahr nach der Einwanderung innerhalb der Schweiz um.
Keine unmittelbare Konkurrenz
In der Stadt Zürich ist dieser Effekt noch deutlicher ausgeprägt: 28 Prozent der 2022 Zugewanderten hatten 2023 bereits eine neue Wohnung. Davon blieben 60 Prozent trotz der schwierigen Angebotslage der Stadt treu.
Die anderen, die aus der Stadt wegzogen, konnten ihre Mietkosten deutlich senken. Laut ZKB zahlen sie monatlich noch 26 statt vorher 34 Franken pro Quadratmeter.
Die Analyse der ZKB macht deutlich, dass die Zugewanderten für die Einheimischen keine unmittelbare Konkurrenz auf dem Immobilienmarkt darstellen – zumindest im ersten Jahr nach der Ankunft.
Danach stehen ihnen teils dieselben Wege zur Wohnungssuche offen. Ihr Effekt auf den Wohnungsmarkt ist also mindestens mittelfristig eine Realität.
Das Beratungsunternehmen Wüest Partner hat die Auswirkungen der Zuwanderung auf Wohnungsmarkt und Preise in einer Untersuchung mit einer Zahl versehen.
Demnach führt ein Bevölkerungsplus von 1 Prozent zu einer Erhöhung der Angebotsmieten von ebenfalls einem Prozent. Kaufpreise für Einfamilienhäuser verteuern sich in diesem Szenario um 0.88 % und jene für Stockwerkeigentum um 1.37 %.
Die Bastion der Einheimischen
Langfristig ausgesperrt bleiben Einwanderer – zumindest in der Stadt Zürich – von gemeinnützigen Wohnbauträgern. «In den Stadtzürcher Genossenschaften sind Schweizerinnen und Schweizer mit 80 % der Bewohnerschaft übervertreten», heisst es dazu in einem Verbandsbericht von 2021Externer Link.
Und: «Vor allem Personen, die im Ausland geboren wurden, leben seltener in Genossenschaftswohnungen.»
Da es sich bei vielen Einwanderern in Zürich um Zugehörige einer mobilen, gut ausgebildeten Elite handelt, die ihren Lebensmittelpunkt rasch verschieben kann, dürfte auch hier der Faktor Zeit eine Schlüsselrolle spielen.
Die Suche nach einer Genossenschaftswohnung in Zürich gilt auch unter Einheimischen als Mehrjahresprojekt ohne Erfolgsgarantie. Wer nicht sicher ist, dass er in ein paar Jahren noch in Zürich ist, tut sich den Aufwand gar nicht erst an.
Editiert von Balz Rigendinger
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