Auf der Suche nach den gestohlenen Kindern
Eine Studie soll Aufschluss über Tausende Kinder geben, die in der Schweiz bis in die 60er-Jahre zwangsweise in Heimen untergebracht worden waren.
Der Bund erbat sich von den Kantonen Zugang zu den entsprechenden Dossiers.
Die Antworten der zuständigen Stellen der Kantone würden bis Ende Februar erwartet, bestätigte Staatssekretär Charles Kleiber von der Gruppe Wissenschaft und Forschung einen Bericht des «Journal du Jura».
Erste Studie in der Waadt
Die Recherchen könnten im Rahmen einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds durchgeführt werden. Um die Kantone von der Wichtigkeit der Nachforschungen zu überzeugen, wurde in einer ersten Studie die Situation der Kinder untersucht, die im Kanton Waadt und anderen Teilen der Romandie ihren Eltern entrissen und zwangsweise in Heimen oder bei Pflegeeltern platziert worden waren.
Eine beträchtliche Zahl von Kindern habe das Schicksal der Fremdplatzierung erlitten. Und es habe sich gezeigt, dass die für die Untersuchung nötigen Dossiers nach wie vor nicht zugänglich seien. Der Bund engagiere sich aus rein historischem Interesse, betonte Kleiber. Es gehe nicht um Wiedergutmachung.
Entschädigung nicht im Vordergrund
Für Jean-François Steiert vom Waadtländer Departement für Jugend und Bildung stehen materielle Entschädigungen ebenfalls nicht im Vordergrund. Vielmehr gehe es um symbolische Anerkennung dessen, was die Betroffenen durchlitten hätten und darum, dass sie nicht mehr marginalisiert würden, sagte er.
Ihren Eltern entrissene Kinder sind in der Schweiz nicht das erste Mal Gegenstand der Forschung. Im Rahmen der Aktion «Kinder der Landstrasse» platzierte pro juventute bis in die 70er-Jahre über 600 Kinder von Fahrenden in sesshaften Familien und in Institutionen – dies mit der Unterstützung der Behörden.
Die Stiftung entschuldigte sich 1987 zum ersten Mal bei den Betroffenen. Zwischen 1988 und 1993 stellte der Bund 11 Mio. Franken für Wiedergutmachung zur Verfügung.
swissinfo und Agenturen
Das Schweizerische Bundesarchiv publizierte im Juni 1998 die historische Studie über das «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse».
Sie wurde im Auftrag des Bundesamts für Kultur verfasst und untersuchte das Schicksal von rund 600 jenischen Kindern, die zwischen 1926 und 1973 von der pro juventute ihren Eltern weggenommen worden waren.
Eine neue Studie soll das Schicksal weiterer, zwangsplatzierter Kinder beleuchten.
Experten vermuten, dass bis in die 60er-Jahre über 100’000 Kinder ihren Eltern weggenommen und zwangsweise in Heimen platziert worden waren.
Viele von ihnen wurden dort misshandelt.
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