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Der heisse Trend zu kalten Betten

In manchen Hotels im Locarnese gehen die Lichter aus. Keystone

Immer mehr Hotels im Locarnese schliessen und werden in Ferienwohnungen umgebaut. Der Trend von der Hotellerie zur Parahotellerie ist auch in anderen Feriendestinationen der Schweiz verbreitet.

Ein schwacher Trost für die Tessiner.

Die meisten Hotels im Locarnese haben in diesen Tagen für die Winterpause dicht gemacht. Erst zur kommenden Sommersaison werden sie wieder Gäste empfangen. Manche öffnen jedoch nicht mehr.

Jüngstes Beispiel: Das Hotel Muralto, ein angesehenes Vier-Stern-Hotel in bester Lage am Golf von Locarno. Es wird in Luxus-Wohnungen umgebaut. Dies ist beschlossen. Allenfalls wird der Betrieb 2005 nochmals provisorisch aufgenommen.

Die historische Hotelmeile von Locarno-Muralto am Lago Maggiore dünnt somit weiter aus. Das Hotel Verbano ist bereits verwaist, das Beau-Rivage soll in Wohnungen umgebaut werden. Und selbst vom noblen Vier-Stern-Haus Reber wird gemunkelt, es könne schon bald in eine Luxus-Residenz mutieren.

Was das im Klartext bedeutet, ist neben dem Reber zu sehen: Ein edles Wohnhaus mit stets geschlossenen Fensterläden.

Tief greifender Strukturwandel

Der Trend betrifft nicht nur Locarno. In Ascona ist aus dem Hotel Moro eine Residenz geworden, in Porto Ronco ist das Hotel Acapulco am Seeufer Luxuswohnungen gewichen.

“Wir befinden uns in einem tief greifenden Strukturwandel”, sagt Hans-Peter Kreuziger, der als Pächter der Hotels Muralto und Zurigo das Handtuch geworfen hat. Die Ansprüche der Gäste stiegen, doch der Hotelbesitzer habe sich seit Jahren geweigert, notwendige Investitionen zu tätigen. Da wollte er nicht mehr weitermachen.

Und natürlich kommen immer weniger Gäste. Die Logiernächte in der Destination Lago Maggiore sind vom Spitzenjahr 1991 mit 1,37 Millionen auf mittlerweile 1,02 Millionen geschrumpft.

Mangelnde politische Unterstützung

Die Hoteliers von Locarno sind in grösster Sorge, weil ihnen auch politische Unterstützung fehlt. So stellt sich die Gemeinde Muralto schon auf die Post-Hotelphase ein. Durch eine Anpassung des Zonenplans soll verhindert werden, dass hässliche Garageneinfahrten die neuen Appartementhäuser am Seeufer zieren. Das Erdgeschoss soll für Geschäfte und Bars erhalten bleiben. Dafür soll ein Parkhaus fürs Quartier entstehen.

Der Präsident des Hoteliervereins Locarno, Roland Vonlanthen, spricht von einem besorgniserregenden Trend. Denn das Hotelsterben könne sämtliche Anstrengungen, die Destination Locarno durch Initiativen wie Musikfestivals neu zu lancieren, zunichte machen. Von den Auswirkungen aufs Filmfestival einmal ganz zu schweigen: “Die Leute müssen ja irgendwo schlafen.”

Filmfestival Locarno rückt nach Ascona

Die Krise der Hotellerie in Locarno stellt ein ernsthaftes Problem für die Zukunft des Internationalen Filmfestivals Locarno dar. “Ich bin extrem besorgt”, räumt Filmfestivalpräsident Marco Solari auf Anfrage ein. In Locarno spiele man mit dem Feuer.

“Das wahre Problem unseres Festivals ist nicht die künstlerische Leitung oder die Auswahl der Filme, sondern das Zimmerangebot in Locarno”, doppelt Solari nach. Grund: Die Gäste des Filmfestivals wollen möglichst nahe am Geschehen logieren, sich möglichst zu Fuss bewegen. In diesem Sinne ist die Schliessung des zentral gelegenen Hotels Muralto ein erheblicher Verlust fürs Festival. “Dieses Hotel ist vital für uns”, sagt der Festivalpräsident.

Auch die Gerüchte um einen allfälligen Umbau des Hotel Reber, in dem die Jury logiert, sowie die unsichere Zukunft des wenig noblen, aber charmanten Grand Hotels gehen dem Festival an die Substanz. Zweifellos, so Solari, werde sich das Epizentrum des Festivals wohl künftig in Richtung Ascona verschieben. Dort ist die Hotellerie besser in Schuss. Ausserdem plant die Gemeinde ein neues Kongresszentrum.

Von der Hotellerie zur Parahotellerie

Der Präsident des Hoteliervereins Locarno legt den Finger auch auf eine andere Wunde. Im Gegensatz zu Immobilienoperationen sei es für Hotels sehr schwierig geworden, Kredite bei Banken zu erhalten. “Risikoverminderung nennen das die Banken”, stichelt Roland Vonlanthen.

“Wenn wichtige Hotels schliessen, sind wir als Destination auch nicht mehr in den Katalogen der grossen Touroperators vertreten”, gibt Fabio Bonetti, Direktor des Verkehrsvereins Lago Maggiore, zu bedenken. Er bestätigt den Trend von der Hotellerie zur Parahotellerie. Und verweist auf die geringe Wertschöpfung der so genannten kalten Betten.

Schwacher Trost

Es ist ein schwacher Trost, dass andere Feriendestinationen mit dem gleichen Phänomen kämpfen. So ist beispielsweise in St. Moritz das Posthotel Ende August geschlossen worden, um einem Bauwerk aus der Feder des Stararchitekten Norman Foster Platz zu machen. Im neuen “The Murezzan” sollen Posthotel und Albana umgenutzt werden. Einmal mehr entstehen Luxuswohnungen, Restaurants und Läden.

Doch der Finanzchefs des Kur- und Verkehrsvereins St.Moritz, Andreas Fauenfelder, hat in der “Hotel- und Tourismusrevue” bereits vor einem bekannten Teufelskreis gewarnt: “Viele geschlosse Fensterläden und wenig belegte Hotels sind für potentielle Feriengäste kein Anreiz mehr, ihren Urlaub in solchen Orten zu verbringen.”

Silvaplana mit einem Zweitwohnungsbestand von 75 Prozent oder Celerina mit 72 Prozent sind lebendige Beispiele dieser These.

Aber auch Destinationen wie Crans Montana, Saas Fee, Zermatt, Lenzerheide oder Arosa haben mit diesem Problem zu kämpfen.

“Spätestens wenn das Verhältnis zwischen Hotelbetten und Zweitwohnung 2 zu 1 beträgt, ist das in einer Struktur mit gewachsener Hotellerie ungesund”, erklärte Hansruedi Müller vom Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus der Uni Bern vor kurzem in der “SonntagsZeitung”.

swissinfo, Gerhard Lob, Locarno

1991: 1,37 Mio. Logiernächte in der Destination Lago Maggiore – Spitzenjahr

Heute: Logiernächte auf 1,02 Mio. geschrumpft

Zweitwohnungsbestand in Silvaplana GR: 75%

Zweitwohnungsbestand in Celerina GR: 72%

Der Trend von der Hotellerie zur Parahotellerie ist nicht nur im Kanton Tessin verbreitet, sondern auch in anderen Feriendestinationen der Schweiz, insbesondere in den Kantonen Graubünden und Wallis.

Im Locarnese am Lago Maggiore werden heute immer mehr Hotels in Ferienwohnungen umgebaut. Oft in Luxuswohnungen, die dann meist leer stehen. Tourismus-Experten warnen vor der geringen Wertschöpfung von diesem Trend.

Die Krise der Hotellerie stellt ein ernsthaftes Problem für die Zukunft des Filmfestivals von Locarno dar. Die Schliessung des zentral gelegenen Hotels Muralto sei ein erheblicher Verlust für die renommierte internationale Veranstaltung, so Filmfestivalpräsident Marco Solari.

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