Räuber aus Marseille: «Schweizer Museen sind einfach zu knacken»
Jonathan Moltaldo, der sich heute als geläutert bezeichnet, organisierte einige der spektakulärsten Einbrüche, die in der Schweiz stattgefunden haben – darunter jene in den Uhrenmuseen von Audemars Piguet und Jaeger-LeCoultre im Vallée de Joux. Er sagt: Die Sicherheit von Museen in der Schweiz sei nach wie vor gering.
Jonathan Moltaldo empfing die Sendung «Mise au point» des Westschweizer Fernsehens RTS in einer Bar auf dem Prado, der bekanntesten Strasse Marseilles. Korsische Flagge, starker Kaffee und ein altmodischer Tisch – eine Kulisse wie in einem Kriminalfilm.
Der TV-Beitrag von RTS (auf Französisch):
Bei seinem Prozess im Jahr 2021 vor dem Bezirksgericht Nord Vaudois hatte Moltaldo seine Taten bestritten. Er wurde wegen «gewerbsmässigen Diebstahls und Sachbeschädigung» zu drei Jahren Haft verurteilt.
Heute erzählt er seine wahre Geschichte. Es ist das erste Mal, dass er sich einem Journalisten anvertraut.
Ein Raubüberfall bei Audemars Piguet in nur wenigen Minuten
Der Überfall auf das Museum von Audemars Piguet im Jahr 2010 fand nachts statt und dauerte nur wenige Minuten. «Ich glaube, wir kamen um 3 Uhr oder 3:30 Uhr an. Ich hatte das Gelände schon seit zwei Wochen ausgekundschaftet. Nebenan stand eine Scheune mit Leitern. Ich wusste, dass dort immer eine parat stehen würde.»
Die Logistik war akribisch vorbereitet: ein in Frankreich gestohlenes Auto, Überwachung der Patrouillen, genaue Rollen für jeden Komplizen. «Wir waren zu dritt: ich und zwei Kollegen. Der Fahrer blieb unten. Ich habe ihm gesagt: Wenn wir nach vier Minuten nicht da sind, soll er abhauen.»
Die Eingangstür des Museums war geschützt, die Fenster im Obergeschoss waren es nicht. «Als wir auf dem Vordach ankamen, schlug ich mit einem Vorschlaghammer auf das Fenster ein. Es gab nach und wir gingen ins Innere des Museums. Der Kollege begann, die Vitrinen zu zerschlagen, während ich die Uhren rausholte.»
Insgesamt verschwanden an diesem Tag 59 Uhren, von denen nur 12 wieder gefunden wurden. Der Versicherungswert liegt bei fast einer Million Franken.
Auf die Frage, wo die Uhren sind, antwortet Moltaldo, dass er sie nicht mehr habe. «Ich habe die Uhren nie getragen, ich mag sie nicht», sagt er. Ausserdem hatte er bereits einige Kunden.
«Ein Sammler und ein Käufer haben mir die Uhren abgekauft. Ein Hehler kaufte mir einige Uhren ab, um sie einzuschmelzen und die Diamanten zurückzugewinnen», erzählt er.
«Ein Sammler kontaktierte mich wegen der anderen Uhren und bot mir einen guten Preis. Er versicherte mir, dass sie niemand jemals finden werde. Das Ziel war, dass sie vom legalen Markt verschwinden. Einige sind in Russland, Israel und Marokko bei Prinzen gelandet… Wer soll das kontrollieren? Niemand.»
Im Gespräch mit RTS schildert der ehemalige Einbrecher auch seinen anderen Raubüberfall auf das Museum von Jaeger-Le Coultre: «Jemand hat uns die Informationen gegeben: Sicherheitslage, Anzahl der Kisten, Inhalt. Wir haben ihm gegeben, was er wollte.»
Moltaldo ist der Meinung, dass die Sicherheit in Schweizer Museen gering ist: «Ein einfaches Fenster, das nach dreimaligem Klopfen zerbricht, kein Metallvorhang, der herunterfällt, nichts. Dabei handelt es sich um Aushängeschilder der Schweizer Industrie und doch ist der Schutz so lasch.»
Museen, vor allem in der Schweiz, seien eine leichte Beute. «Es ist viel einfacher, ein Museum zu überfallenals eine Bank oder einen Geldtransport. Auch weil die Beute einen kulturellen Wert hat und lässt sich leichter verkaufen lässt. Ein Geldtransport ist schwierig, für eine Bank braucht man Sprengstoff und Gewalt. Ein Museum ist so einfach…»
Nach dem Raub bei Audemars Piguet wurde Moltaldo – der Neffe von Alain Armato, einer Figur aus dem Marseiller Gangstermilieu, dem eine unglaubliche Flucht aus einem Gefängnis per Helikopter zugeschrieben wird – als Einziger verhaftet.
Seine beiden Komplizen konnten nie identifiziert werden. Moltaldo sagt: «Ich habe nie Namen genannt. Man verrät niemanden. Wenn du jemand in Marseille verrätst, stirbst du.»
Ein reuiger Mann schreibt ein Buch
Heute gibt sich Moltaldo geläutert. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel «Von Marseille bis in die Schweiz für den Raub des Jahrhunderts».
Er wolle mit der Vergangenheit abschliessen, sagt er. In seiner Erzählung wird jedoch immer noch der Nervenkitzel des perfekten Raubüberfalls und der minutiösen Kalkulation spürbar.
Aus seinen Jahren im Gefängnis hat er eine Wut auf das Schweizer Strafsystem mitgenommen, besonders nach seiner ersten Verurteilung. «Ich konnte mich nicht richtig verteidigen», sagt er. Das habe ihn wieder rückfällig werden lassen.
Übertragung aus dem Französischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub
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