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Die steile Karriere des Mauro Dell’Ambrogio

Mauro Dell'Ambrogio, neuer Staatssekretär für Bildung und Forschung. ti-press

Seit 1. Januar 2008 ist der Tessiner Mauro Dell'Ambrogio neuer Staatssekretär für Bildung und Forschung. Er gehört zu den wenigen Italienischsprachigen in einer Leitungsfunktion der Bundesverwaltung.

Mauro Dell’Ambrogio geht seine neue Aufgabe mit grosser Motivation und Entschiedenheit an. swissinfo hat mit ihm gesprochen.

swissinfo: In Ihrer beruflichen Karriere haben Sie auffällig häufig den Job gewechselt. Wie erklärt sich das?

Mauro Dell’Ambrogio: Meine unterschiedlichen Aktivitäten weisen durchaus einen roten Faden auf. Ich habe immer versucht, etwas aufzubauen, zu entwickeln und anfänglich zu konsolidieren. Das langfristige Funktionieren der Projekte habe ich dann anderen überlassen. Ich wollte nie in eine Routine oder Bequemlichkeit verfallen.

Ich habe meinen Posten aufgegeben, um Platz für jüngere Leute zu machen. Personen, die für die Fortführung der Arbeit vielleicht sogar besser geeignet waren als ich. Dieser Ansatz kam mir ganz spontan und natürlich. Dazu kommt, dass ich mich immer wieder in Frage stelle. Diese Faktoren haben sicherlich auf mein Curriculum eingewirkt.

swissinfo: Dabei ist auffällig, dass Sie stets verantwortungsvolle Aufgaben mit grossen Entscheidungskompetenzen inne hatten. Entspricht es Ihrem Führungsstil, Befehle zu erteilen?

M.D.: Tatsächlich war ich schon in jungen Jahren in verantwortungsvollen Positionen. Doch ich habe meine Berufslaufbahn nie als vertikales Aufsteigen begriffen. Ich wollte eher horizontal wachsen. Für mich bedeutet Karriere nicht, eine Leiter in einer mir bekannten Umgebung hochzuklettern, sondern immer eine neue Herausforderung zu suchen.

Ich wurde einmal gefragt, ob es für mich wichtiger sei, geliebt zu werden oder gefürchtet zu sein. Eigentlich habe ich darauf nie geantwortet: Denn letztlich sind beide Seiten wichtig, wie bei der Erziehung. Die eigene Entschlussfreude und Befehlskraft – auch wenn dieses Wort nicht gerade in Mode ist – muss man dem Kollektiv zu Verfügung stellen, um gemeinsame Ziele zu erreichen.

Es war für mich stets besonders befriedigend, gemeinsam mit meinen Mitarbeitern ein Ziel zu erreichen. Aber um dieses Ziel zu erreichen, braucht es ein einheitliches Handeln und Disziplin. Dies lässt sich wiederum nur durch eine gewisse Befehlskraft erreichen, die ich als Übernahme von Verantwortung definiere.

swissinfo: Wie wichtig war in diesem Zusammenhang ihre Erfahrung als Kommandant der Kantonspolizei?

M.D.: Diese Erfahrung war ganz fundamental. Wenn man von einem Tag auf den anderen auf den Frontseiten der Zeitungen landet und wie ein Monster dargestellt wird, lernt man schnell, etwas Distanz zu bekommen. Und man lernt, Fakten von Meinungen zu unterscheiden.

Manchmal ist man allein, wenn man wichtige Entscheide fällen muss. Auch diese Erfahrung ist hilfreich. Mit der Zeit bekommt man ein hartes Fell. Und dieses schützt einen vor Druckversuchen. So lernt man aber, auch in stürmischer See das Ruder fest in der Hand zu halten.

swissinfo: Sie sind nun für Forschung und Bildung zuständig. Wie kann die Schweiz in diesen Bereichen wettbewerbsfähig bleiben?

M.D.: Die Schweiz muss generell einen schwierigen Balanceakt vollbringen: Einerseits muss sie den regionalen Unterschieden Rechnung tragen und die Heterogenität erhalten. Andererseits müssen Mittel konzentriert und Prioritäten festgelegt werden, um mit der stets wachsenden internationalen Konkurrenz mithalten zu können.

Für die wissenschaftliche Forschung bedeutet dies: Soll man diese übers ganze Land verstreuen, damit alle ein wenig Arbeit haben, oder an einigen Orten konzentrieren, um international konkurrenzfähig zu sein? Beides kann die Schweiz nicht machen. Und trotzdem hat der regionale Ausgleich fast immer funktioniert und auch den Erfolg der Schweiz ausgemacht.

swissinfo: Reichen die finanziellen Ressourcen für die wissenschaftliche Forschung denn aus?

M.D.: Auch hier stellt sich das Problem des Gleichgewichts. Wenn es zuviel Finanzen gibt, schlafen Institutionen ein. Es wird Geld verschleudert. Notwendige Strukturveränderungen werden versäumt. Umgekehrt kann man nicht einfach allen Forderungen nachkommen und den Steuerzahlern die Rechnung präsentieren. Das heisst: Es braucht Entscheide, manchmal auch schmerzhafte.

Als neuer Staatssekretär trage ich Verantwortung dafür, dass die vorhandenen Mittel für Forschung und Bildung so gut wie möglich eingesetzt werden, bevor wieder jemand nach mehr Geld schreit. Natürlich bin ich mit dieser Aufgabe nicht allein. Die Entscheidungsprozesse in der Schweiz sind sehr komplex.

swissinfo: Sie sind einer der wenigen Tessiner im Kader der Bundesverwaltung. Haben Sie den Eindruck, eine Minderheit zu vertreten?

M.D.: Als hoher Funktionär der Bundesverwaltung muss ich die Interessen der ganzen Schweiz wahrnehmen. Wenn ich Erfolg habe, kann ich zeigen, dass Tessiner Aufgaben von nationaler Bedeutung wahrnehmen können. Dies kann das Image der Tessiner stärken.

Eine Minderheitenposition sollte meines Erachtens nicht automatisch dazu führen, dass man die Problemlösungen anderen anvertraut. Die Tessiner müssen nicht ständig klagen und Forderungen stellen, sondern selber handeln.

swissinfo: Sie sind Vater von sieben Kindern. Eine schwierige Rolle?

M.D.: Kinder geben Anlass zu Freude, aber auch zu Sorge. Das liegt in der Natur der Dinge. Ich glaube, dass ich mich als Vater nicht von anderen Vätern meiner Generation unterscheide. In dieser Rolle sind wir dem jeweiligen kulturellen Umfeld und der Gesellschaft unterworfen. Wir sollten vor allem nicht überbewerten, was aus den Kindern wird. Denn jeder ist seines Schicksals eigener Schmid, auch unsere Kinder tragen ihre eigene Verantwortung. Wenn man mehr als ein Kind hat, ist es vielleicht leichter, dies zu akzeptieren.

swissinfo: Tut es Ihnen Leid, das Tessin zu verlassen?

M.D.: Ein wenig Wehmut ist mit dem Abschied vom Tessin verbunden. Aber andererseits werde ich viel zu tun haben und mich mit neuen Fragen auseinandersetzen müssen. Positiv ist, dass ich einige Feindschaften und Rivalitäten hinter mir lassen kann. Ich nehme aber auch viele positive Erinnerungen und Erfahrungen mit, die ich einem grösseren Kreis von Personen zukommen lassen will. Dies wird mir eine Stütze sein, genauso wie meine Ehefrau, die mich nach Bern begleitet.

swissinfo, Françoise Gehring, Lugano
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Mauro Dell’Ambrogio wird 1953 im Tessin geboren. Er studiert in Zürich Rechtswissenschaften und promoviert in Rechtsphilosophie. Nach dem Studium erlangt er im Tessin das Anwalts- und Notariatspatent.

Im Alter von nur 25 Jahren wird er Bezirksrichter in Bellinzona, wenig später Polizeikommandant des Kantons Tessin. Diese Tätigkeit übt er fünf Jahre lang aus. Er führt für Frauen neu die Möglichkeit ein, die Polizeischule zu absolvieren.

Im Jahr 1993 wird er zum Generalsekretär des Erziehungsdepartements des Kantons Tessin berufen. In dieser Funktion arbeitet er am Aufbau der Universität der italienischen Schweiz (Usi). Später wird er erster Generalsekretär der 1996 gegründeten Universität.

Nach drei Jahren wechselt er in die Privatwirtschaft – als Direktor einer privaten Spitalgruppe. 2003 wird er zum Direktor der Fachhochschule der italienischen Schweiz (Supsi) gewählt.

Dell’Ambrogio war politisch für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) aktiv. Von 1992 bis 2004 war er Gemeindepräsident von Giubiasco, von 1999 bis 2007 gehörte er dem Tessiner Grossen Rat an. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von insgesamt sieben Kindern.

Angesicht der strategischen Bedeutung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) für die Entwicklung der Gesellschaft und das wirtschaftliche Wohlergehen der Schweiz will der Bund mehr finanzielle Mittel für diese Bereiche bereit stellen.

Das Staatssekretariat für Bildung und Forschung erinnert in einem Communiqué daran, dass das Eidgenössische Parlament in der Herbstsession einen Rahmenkredit für Forschung, Bildung, und Innovation für die Jahre 2008 bis 2011 in Höhe von 20,109 Mrd. Franken gesprochen hat.

Rechnet man die Mittel hinzu, die im Rahmen des Forschungsabkommens mit der Europäischen Union (EU) vom Parlament abgesegnet wurden, erreicht das globale BFI-Budget 2008-2011 gut 21,3 Mrd. Franken.

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