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«Mich neu zu erfinden, gibt mir viel Kraft»

Chantal Gaemperle zieht mit Familie und Büro nach Paris. lvmh

Chantal Gaemperle, die von Nestlé zu Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH) und von der Schweiz nach Paris wechselt, steht vor einem Wendepunkt in ihrem Leben.

Die Waadtländerin, neue Leiterin der Abteilung «Human Resources» und Mitglied der Geschäftsleitung der Nummer eins der Luxusgüterindustrie, erklärt im Gespräch mit swissinfo, was sie antreibt und motiviert.

LVMH gleicht einem Monster mit vielen Tentakeln. Die Gruppe ist auf der ganzen Welt aktiv, sowohl praktisch wie auch symbolisch durch Namen wie Dom Pérignon oder Dior.

Die Nummer eins der Luxusgüterindustrie beschäftigt nahezu tausend Personen in der Schweiz und 65’000 insgesamt auf der ganzen Welt. Seit letztem März ist nun Chantal Gaemperle verantwortlich für dieses Humankapital.

swissinfo: Was hat Sie dazu bewogen, von Nestlé zu LVMH zu wechseln?

Chantal Gaemperle: Nachdem ich meinen Auftrag bei Nestlé erfüllt hatte, bot sich mir diese Gelegenheit zu einer neuen, spannenden Herausforderung.

In Vevey habe ich auf der Konzernebene ein Verfahren eingeführt, um Talente aufzuspüren, die Entwicklungsmöglichkeit der Kader zu erleichtern, die Nachfolgeregelung für Schlüsselpositionen zu verbessern und die Schritte zu einem weniger hierarchisch ausgerichteten, resultatorientierten Unternehmen zu begleiten.

Bei LVMH war ich vor allem angetan von der Kompetenz der Menschen, die ich dort während dem Anstellungsprozedere getroffen habe. Das Gewicht und die Positionierung der Funktion «Human Ressources», die sehr strategisch ausgerichtet und nahe beim Präsidenten angesiedelt ist, haben mein Interesse noch verstärkt.

swissinfo: Um die Sache etwas zu vereinfachen, worin besteht ihre Aufgabe bei LVHM?

C.G.: Eine Personalpolitik auf Konzernebene umzusetzen, die hoch qualifizierte Leute anzieht, fördert und ans Unternehmen bindet.

Es geht für mich darum, die Synergien innerhalb der Gruppe zu bündeln (5 Geschäftszweige, 60 Marken) und die Gesellschaften und Häuser zu vereinigen, ohne deren Autorität oder Kreativität zu untergraben.

Meine Herausforderung besteht darin, in einer Gruppe mit 65’000 Mitarbeitern ein gutes Gleichgewicht zu finden zwischen Veränderung und Erneuerung und das Erbe des Hauses, das schliesslich die Stärke des Unternehmens ausmacht, zu respektieren.

swissinfo: Worin unterscheiden sich LVHM und Nestlé, was die Leitung der Abteilung «Human Resources» angeht?

C.G.: Es sind zwei verschiedene Kulturen. Der Rhythmus der Geschäftstätigkeit verbunden mit dem Rhythmus bei der Entwicklung von neuen Produkten ist bei LVMH viel höher. Die Gruppe ist in einem stark konkurrierenden Sektor tätig, was sich auf alle Aktivitäten überträgt.

Bei Nestlé beruht die Kultur eher auf dem Konsens und orientiert sich langfristig. Die Produkte und die Technologie sind die Spitzenreiter. Bei LVHM macht das Individuum den Unterschied aus. Viel eher wird die Organisation dem Menschen angepasst.

swissinfo: Wie gehen Sie mit der Tatsache um, dass Sie als Schweizerin einen Führungsposten beim Prunkstück der französischen Luxusgüterindustrie innehaben, das zudem von einem überaus mächtigen Patron geführt wird?

C.G.: Für mich ist dies ein Trumpf, ich verkörpere gleichzeitig Verschiedenheit und Ähnlichkeit, das hilft mir, mich zu integrieren. Als französischsprachige Schweizerin, geboren in Lausanne, bin ich in einer französischen Kultur aufgewachsen, in einem Land, wo vier Kulturen und vier Sprachen nebeneinander existieren. Sprachen und Kulturen, die zusammen die Schweiz bilden. Dieses Gleichgewicht in der Verschiedenheit ist eine Stärke.

Zudem korrespondiert Luxus auch mit Qualität, Tradition und Weltoffenheit, all das bietet die Schweiz.

Ich bringe Professionalität und eine solide Erfahrung mit, die ich in internationalen und renommierten Unternehmen erworben habe. Mein Beruf gibt mir die Freiheit, mit einem neuen Blick und Pragmatismus Vorschläge einzubringen und Veränderungen anzustreben.

swissinfo: Auf welche inneren Kräfte haben Sie sich verlassen können, um diesen Posten anzunehmen?

C.G.: Auf meine Energie, das Verlangen, Neues zu lernen und zu unternehmen, und eine Portion Mut. Dazu gehört auch, sich immer wieder in Frage zu stellen und aus einer gewohnten Situation auszubrechen, um einen neuen Weg gehen zu können. Mit meinen Erfahrungen innerhalb von Unternehmen wie Philip Morris, Merrill Lynch und Nestlé habe ich einen ausgezeichneten Rucksack.

swissinfo: Doch was ist es genau, das Sie dazu bringt, am Morgen aufzustehen?

C.G.: Die Lust, neue Projekte und Ideen voranzutreiben und zu realisieren. Ich liebe meine Arbeit. Die «Human Resources» sind ein privilegierter Ort, um die Bewegungen eines Unternehmens zu beobachten, und man arbeitet mit der schönsten «Materie», die es gibt: Frauen und Männer, die den Erfolg des Unternehmens ausmachen. Ich fühle mich in grosser Übereinstimmung mit meiner Funktion.

swissinfo: Betrachten Sie Ihre Arbeit auch aus einem moralischen oder ethischen Blickwinkel?

C.G.: Ich gebe mir Mühe, einen kritischen Geist zu bewahren. Nicht nur meinen eigenen Handlungen, sondern auch der Geschäftswelt im Allgemeinen gegenüber.

Man sollte bescheiden bleiben, sich auch immer wieder in Frage stellen. Ich hatte immer die Fähigkeit zur Abgrenzung. Um weiterzukommen, braucht es gleichzeitig eine vollständige Identifizierung mit dem Unternehmen und eine kritische Distanz.

Gewisse grundlegende Werte – Familie, Freunde – und das Privileg, dies zu geniessen, sind Elemente, die ich meinen Kindern zu vermitteln versuche. Zu diesen grundlegenden Werten gehört auch zu wissen, wer man ist, sich nicht zu verlieren und seinen Wertvorstellungen treu zu bleiben.

Ich stehe mit beiden Füssen auf dem Boden. Ich werde dafür kämpfen, den Anforderungen gerecht zu werden, doch nicht um jeden Preis. Ich bin bereit, mich anzupassen, doch ich habe eine Linie, und es gibt Werte, an die ich glaube, und diese werde ich nicht opfern.

swissinfo: Wie werden Sie mit einem solch einnehmenden Job neue Energien schöpfen?

C.G.: Das Engagement ist total wie bei einem Marathon, umso mehr als ich den Sektor, das Land und die Stelle wechsle. Neues Lernen und Entdecken ist aufreibend, aber eben auch stimulierend. Es ist eine Art, sich zu «ernähren» und Energien zu mobilisieren.

Das Abenteuer ist voller Risiken und Unsicherheiten. Doch die Möglichkeit, mich wieder beweisen zu können, mich neu zu erfinden, ist ausserordentlich befruchtend. Das gibt mir viel Kraft, und in einer so anspruchsvollen Welt ist dies sehr nützlich.

swissinfo-Interview: Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

Chantal Gaemperle wurde 1964 geboren und studierte an der Universität Lausanne.

Die Schweizerin begann ihre berufliche Laufbahn bei Philip Morris und war in der Folge Leiterin der Abteilung «Human Resources» für die Schweiz bei der amerikanischen Bank Merrill Lynch.

Zwischen 2001 und dem letzten Februar besetzte sie bei Nestlé, der Nummer eins weltweit im Nahrungsmittelsektor, den Posten des «Head of Corporate Management Development and Sourcing».

Die von Bernard Arnault geleitete Gruppe (er hält mehr als 47% des Kapitals) ist weltweit die Nummer eins der Luxusgüterindustrie. Sie beschäftigt 65’000 Mitarbeiter auf der ganzen Welt.

Die LVMH-Gruppe ist tätig in der Mode und der Lederverarbeitungs-Industrie, in den Bereichen Wein und Spirituosen, Uhren und Kosmetik und dem Vertrieb.

Die Gruppe besitzt die Schweizer Uhrenmarken TAG Heuer und Zenith wie auch die Marken Kenzo, Marc Jacobs, Dom Pérignon, Château d’Yquem, Glenmorangie, Louis Vuitton oder Sephora.

Im Jahr 2006 verzeichnete die Gruppe einen Umsatz von 15,3 Milliarden Euro (+10%) und einen Reingewinn von 1,87 Milliarden (+30%).

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