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Neue Börse: Aus der Vergangenheit lernen

Wie viel Einfluss wird die neue Börse haben? Photopress/Friedel Ammann

Die Neugründung einer Aktienbörse – bei der auch die beiden Schweizer Grossbanken UBS und CS mitmachen – muss alte Fehler vermeiden, um erfolgreich zu sein. Das die Meinung eines Experten.

Die Bankenallianz will in London eine eigene Aktienbörse gründen, um die Kosten beim Wertpapierhandel zu senken. Ein erster erfolgloser Versuch war das Handelssystem Tradepoint aus dem Jahr 1995.

Die sieben europäischen Grossbanken nutzen die neuen Regeln der Europäischen Union (EU) und schaffen dank der Liberalisierung eine neue Gesellschaft, die Ende 2007 eine europaweite Plattform schafft, an der die Aktien grenzüberschreitend und günstiger gehandelt werden sollen. Sitz wird London sein.

Über die neue Plattform sollen die europäischen Blue-Chip-Aktien gehandelt werden, also die Wertpapiere der grossen börsenkotierten Unternehmen Europas

Manuel Ammann, Direktor am Institut für Banken und Finanzen an der Uni St. Gallen, fürchtet, dass die neue Plattform den selben Weg nimmt wie Tradepoint, die sich erfolglos in Luft aufgelöst hat.

Dieses elektronische Handelssystem am Finanzplatz London wurde 1995 ins Leben gerufen und konkurrierte mit der Londoner Aktienbörse. Über das System, welches institutionellen Kunden den direkten Handel miteinander eröffnet, konnten über 400 britische Titel gehandelt werden.

“Es ist sehr hart, den herkömmlichen Handelsplätzen Marktanteile abzugraben, denn die sind sehr liquid. Die besten Konditionen finden sich stets da, wo am meisten umgesetzt wird”, sagt Ammann.

“Es erfordert eine konzentrierte Anstrengung aller Beteiligter in diesem Konsortium, um den Kunden bessere Bedingungen als die heutigen anzubieten.”

Nick Miles, der Sprecher des neuen Bankenkonsortiums, sagt gegenüber swissinfo, dass die neuen EU-Richtlinien über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) dem geplanten Handel mehr Möglichkeiten als früher eröffneten. Schon die Verpflichtung, für die Abwicklung eines Finanzgeschäftes auf mehreren Marktplätzen nach dem besten Abschluss zu suchen, werde die Konkurrenz erhöhen.

“Diese Regulierung wurde ja gerade geschaffen, um eine echte paneuropäische Plattform zu schaffen und die Konkurrenz zu erhöhen”, sagt Miles. “Die besteht im Moment nicht.”

Dazu kämen die neu verfügbaren Technologien, die es leichter machten, die geplante Börsenplattform erfolgreich zum Laufen zu bringen, sagt Miles weiter.

Gefahren

Tradepoint hat sich 2001 wegen ihrer Erfolglosigkeit an die Virt-x – einer ebenfalls paneuropäisch ausgerichteten Plattform – angelehnt, diese Beteiligung aber später wieder an die Schweizer Börse abgetreten.

Ironischerweise sind UBS wie auch Credit Suisse Mitglied bei der Virt-x und werden so zu ihren eigenen Konkurrenten.

“In Anbetracht der Tatsche, dass das neue Konsortium ungefähr die Hälfte des Börsenhandels in Europa abwickelt, kann es schon Druck auf die bestehenden Handelplätze erzeugen”, sagt Amman.

Für die schweizer Börse SWX ist es noch zu früh, die angekündigte Plattform als Bedrohung zu sehen. Noch fehlten die Details, zum Beispiel Angaben über die Zahl der Aktien, die überhaupt gehandelt werden sollen.

Die Schweizer Börse SWX reagierte gelassen. “Wir sind gut positioniert mit Virt-x und Eurex”, sagte SWX-Sprecher Jürg von Arx. Die Eurex als Gemeinschafts-Unternehmen der SWX zusammen mit der Deutschen Börse hat sich mittlerweile zur weltgrössten Terminbörse aufgeschwungen. Zudem führt die SWX mit der Deutschen Börse ab 2007 den Handel mit strukturierten Produkten zusammen.

SWX hat auch schon auf die zu erwartende Konkurrenz reagiert und die Gebühren der elektronischen Virt-x gesenkt. Weiter wurden die Handelsgebühren für drei Monate erlassen. Weiter Preisnachlässe sollen zu Beginn des neuen Jahres folgen.

Auch die New Yorker Börse hat auf die Ankündigung reagiert. Dort herrscht die Meinung, dass im kommenden Jahr zusätzliche europäische Börsen tätig sein werden.

“Schlussendlich sehen wir mehr sich konkurrenzierende Börsen in Europa und nicht etwa weniger”, sagt NYSE-Finanzchef Nelson Chai.

swissinfo, Matthew Allen, Zürich
(Übertragung aus dem Englischen, Urs Maurer)

Die beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse beteiligten sich bereits 1995 an Tradepoint in London. Eine Börsenplattform, welche die Londoner Börse (LSE) konkurrenzieren wollte.

Das Projekte scheiterte, weil es nicht genug Handel von der LSE abziehen konnte.

Tradepoint schloss sich deshalb mit der Schweizer Börse SWX zu einer neuen paneuropäischen Börse (Virt-x) zusammen.

Virt-x handelt noch, ist jedoch ganz im Besitz von SWX.

An der neuen Plattform sind nebst den beiden Schweizer Grossbanken auch Citigroup, die Deutsche Bank, Goldman Sachs, Merrill Lynch und Morgan Stanley beteiligt.

Über die neue Plattform sollen die europäischen Blue-Chip-Aktien gehandelt werden. Später sollen auch andere Finanzprodukte dazu kommen.

Der Gewinn der Londoner Börse stieg im ersten Halbjahr 2006 um 60%. Euronext in Paris meldet ein um 8% höheres Gewinnwachstum für das dritte Quartal 2006.

Die MiFID (Markets in Financial Instruments Directive), die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, ist eine Richtlinie der EU zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt.

Ziele sind ein verbesserter Anlegerschutz, ein verstärkter Wettbewerb und die Harmonisierung des europäischen Finanzmarktes.

Als Grundlage für die Konzeption der MiFID kann man die Zielsetzung sehen, dass Anleger – sowohl private als auch organisierte – befähigt werden, leichter innerhalb der EU, aber auch über ihre Grenzen hinweg, zu investieren.

Die Schweizer Börse (SWX) betreibt ihre paneuropäische Blue-Chip-Plattform via die Virt-x in London. Dazu kommt die Eurex, die grösste Terminböse der Welt in Zusammenarbeit mit der deutschen Börse in Frankfurt. Die beiden Börsen planen auch eine gemeinsame Trading- und Clearing-Plattform.

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