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Vogelgrippe bedroht Geflügelzüchter-Pioniere

In der Schweiz leben zwei Drittel der Legehennen und ein Drittel der Hühner in Freilandhaltung. Keystone

Der Ausbruch der Vogelgrippe in Europa trifft die Geflügelzucht hart. Eine Branche, in der die Schweiz seit vielen Jahren führend ist.

Der Stallzwang für Geflügel könnte zu einer dauernden Massnahme werden. Damit wären die in der biologischen und Freiland-Zucht erzielten Fortschritte gefährdet.

In der Schweiz geniessen die Hennen, die jährlich über 700 Millionen Eier legen, die besten “Arbeitsbedingungen” in Europa.

Schon seit 1981 gilt landesweit ein Batteriehaltungs-Verbot für die Tiere. Seither können sie sich im Stall frei bewegen, wenn auch manchmal etwas gedrängt.

In den Ländern der Europäischen Union (EU) dagegen verbringt die Mehrheit der Geflügeltiere ihr ganzes Leben im Käfig eingesperrt. Ein Batteriehaltungs-Verbot wird im EU-Raum nicht vor dem Jahr 2012 eingeführt.

Land der Pioniere

“Die Schweiz zählt seit bald schon zwei Jahrzehnten weltweit zu den Pionieren im Bereich der tiergerechten Geflügelzucht”, sagt Ruedi Zweifel von “Aviforum”, der wichtigsten Schweizer Geflügelzüchter-Organisation, gegenüber swissinfo.

Das Geflügel in der Schweiz geniesst tatsächlich verschiedene Vorteile, wie das Recht auf natürliches Licht oder die Möglichkeit, sich im Freien zu bewegen. Dinge, die in vielen europäischen Ländern nicht garantiert sind.

Fast alle Geflügelzucht-Ställe in der Schweiz verfügen über Auslaufräume an der frischen Luft, die überdacht und umzäunt sind. Ein grosser Teil des Schweizer Geflügels kann sogar ganz im Freien scharren, entweder in Aussenhöfen oder auf der Wiese. Freilandhaltung gibt es für zwei Drittel der Schweizer Legehennen und für einen Drittel der Hühner.

“Für eine tier- und umweltgerechte Produktion haben die Schweizer Geflügelzüchter in den letzten Jahren sehr viel investiert, sei es in Geld oder in Arbeit”, betont Zweifel.

Errungenschaften bedroht

Die Verbreitung des Vogelgrippe-Virus H5N1 in Europa bedroht jetzt ernsthaft alle diese Fortschritte, die von Tierschützern lange erkämpft werden mussten.

In den letzten Tagen erfolgte beim Verkauf von Eiern und Geflügel auch in der Schweiz ein Einbruch. Und nach Ansicht von Experten wird die Vogelgrippe zu einem Problem, mit dem wir noch lange leben müssen.

Der von der Schweizer Regierung am 20. Februar zum zweiten Mal eingeführte Stallzwang für Geflügel scheint diesmal dauerhaft zu sein. “Wenn der Stallzwang bleiben sollte, könnte dies einen Teil der Errungenschaften der letzten 20 Jahre in der Freilandhaltung und der biologischen Zucht zerstören”, sagt Roman Weibel gegenüber swissinfo. Weibel ist Leiter von “kagfreiland”, einer Organisation, die Hunderte von Bio-Züchtern vertritt.

Negative Folgen

Die Bio-Geflügelzüchter sind bisher allerdings weniger vom Umsatzrückgang infolge von Tierseuchen wie Rinderwahnsinn oder Vogelgrippe betroffen. Die Konsumenten haben grösseres Vertrauen in Bio-Produkte.

Nach Bekantwerden der Ausbreitung des H5N1-Virus in Asien war im vergangenen Jahr der Umsatz von Produkten aus traditioneller Geflügelhaltung um 7% zurückgegangen. Dagegen verzeichnete der Verkauf von Bio-Geflügel oder Bio-Eiern einen leichten Zuwachs.

“Falls die Krise sich noch verschärfen sollte, wird auch der Bio-Sektor stark betroffen sein. Bereits in den letzten Wochen haben einige Produzenten ihre Investitionen sistiert und erwogen, ihren Betrieb aufzugeben”, sagt Roman Weibel.

In wenigen Monaten riskieren diese Geflügelzüchter, auf ihre Bio- oder Freiland-Labels verzichten zu müssen. Bis anhin waren die Labels gemäss Regierungsbeschluss noch erlaubt; doch wenn der Geflügel-Stallzwang länger dauern sollte, dürfen sie nicht mehr verwendet werden.

Langfristige Strategie

Obwohl die Züchter die derzeitigen Stallzwangmassnahmen befürworten, die zumindest die Konsumenten beruhigen, verlangen sie von der Landesregierung die rasche Ausarbeitung einer langfristigen Strategie.

“kagfreiland” schlägt dazu verschiedene Massnahmen vor. Darunter die Impfung des Federviehs, Förderung der Zucht von Geflügelarten, die gegenüber dem H5N1-Virus resistenter sind, oder eine Begrenzung des Stallzwangs auf jene Regionen, in denen die Zugvögel präsenter sind, wie zum Beispiel die Binnenseegebiete.

Ferner schlägt “kagfreiland” eine Spezialausbildung für Geflügelzüchter vor mit dem Ziel, Krankheitsfälle bei Federvieh sofort erkennen und mit diesem Risiko leben zu können. Einige dieser Massnahmen, die in der Schweiz Ängste und Kontroversen auslösen, wurden in anderen europäischen Ländern bereits getestet.

“Es handelt sich natürlich um Vorschläge, die einige Risiken mit sich bringen”, erklärt Weibel. Sie müssten aber geprüft werden, damit langfristige Lösungen gefunden werden könnten.

“Die Schweizer Bevölkerung unterstützt eine tier- und umweltgerechte Zuchtpolitik. Man muss deshalb jede Möglichkeit evaluieren, die es erlaubt, auch in der Zukunft diese Produktions-Methoden zu garantieren.”

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Die Schweiz hat 1981 ein Tierschutzgesetz eingeführt, das unter anderem die Batteriehaltung von Hühnern und Legehennen verbietet.

Seit 1991, nach einer zehnjährigen Übergangsperiode, werden in der Schweiz alle Geflügeltiere in Boden-, Auslauf- oder Freilandhaltung gehalten.

Heute können sich 78% der Geflügeltiere zumindest im Freien bewegen. Freilandhaltung gibt es für zwei Drittel der Schweizer Legehennen und einen Drittel der Hühner.

Im EU-Raum leben 80% der Geflügeltiere in Batteriehaltung. Ein Verbot dafür ist erst im Jahr 2012 geplant.

25. Oktober – 16. Dezember 2005: Erster Geflügel-Stallzwang in der Schweiz.

20. Februar 2006: Zweiter Stallzwang, der infolge der Ausbreitung der Vogelgrippe in Europa länger dauern könnte.

Der Stallzwang betrifft rund 8 Mio. Geflügeltiere, davon 5 Mio. Hühner und 2 Mio. Legehennen.

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