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Gerda Poroli: “Guten Tag, wie geht es Ihnen?”

Gerda Poroli, Kioskbesitzerin in Ascona. swissinfo.ch

Ansichtskarten, Zigaretten, Süssigkeiten, Filme, Souvenirs und vor allem Zeitungen... auf Deutsch. Seit 32 Jahren führt Gerda Poroli zusammen mit ihrem Mann Alberto einen der beiden Kioske in Ascona. Der Kiosk an der berühmten und vielbegangenen Seepromenade stellt auf seine Weise einen Spiegel der "Tessiner" Realität dar.

“Sicher, Tessiner Kunden finden es vielleicht merkwürdig, dass die lokalen und italienischen Zeitungen in eine Ecke verbannt sind, zusammen mit den französischen und englischen Blättern. Doch auch bei der Presse entscheidet letzten Endes der Konsument, in diesem Fall die Leserinnen und Leser. Drei Viertel aller Zeitungen, die wir verkaufen, sind deshalb in deutscher Sprache.

Das ist nicht weiter erstaunlich: Die Hälfte der Bevölkerung von Ascona stammt aus Deutschland oder der Deutschschweiz. Von den Feriengästen ganz zu schweigen. Nur wenige Franzosen, fast keine Engländer, und hie und da ein Italiener. Die Tessiner Kundschaft ist in der Minderheit. Die Ein-heimischen haben die lokalen Zeitungen abonniert und bekommen sie nach Hause geschickt, und die italienischen holen sie sich auf der anderen Seite der Grenze. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.

“Guten Tag Frau Zacharias, wie geht es Ihnen?”

“Guten Tag Frau Poroli. Mir geht es gut, und Ihnen?”

“Hier sind Ihre Zeitungen: Stern, Frankfurter Allgemeine und die Musikmagazine. Ist das recht so oder wünschen Sie noch etwas?”

“Nein, das ist alles. Schönen Dank und bis morgen.”

“Ja, auf Wiedersehen, Frau Zacharias.”

Sie sehen, ich kenne fast alle meine Kundinnen und Kunden. Frau Zacharias und ihr Mann Helmut, der berühmte Violinist, wohnen nun schon ihr ganzes Leben lang hier. Sie gehören wie viele andere zu meiner Stammkundschaft. Sie haben einmal angefangen, hierher zu kommen, dann kamen ihre Kinder, und heute sind es in einigen Fällen bereits die Grosskinder.

Zu unseren Kunden haben wir ein freundschaftliches Verhältnis, die meisten erzählen uns viel aus ihrem Leben. Oft kommen sie mehrmals pro Jahr ins Tessin, vor allem an den Wochenenden. Das merkt man ihren Käufen an: Zoccoli, Boccalini und andere Souvenirs verkaufen wir nur noch selten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie das Tessin besser kennen als die Tessiner selbst. Entschuldigen Sie mich nochmals.

“Herr Meier, herzlich willkommen. Sind Sie heute angekommen?”

“Grüezi, Frau Poroli. Ja, grad hüt, mit dr ganze Familie. Bi öis isch scho wieder es grusigs Wätter gsi. So händ mer öis gseit: gömmer ä mol für es paar Tag uf Ascona. Und tatsächlech schynt d’Sunne, wie immer.”

“So, was wünschen Sie?”

“Dr Blick und d’Annabelle.”

“Das macht sieben Franken.”

“Merci und uf wiederluege.”

Sie haben sicher schon bemerkt, dass sich die Touristen in Ascona und überhaupt in der Umgebung von Locarno ganz wie zu Hause fühlen. Wenn sie einen Laden betreten, sprechen sie gleich deutsch; sie versuchen nicht einmal, ein paar italienische Worte hervorzukramen. Viele Locarnesen haben sich daran gewöhnt, vor allem die Geschäftsleute, die ihrerseits deutsch reden, sobald ein Tourist auftaucht. Darüber wundern sich dann die französischen und englischen Gäste; manchmal werden sie sogar wütend, weil sie auch von den Ortsansässigen fast immer auf Deutsch angesprochen werden. Da kommt einer von ihnen.

“Ciao Tato.”

“Ciao Gerda. Uela, ma a té trasformaa al local in manéra stüpenda.”

“Sem stai ubligaa a fa i lavur par via dal lag ké, quand ka l’è vegnu denta, al gha fai un disastro. Ma adess sem cuntent. L’è propri vegnü bén.”

“Aé l’è propri bel. Ma dam i zigaret, par piasé e tegn i soldi.”

“Pronti. Grazie. A s’vedum. Ciao. “

Sie sehen, hie und da ein Tessiner Kunde tut uns gut … damit wir unseren Dialekt und die italienische Sprache nicht vergessen.”

Gerda Poroli/swissinfo

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