Der ICZ auf neuen Wegen

Werner Rom tritt Anfang Dezember als Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) zurück. Die ICZ schaut wieder in die Zukunft.
Als Werner Rom 1993 Präsident wurde, herrschte weitgehend «Normalbetrieb» in der ICZ; die Probleme waren finanzieller Natur: Die Steuererträge waren rückläufig. Die Agenda der ICZ änderte sich jedoch schlagartig, als Mitte der 90-er Jahre die Debatte um die nachrichtenlosen Vermögen in aller Heftigkeit ausbrach.
Die Affäre um Wachmann Christoph Meili, die Spannungen mit dem World Jewish Congress (WJC) oder die Dissonanzen mit den Banken – mittendrin standen auch der ICZ und Präsident Rom. Auf die grösste jüdische Gemeinde der Schweiz, die seit 1945 nur selten im Fokus der Öffentlichkeit stand, fiel auf einmal viel Scheinwerfer-Licht mit entsprechendem Schatten.
Differenzierte Positionen
Die Beziehungen der jüdischen zur nicht-jüdischen Gemeinschaft in der Schweiz hätten sich verschlechtert, sagt Rom. Auf beiden Seiten sei das Misstrauen gewachsen. In diesem Umfeld musste die ICZ ihre öffentliche Rolle und ihren Umgang mit Kritik bestimmen. Gerechtigkeit für die Überlebenden des Holocausts und Fairness gegenüber der Schweiz waren die wichtigsten Ziele.
Dabei bemühte sich Rom um eine differenzierte Position. So warf der ICZ-Präsident der Schweiz nicht ihr Verhalten im Zweiten Weltkrieg vor, sondern die versäumte Vergangenheits-Bewältigung. Wäre die Schweiz etwa in der Frage der nachrichtenlosen Vermögen zu Beginn kooperativer gewesen, hätte die Krise verhindert werden können, glaubt Rom.
Mit dem WJC teilte die ICZ zwar die Ziele, hatte aber Mühe mit seinem Auftreten gegenüber der Schweiz. So appellierte Rom an den WJC, mehr Rücksicht auf die Schweizer Mentalitäten zu nehmen. Allerdings: «Wenn der WJC nicht so selbstbewusst aufgetreten wäre, hätte es wohl gar keine Resultate gegeben», ist Rom überzeugt.
Gefährliches Spiel
Der starke Druck aus dem Ausland reaktivierte antisemitische Ressentiments, die auch Rom zu spüren bekam: Es habe vereinzelt Boykotte gegen sein Geschäft und unanständige Telefonate und Briefe gegeben. «Nicht jede Kritik an Juden ist automatisch antisemitisch», hält Rom fest. Aber die Reizschwelle sank: Die Beschimpfungen waren oft nicht anonym – und dies war neu.
Parteien am rechten Rand des Spektrums, so Rom, spielen mit Fremdenhass und Antisemitismus und lösen diese letztlich aus. «Dabei ist es nicht wichtig, ob jemand Antisemit ist», erklärt er, «entscheidend ist, was jemand mit seiner Politik auslöst.»
Wer ist Jude, wer nicht?
Nach der heftigen Kontroverse um die Vergangenheits-Bewältigung kann sich die ICZ heute wieder auf andere Themen konzentrieren. Etwa auf die theologische Frage, ob Frauen aktiver am Gottesdienst teilnehmen sollen. Ein Thema, das die Gemüter bewegt, ist die «offene ICZ».
Hinter der Diskussion, wie Kinder aus Mischehen in der ICZ behandelt werden sollen, steht die Frage «wer ist Jude und wer nicht?». Nach jüdischem Recht ist Jude, wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum übergetreten ist.
Juden und Jüdinnen, die in Mischehen leben, können Mitglieder in der ICZ sein. Jüdische Erziehung ist jüdischen Kindern vorbehalten. Einige ICZ-Mitglieder wollen nun Kinder aus Mischehen gleich behandeln, unabhängig davon, ob ihre Mutter oder ihr Vater jüdisch ist.
Bewegung braucht Kontinuität
Die Entscheidung, so Rom, liegt letztlich beim Rabbiner. Der heute amtierende Rabbiner Zalman Kossowsky wurde im Wissen um seine traditionelle religiöse Haltung gewählt. Er wird in einigen Jahren pensioniert. «Wenn man einen neuen Rabbiner wählt, kann man über die Ausrichtung der Gemeinde diskutieren», sagt Rom.
«Hier sind Bewegungen im Gang, die Kontinuität brauchen», hält der 58-jährige Rom fest. Weil er jedoch viele Monate im Jahr auf Reisen sei, fehle ihm die Zeit dazu. Deshalb wolle er das Lenken dieser Entwicklungen einem Nachfolger überlassen, der an der Generalversammlung der ICZ am 3. Dezember gewählt wird.
swissinfo und Agenturen

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