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Mehr Qualität und Nachhaltigkeit dank “Teil-Haushalthilfe”

ein alter Mann beobachtet im Wohnzimmer, wie eine Haushaltshilfe sich um seine Frau kümmert
Zusätzlich zu den klassischen häuslichen Pflege- und Betreuungsdiensten bietet ABAD nun versuchsweise eine innovative Dienstleistung an: Die "Teil-Haushalthilfe". Keystone / Gian Ehrenzeller

Die Familienbetreuung entlasten, den Leistungsbeziehenden hochwertige Dienstleistungen anbieten und den Betreuungspersonen korrekte und dauerhafte Arbeitsverträge garantieren: Das ist die Idee hinter dem Projekt "Teil-Haushalthilfe". Dieses neue Modell zu einem erschwinglichen Preis kommt erst in einem Pilotprojekt zum Einsatz. Es ist Teil des Netzes von Pflege- und Hilfsdiensten, die es älteren Menschen ermöglichen, zu Hause zu bleiben.

“Selten entscheiden sich Menschen spontan für einen Umzug in ein Altersheim und sind glücklich darüber”, sagt Roberto Mora. “In den meisten Fällen entscheidet die Familie. Oft, weil sie alleingelassen werden und keine anderen Ressourcen haben.”

Mora ist Direktor des Vereins für häusliche Pflege und Betreuung in BellinzonaExterner Link (ABAD). Es ist eines der sechs öffentlichen Versorgungsunternehmen, die im Kanton Tessin in diesem Bereich tätig sind.

In der Schweiz ist der Beitrag von Familienmitgliedern bei der Pflege und Unterstützung von hilfsbedürftigen Menschen enorm. Schweizweit läuft das Förderprogramm “Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017-2020”Externer Link. Eine von diesem Programm durchgeführte Umfrage ergab, dass in der Schweiz 4,7% der Bevölkerung ab 15 Jahren diese Art von Hilfe fast täglich leisten. 14,3% tun dies mindestens einmal pro Woche.

Im Jahresbericht 2019 dieses Programms wurde speziell hervorgehoben, dass vor allem Menschen im Alter zwischen 45 und 65 Jahren Familienmitglieder betreuen. In den meisten Fällen kümmern sie sich um Eltern oder Schwiegereltern. Vier von fünf Personen im erwerbsfähigen Alter, die einen Menschen betreuen, arbeiten parallel.

Zu Hause alt werden

Mora entwickelte diese neue Form der Unterstützung, die “Teil-Haushalthilfe”, um pflegende Angehörige zu entlasten. Nicht selten brechen diese aufgrund der Belastung irgendwann zusammen. “Die Idee bereichert das Spektrum der Möglichkeiten für Menschen, weiterhin zu Hause zu leben”, sagt er: Die Leistungen für einige Stunden pro Woche werden durch Angestellte des ABAD durchgeführt.

un uomo con le braccia conserte in piedi in un giardino.
Roberto Mora, Direktor der Vereins für häusliche Pflege und Betreuung in Bellinzona (ABAD). swissinfo.ch

Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen klassischen Vermittlungsdienst für Haushalthilfen: Dafür gebe es bereits das Angebot einer gemeinnützigen Organisation, betont Mora. Vielmehr handelt es sich um eine ergänzende Dienstleistung: Es geht dabei darum, pflegende Angehörige zu ersetzen oder zu unterstützen oder isolierten Personen, die weiterhin zu Hause wohnen können, punktuelle oder zusätzliche Hilfe und Unterstützung zu bieten.

ABAD beschäftigt qualifizierte Hausangestellte – also solche, die ein kantonales Diplom besitzen oder sich verpflichten, ein solches zu erwerben – mit einem festen Arbeitsvertrag und organisiert ihre Einsätze vor Ort. So kann im Prinzip jede beschäftigte Haushalthilfe zwei oder drei Personen pro Tag auf einmal betreuen.

Die Haushalthilfen werden unter den Nutzniessenden aufgeteilt, denen ABAD die Leistungen in Rechnung stellt. Vorerst kann eine Einzelperson die “Teil-Haushalthilfe” maximal vier Stunden pro Tag nutzen, nur von Montag bis Freitag während der Arbeitszeiten.

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Niedrige Preise, aber faire Löhne

Dieses Modell wird gegenwärtig in einem Pilotprojekt ausprobiert. Davon profitieren würden alle beteiligten Parteien, ist Mora überzeugt. Die Haushalthilfen hätten die Garantie für normgerechte Arbeitsbedingungen und eine stabile Beschäftigung: Sie würden nicht Gefahr laufen, plötzlich ihren Arbeitsplatz zu verlieren, weil die zu betreuende Person in ein Pflegeheim zieht oder stirbt.

Sie werden auch vor Ort in das gesamte Pflege- und Behandlungsteam integriert und koordiniert. Sie nehmen an Sitzungen teil, erhalten Unterstützung und Beratung: Bedingungen, die es ihnen ermöglichen, beruflich vorwärtszukommen.

Auf der anderen Seite gewährleisten Überwachung und Koordination die Qualität und Eignung der angebotenen Dienstleistungen für jene, die Unterstützung brauchen. Sie können auf einfache Weise darauf zugreifen, ohne sich mit dem administrativen Aufwand befassen zu müssen, der normalerweise mit der Einstellung einer Pflegekraft verbunden ist.

Ein nicht unerheblicher Vorteil für die Betreuten und ihre Familien ist auch der bescheidene Preis dieser Dienstleistung. Darüber hinaus können sie sich sicher sein, dass die Haushalthilfen korrekt entlöhnt werden.

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“In der Versuchsphase bezahlen die Kundinnen und Kunden der Leistungen 25 Franken pro Stunde. Wir hoffen, dass der Tarif auch danach so bleibt. Er sollte höchstens 26 bis 27 Franken betragen”, sagt ABAD-Direktor Mora. “Als Nonprofit-Organisation streben wir keine Gewinnspannen bei der Leistung an. So können wir niedrige Preise verlangen.”

Auf der anderen Seite profitiert der ABAD von einer Restfinanzierung des Kantons, “die bei etwa 10 bis 12 Franken pro Stunde liegen kann”, so Mora. Sein Ziel ist, diese Dienstleistungen für alle zugänglich zu machen.

Entwicklungsperspektiven

Auch wenn dieser Dienst hauptsächlich auf eine Nachfrage von älteren Menschen reagiert, sind Seniorinnen und Senioren nicht die einzigen, die ihn in Anspruch nehmen. Er könne auch eine Lösung in bestimmten Notsituationen sein: Zum Beispiel in Fällen, in denen ein Vater oder eine Mutter plötzlich alleine dastehe und Unterstützung brauche, um sich um die Kinder zu kümmern. Etwa, weil der Partner oder die Partnerin im Spital ist. “Deshalb wollen wir das Angebot nicht auf ältere Menschen beschränken.”

Der ABAD bietet das Angebot seit eineinhalb Jahren an. Er hat vom Kanton Tessin die offizielle Genehmigung für das Experiment erhalten. Generell ist Mora vom Potenzial dieser Dienstleistung überzeugt. “Wir verbessern uns stetig”, sagt er.

Angesichts des bisherigen positiven Feedbacks schliesst Mora auch nicht aus, diese Dienstleistung in Zukunft auf das Wochenende und/oder die Nacht auszudehnen, falls ein solcher Bedarf erkannt werde.

Seit 2011 ist der Mindestbruttolohn für Hausangestellte, einschliesslich Krankenpflegenden, in der ganzen Schweiz in einer BundesverordnungExterner Link festgelegt. Er liegt derzeit zwischen 19.20 Franken pro Stunde für unqualifiziertes und 23.20 Franken für qualifiziertes Personal. Hausangestellte haben Anspruch auf vier (in einigen Kantonen fünf) bezahlte Ferienwochen pro Jahr und bezahlte Feiertage.

Für “Teil-Haushalthilfen”, die seit 2012 über Zeitarbeit-Firmen beschäftigt werden, gilt der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für den PersonalverleihExterner Link. In diesem Fall variiert der Mindestlohn nicht nur je nach Qualifikation, sondern auch je nach Arbeitsort.

Er liegt im Kanton Tessin derzeit zwischen 20.33 Franken pro Stunde für ungelerntes und 25.62 Franken für qualifiziertes Personal, das in Regionen mit einem hohen Lohnniveau zum Einsatz kommt.

Von im Haushalt lebenden Betreuungspersonen können maximal 990 Franken für Kost und Logis vom Monatslohn abgezogen werden.

Obwohl es gesetzliche Mindestlöhne gibt, werden diese in vielen Fällen immer noch nicht eingehalten.

Eine Umfrage im Jahr 2015 ergab, dass die Agenturen zwischen 1500 und 3000 Franken pro Monat an Gehältern, einschliesslich Unterkunft und Verpflegung, an Haushalthilfen zahlten, die hauptsächlich in osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten rekrutiert wurden. Es gab auch Fälle von Monatsgehältern von weniger als 1000 Franken. Die der Kundschaft in Rechnung gestellten Kosten betrugen zwischen 4500 und 13’500 Franken pro Monat.

Zusätzlich zu den Bruttolöhnen der Betreuenden kommen noch Arbeitgeberbeiträge an die Sozialversicherungen und Versicherungen sowie Verwaltungs- und Vermittlungskosten.

Für Menschen, die regelmässig an sieben Tagen in der Woche aktive Tages- und Nachtbetreuung benötigen, sind die Kosten noch höher, da sich die Gehälter von mehr Betreuerinnen und Betreuer summieren.

Zu beachten ist, dass Hausangestellte in der Schweiz laut Gesetz nur Hilfe leisten dürfen. Die Krankenpflege darf nur von Pflegepersonal sowie Sozialarbeitenden mit einem von den Kantonen anerkannten und genehmigten Diplom geleistet werden. Daher sind die damit verbundenen Kosten nicht in den Kosten für eine Haushalthilfe enthalten.

Christian Raaflaub

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