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“Auch der US-Präsident muss nach acht Jahren gehen”

Guido Tognoni 2002 als Fifa-Manager. EQ Images

Fifa-Experte Guido Tognoni begrüsst die Aufwertung des Fifa-Kongresses, die der wiedergewählte Präsident Sepp Blatter angekündigt hat. Skeptisch ist Tognoni bei den anderen Reformen. Insbesondere vermisst der frühere Fifa-Manager eine Amtszeitbeschränkung.

Als langjähriger Marketing- und Medienverantwortlicher des Weltfussball-Verbandes kennt Guido Tognoni die Fifa und deren Langzeit-Boss Sepp Blatter bestens. Dieser war am Mittwoch in Zürich zum vierten Mal wiedergewählt worden.

Der Bündner spricht Klartext, was die Probleme der Fifa betrifft. Dennoch plädiert er im Gespräch mit swissinfo.ch dafür, Blatter eine Chance zur Korrektur zu geben.

swissinfo.ch: Das Echo in den Deutschschweizer Medien fiel kritisch aus: “Mix aus Fortschritt und Eigentor”, schrieb die NZZ, nichts werde sich ändern, so der Tages-Anzeiger. Welches ist Ihr Fazit aus der Bestätigung Blatters? 

Guido Tognoni: Der kritische Ton ist berechtigt. Es wäre schlimm, wenn alles beim Alten bliebe, wie Kritiker befürchten, und Sepp Blatter seine doch recht vollmundigen Versprechungen nicht in die Tat umsetzen würde. Man muss ihm nun aber eine Chance geben zu handeln.

swissinfo.ch: Nicht allfällige Korruption sei das Problem der Fifa, sondern die Günstlingswirtschaft, diagnostiziert der Kommentator im Tages-Anzeiger. Stimmen Sie dieser Analyse zu? 

G.T.: Nicht ganz. Die Fifa ist ein Verein, da gehört Günstlingswirtschaft dazu. Handelt ein Verein strikt gemäss den statutarischen und moralischen Vorgaben, kann er intern letztlich machen, was er will. Hält sich die Fifa endlich an ihre Grundsätze von Ethik und Fair Play, die sie immer wieder ausgiebig betont, ist an einer Günstlingswirtschaft an sich wenig auszusetzen.

Gemäss der aktuellen Lage ist die Korruption das grösste Problem der Fifa. Wer das nicht sieht, hat die Realität nicht begriffen.

swissinfo.ch: Hätten Sie für Mohamed Bim Hammam gestimmt, wäre der Katarer zur Wahl angetreten und wären Sie im Fifa-Kongress gesessen? 

G.T.: Ich bin persönlich mit ihm verbunden. Er hat mir vor acht Jahren eine gute Stelle in Katar angeboten, so dass ich dort ein paar schöne Jahre verbringen konnte. Aus diesem Grund hätte ich für Bim Hammam gestimmt.

swissinfo.ch: Blatter hat drei Reformen angekündigt: Die WM-Vergabe durch den Kongress statt durch das Fifa-Exekutivkomitee, die Stärkung der internen Ethikkommission und die Schaffung einer Lösungskommission. Wie tauglich ist sein erster Vorschlag? 

G.T.: Der Kongress tagt einmal jährlich, er fällt dabei Entscheide von eher unwichtiger Tragweite. Die Massnahme ist sinnvoll, weil sie den Kongress aufwertet. Auch wird der Verdacht eliminiert, dass die Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees käuflich sind, denn sie haben nicht mehr die Macht, über die WM-Austragungsorte zu entscheiden.

swissinfo.ch: Wie sehen Sie die Stärkung der internen Ethikkommission?

G.T.: Da bin ich skeptisch. Unter Blatter hat die Fifa bei allen Problemen bisher immer mit der Einsetzung von Kommissionen reagiert. Bei der bereits existierenden Ethikkommission ist nicht entscheidend, wie gross oder klein diese ist. Die Frage lautet vielmehr: Wer gehört ihr an und wie unabhängig kann sie arbeiten?

Ist die Ethikkommission mit Personen von ausserhalb der Fifa besetzt, ist sie viel glaubwürdiger, als wenn ihr Mitglieder angehören, die der Fifa-Kongress intern vorschlägt und wählt.

Die Ethikkommission sollte aber nur erste Instanz sein. Danach sollte sich ein unabhängiges Gremium um Problemfälle kümmern, ähnlich, wie dies die Welt-Antidopingagentur Wada im Bereich des übrigen Sports tut.

swissinfo.ch: Antikorruptions-Experten fordern ein Fifa-Compliance-System nach dem Muster von grossen Industriekonzernen. Ist ein solcher Kodex mit Blatters Reformvorschlägen in weite Ferne gerückt?

G.T.: Nein, dieser Schritt ist immer noch möglich. Sepp Blatter spricht von einer Lösungskommission, was besser tönt als Compliance oder Corporate Governance. Immerhin hat er realisiert, dass er handeln muss.

Die Fifa wird nicht darum herum kommen, ein solches Gremium einzusetzen, unter welchem Namen auch immer. Als Mitglieder kursieren die Namen von Berühmtheiten wie Henry Kissinger, der ja nicht unbedingt als Nachwuchshoffnung für Korruptionsbekämpfung bezeichnet werden kann.

Lieber wären mir aber aktive, erfahrene Korruptions-Experten vom Kaliber eines Dick Marty oder Mark Pieth. Es braucht Fachkräfte, die den guten Fifa-Ruf verteidigen müssen, nicht dekorative Namen.

swissinfo.ch: Hat der Fifa-Präsident eine zu grosse Machtfülle? Brächte eine Beschränkung auf zwei Amtszeiten eine Entflechtung von Amt und Person? 

G.T.: Ich wäre absolut dafür und hatte gehofft, dass endlich eine Beschränkung auf zwei oder drei Amtszeiten kommt. Das wäre ein echter Fortschritt gewesen. Wenn der Präsident der USA nach acht Jahren abtreten muss, wäre es sicher auch zumutbar, dass der Fifa-Präsident nach acht oder zwölf Jahren diesen Schritt macht

Zur Machtfülle: Macht wird nicht nur genommen, sondern auch gegeben. Wenn das Fifa-Exekutivkomitee oder einzelne grosse Verbände all die Jahre nicht mehr Kontrollfunktion ausüben wollen, ist dies nicht ein Problem Sepp Blatters, sondern ein Problem seines Umfelds.

swissinfo.ch: Der Imageschaden in den Medien scheint der Fifa nichts anhaben zu können. Neu ist aber die scharfe Kritik von Gross-Sponsoren. Haben diese die Macht, Änderungen durchzudrücken? 

G.T.: Endlich sind die Sponsoren erwacht. Ich hatte mich gewundert, weshalb dies nicht schon früher der Fall war. Unternehmen, die 100 Mio. Dollar oder sogar mehr bezahlen, kann nicht egal sein, welches Bild die Fifa als Werbepartnerin abgibt. Falls es nicht nur leere Drohungen sind, kommt die Fifa nicht darum herum, diese Besorgnis zu berücksichtigen.

swissinfo.ch:  In der Schweiz, dem Hauptsitz der Fifa, wollen Parlamentarier die rechtlichen Bestimmungen für grosse Sportverbände verschärfen. Erwächst der Fifa Gegenwind auch seitens der Politik? 

G.T.: Ich bin froh, dass einige Parlamentarier erwacht sind, statt aus Furcht zu kuschen, die internationalen Sportverbände könnten die Schweiz verlassen. Solche Drohungen sind nicht ernst zu nehmen, denn für internationale Organisationen gibt es keinen besseren Standort.

Sie sollten der Schweiz vielmehr dankbar sein, dass sie ihnen Leitplanken setzt. Damit können sie besser arbeiten, denn sie haben ein Alibi, interne Missstände besser auszuräumen.

Ist von Korruption und Misswirtschaft die Rede, wird auch das Image der Schweiz in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb ist es richtig, dass sie solchen Organisationen nicht einfach einen Freipass gibt, sondern sie daran erinnert, dass sie sich in einem Rechtsstaat befinden.

Vor der Präsidentenwahl von letztem Mittwoch hatten sich Amtsinhaber Sepp Blatter und Herausforderer Mohamed Bim Hammam gegenseitig mit Vorwürfen eingedeckt, Stimmen mit Geldgeschenken erkauft zu haben.

Beide mussten sich vor der Fifa-Ethikkommission verantworten.

Bim Hammam wurde für schuldig befunden und suspendiert, Blatter freigesprochen.

Schon vorher hatte der Katarer hatte seine Kandidatur zurückgezogen.

Nach der Vergabe der WM-Endrunden an Russland (2018) und Qatar (2022) beschuldigten britische Medien Ende letzten Jahres mehrere Mitglieder des leitenden Fifa-Exekutivkomitees der Bestechlichkeit.

Schon vor der Vergabe der WM-Orte waren zwei Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees aufgeflogen: Gegenüber verdeckt arbeitenden britischen Journalisten hatten Amos Adamu aus Nigeria und Reynald Temarii (Tahiti) signalisiert, dass sie ihre Stimmen bei der Vergabe der WM-Austragungsorte 2018/2022 verkaufen würden. Die Gespräche waren gefilmt worden.

Die Fifa liess die Sachverhalte von ihrer internen Ethik-Kommission untersuchen und suspendierte die Beiden in ihrer Funktion.

Im Prozess gegen die 2001 Konkurs gegangene Vermarktungs-Agentur ISL war publik geworden, dass die ehemalige Zuger Firma knapp 140 Mio. Franken Bestechungsgelder u.a. an Fifa-Funktionäre überwiesen hatte.

Der Prozess wurde im Juni 2010 eingestellt, nachdem zwei angeschuldigte Fifa-Amtsträger je 5,5 Mio. Franken “Wiedergutmachung” bezahlt hatten.

1998 war schon Blatters Wahl an die Fifa-Spitze von Anschuldigungen des Stimmenkaufs begleitet gewesen.

Bereits sein Vorgänger, der Brasilianer João Havelange, war in Zusammengang mit Korruption gebracht worden.

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