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Schweizer Sterbehilfe-Organisationen vermelden Mitgliederrekorde

Gefaltete Hände einer alten Frau
Aufgrund der Überalterung der Gesellschaft suchen immer mehr Menschen ärztlich assistierten Suizid. Keystone / Matthias Rietschel

Immer mehr Menschen in der Schweiz entscheiden sich für den Beitritt zu einer Suizidhilfeorganisation. Einer der Gründe dafür ist die alternde Gesellschaft.

Über 17’000 neue Mitglieder im Jahr 2022: Das vermeldet allein Exit, die älteste und grösste Sterbehilfeorganisation der Schweiz. Exit hat derzeit 154’118 Mitglieder, die höchste Zahl seit der Gründung der Organisation vor 40 Jahren.

Der wichtigste Vorteil einer Mitgliedschaft bei einer Sterbehilfeorganisation ist der Zugang zum medizinisch unterstützten Suizid im Land. Exit bietet Unterstützung nur für Schweizer Staatsangehörige und Personen mit ständigem Wohnsitz in der Schweiz.

Dieser Trend steht im Einklang mit der steigenden Zahl von Menschen, die sich dafür entscheiden, ihr Leben selbstbestimmt und mit Unterstützung einer Organisation zu beenden. Laut Exit starben im vergangenen Jahr in der Schweiz 1125 Menschen durch assistierten Suizid, im Jahr 2021 waren es 973 und im Jahr zuvor 913.

“Die Gründe für die Zunahme der Freitodbegleitungen sind unter anderem die immer älter werdende Gesellschaft mit der Folge schwer einschränkender Krankheiten oder Behinderungen”, schreibt Exit in einer ErklärungExterner Link.

Das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten, die im vergangenen Jahr durch einen assistierten Suizid starben, lag bei 79,6 Jahren. Es ist damit höher als das Durchschnittsalter im Jahr 2021, das bei 78,2 Jahren lag. Menschen mit Krebs im Endstadium machten mit 37% den grössten Teil der Fälle aus, die auf die Beihilfe zum Suizid zurückgriffen.

Exit A.D.M.D. Suisse Romande, das französischsprachige Pendant der Organisation, zählte Ende letzten Jahres 33’411 Mitglieder. 2022 kamen 3401 neue Mitglieder hinzu – insgesamt beendeten 502 Personen mit der Westschweizer Organisation ihr Leben.

Mehr begleitete Suizide in Institutionen

Die Mehrheit der Exit-Mitglieder entscheidet sich nach wie vor für ein Sterben in den eigenen vier Wänden (76% im Jahr 2022). Die Zahl jener, die dies wünschen, ist aber rückläufig: Im Vorjahr waren es noch 81%.

Laut Exit entscheiden sich immer mehr Patientinnen und Patienten für das Sterben in Pflegeheimen oder Spitälern: 18,6% im letzten Jahr, gegenüber 15% im Vorjahr und 14% im Jahr 2020.

“Immer mehr Institutionen gewähren den Sterbehilfeorganisationen Zugang und ermöglichen so ihren Bewohnenden ein selbstbestimmtes Sterben in ihren Räumlichkeiten”, heisst es in der Mitteilung von Exit.

Im vergangenen Jahr haben zwei weitere Kantone den ärztlich assistierten Suizid in Pflegeheimen und Spitälern zugelassen, um das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten zu respektieren.

Im Kanton Wallis unterstützten die Stimmberechtigten ein Gesetz, das den assistierten Suizid in allen Pflege- und medizinischen Einrichtungen der Region erlaubt.

Das Parlament des Kantons Zürich hat im vergangenen Mai ein ähnliches Gesetz verabschiedet. Nach starkem Widerstand von rechtskonservativen Parteien wurde das Gesetz jedoch geändert, um private Einrichtungen auszuschliessen.

In den französischsprachigen Kantonen Genf, Waadt und Neuenburg ist die Sterbehilfe in Spitälern und Pflegeheimen bereits erlaubt.

Mehr ausländische Mitglieder

Sterbehilfe oder assistierter Suizid ist erst in etwas mehr als zehn Ländern der Welt legal. Das Besondere an der Schweiz ist jedoch, dass einige Organisationen bereit sind, ausländische Einwohnerinnen und Einwohner zu akzeptieren.

Auch Dignitas, die grösste Schweizer Organisation, die Ausländerinnen und Ausländer aufnimmt, verzeichnet eine steigende Mitgliederzahl. Im Jahr 2022 zählte sie 11’856 Mitglieder (832 mehr als im Vorjahr).

Die Organisation nimmt im Rahmen seiner Bemühungen, die Legalisierung des assistierten Suizids in der ganzen Welt voranzutreiben, auch Personen aus dem Ausland auf, Stichwort “Sterbetourismus”.

Die meisten neuen Mitglieder kommen aus den Vereinigten Staaten (+389), gefolgt von Deutschland (+164) und dem Vereinigten Königreich (+95). Über 90% der Dignitas-Mitglieder leben derzeit im Ausland.

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Allerdings machen bei weitem nicht alle Mitglieder von ihrem Recht auf Sterbehilfe Gebrauch. Bei Dignitas stirbt weniger als die Hälfte der Mitglieder, die eine ärztliche Untersuchung bestanden haben, tatsächlich durch Sterbehilfe. Ein Grund dafür ist, dass sich viele Menschen im Voraus anmelden, in Erwartung einer zukünftigen Krankheit.

In der Schweiz bieten Lifecircle und Pegasos, beide mit Sitz in Basel, ihren Mitgliedern ebenfalls Sterbehilfe an. Lifecircle nimmt seit 2022 keine neuen Mitglieder mehr auf, weil dessen Präsidentin Erika Preisig das Rentenalter erreicht hat.

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Strafverfahren

Obwohl der assistierte Suizid in der Schweiz legal ist, besteht für die Ärztinnen und Ärzte ein gewisses Risiko, sich strafbar zu machen.

Nur Patientinnen und Patienten mit einer unheilbaren Krankheit, die unter unerträglichen körperlichen Schmerzen leiden und über ein gesundes Urteilsvermögen verfügen, dürfen einen Antrag stellen.

2016 wurde Preisig, die Präsidentin von Lifecircle, wegen Mordes und Verstosses gegen das Heilmittelgesetz angeklagt, weil sie einer psychisch kranken Patientin ohne Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zum Sterben verholfen hatte.

In einem zweiten Prozess im Jahr 2021 wurde sie teilweise freigesprochen. Sowohl Preisig als auch die Staatsanwaltschaft haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Pierre Beck, ehemaliger Vizepräsident von Exit A.D.M.D. Suisse Romande und Arzt im Ruhestand, wurde letzten Monat in Genf in einem neuen Urteil freigesprochen.

Er hatte einer gesunden 86-jährigen Frau, die an der Seite ihres kranken Mannes sterben wollte, geholfen, ihr Leben zu beenden.

Letztes Jahr hat der Dachverband der Schweizer Ärzteschaft (FMH) seine Richtlinien verschärft: Er erlaubt keine Suizidhilfe mehr für Menschen in gutem Gesundheitszustand.

Die Richtlinien sind nicht rechtsverbindlich, aber Ärztinnen und Ärzte, die dagegen verstossen, können vom FMH mit Sanktionen bis hin zum Entzug ihrer ärztlichen Zulassung belegt werden.

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Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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