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Grab von Wilhelm Tell gefunden

Hier liegt Wilhelm Tell. Die Fundstelle bei Erstfeld im Kanton Uri. swissinfo.ch

Sensationeller Fund bei den Bauarbeiten zum Nordportal der Alpenbahn NEAT in Erstfeld/UR: Ein Bauarbeiter stiess auf eine mit Platten geschützte Grabstätte.

Namhafte Schweizer Wissenschafter sind sich einig: Das ist die letzte Ruhestätte des Schweizer Nationalhelden.

Offiziell will man erst an die Öffentlichkeit gelangen, wenn die letzten Zweifel ausgeräumt sind, sagt man beim Archäologischen Dienst des Kantons Uri.

Doch schon lange kursieren Gerüchte, wonach die Grabstätte in der Nähe von Erstfeld nicht einfach ein weiterer archäologischer Dutzendfund ist, sondern eine Sensation.

“Ob es sich bei der Grabstätte um die letzte Ruhestätte von Wilhelm Tell handelt oder nicht, können und wollen wir im jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen”, heisst es in Uri. Doch andere Archäologen in der Schweiz sind sich bereits sicher. Die Untersuchungen an der Universität Zürich hätten Klarheit geschaffen.

Grosse Felsplatten

Angefangen hatte alles im Herbst des vergangenen Jahres. Beim Aushub für die Geleiseanlagen der neuen Alpenbahn NEAT bei Erstfeld stiess der türkische Bauarbeiter Emren Röfle in etwa drei Metern Tiefe auf sonderbare grosse, rechteckige Felsplatten.

Obwohl Fels in diesem Gebiet allgegenwärtig ist, fiel dem Vorarbeiter sofort auf, dass die Platten behauen sind und eine Art Gruft bilden.

Sofort orientierte Röfle die Vorgesetzten, und die meldeten den Fund dem Wissenschaftlichen Dienst des Kantons Uri. Dies ist Vorschrift in der Schweiz, wenn die Vermutung besteht, auf kulturhistorische Überreste gestossen zu sein.

Was da vor der Baggerschaufel verschont blieb, konnte man zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Doch heute scheint erwiesen: ein türkischer Bauarbeiter entdeckte das Grab von Wilhelm Tell.

Untersuchungen geheim

Bis heute ist bekannt, dass die Grabstätte aus dem späten 13. Jahrhundert stammt und dass die mit dicken Felsplatten (die mit der Untersuchung betrauten Wissenschafter sprechen von “Tellsplatten”) umgebene Grabkammer für die Gegend atypisch ist.

Allerdings ist bekannt, dass nordeuropäische Heldengräber diese Form aufweisen. So nehmen die Wissenschafter an, dass es sich beim Fund in Erstfeld um ein Heldengrab handeln könnte.

Furcht vor Rummel und Bauunfällen

Als man in der karg ausgestatteten Grabkammer nebst einem guterhaltenen Skelett, das auf eine für die damalige Zeit sehr grosse männliche Person von über 1 Meter 90 schliessen liess, auch Überreste einer Armbrust fand, begannen etliche Kantonsarchäologen, das Unfassbare in Betracht zu ziehen. Sofort wurde veranlasst, dass die NEAT-Bauarbeiten an dieser Stelle gestoppt wurden.

Dass bislang vom Fund vom vergangenen Herbst nichts an die Öffentlichkeit gelangte, hat mit der Brisanz des Fundes zu tun. Hätte man zu früh Spekulationen in die Welt gesetzt, hiess es an der Universität Zürich, dann hätte man zahlreiche Schaulustige, Presseleute und Touristen auf den Plan gerufen.

Diese hätten mit ihrer Anwesenheit die Bauarbeiten gestört und Unfälle verursachen können. Ausserdem wäre die archäologische Aufarbeitung der Fundstelle verunmöglicht worden.

Waffe “importiert”?

Doch wie swissinfo erfahren hat, ergeben die Untersuchungen, die von renommierten Forschern aus der ganzen Welt durchgeführt wurden und noch andauern, unter anderem:

Das Grab stammt aus dem 13. Jahrhundert. Es enthielt einen männlichen Toten, der etwa 1,9 Meter gross und stark gebaut gewesen sein musste. Ihm war eine Armbrust mit ins Grab gelegt worden. Ähnliche Waffen dieses mittelalterlichen Typs wurden aber bisher nur in Schweden gefunden.

Weiter fanden sich im Grab eine Pfeilspitze. Untersuchungen mit der C14-Methode förderten Überreste von nicht ganz abgebautem organischen Material zu Tage – wahrscheinlich Äpfel. Der Mann trug bei seiner Grablegung eine kurze Hose und ein blusenähnliches Wams mit einer Art Kapuze.

Ein Schuhwerk konnte nicht nachgewiesen werden, so dass angenommen wird, der Tote sei barfuss bestattet worden.

Wilhelm Arnold

Die letzten Zweifel, dass es sich um Wilhelm Tell handeln muss, wurden ausgeräumt, als man rund drei Monate etwas unterhalb der Fundstelle eine goldene Gürtelschnalle mit den Initialen W.A.T. fand.

Den Forschern bereitete das A etwelche Sorgen. Doch die Lösung liege auf der Hand, steht in einem Untersuchungs-Protokoll, das swissinfo vorliegt: Das A steht für “Arnold”, ein damals üblicher Vorname (zum Beispiel Arnold Melchthal).

Genugtuung auch in Deutschland

Die deutsche Schiller-Gesellschaft in Marbach zeigte sich über die Tatsache, dass Tells Existenz endlich bewiesen sei, erfreut.

Nicht überrascht war man in Marbach allerdings über den Ort, wo das Grab Tells liegt. “Wenn man das Drama von Schiller genau liest, dann findet man etliche Hinweise auf die letzte Ruhestätte von Wilhelm Tell”, liess die Gesellschaft verlauten. Schiller müsse also damals gewusst haben, wo Tell begraben sei.

Glaspyramide als Gedenkstätte?

Was mit dem Grab genau geschehen soll, wird zurzeit gross erörtert. Erste Abklärungen ergaben ein breites Spektrum von Vorschlägen. Sie reichen von einem Mausoleum bis hin zu einer Glaspyramide über dem Grab zwischen der Gotthard-Autobahn und der Bahnstrecke.

Andere wiederum möchten das Grab ins Schweizer Landesmuseum nach Zürich überführen. Bleibt das Grab nämlich an Ort und Stelle, muss die Linienführung der NEAT geändert werden, was zu Mehrkosten führen würde.

Auch der Vorschlag, das Grab wieder zuzudecken, weil das, so die Mehrheit der Archäologen, “die beste Art der Konservierung” sei, wird diskutiert.

Der Finder der Grabstätte, Emren Röfle, sitzt wieder auf seinem Bagger und baut weiter an der Alpenbahn. Wenn er hört, was sein Fund ausgelöst hat, findet er manchmal, ob es nicht doch besser gewesen wäre, damals im September 2002 einfach weiter zu arbeiten und die Felsplatten als das zu behandeln, was sie in seinen Augen waren: Aushubmaterial!

swissinfo, Urs Maurer

Wilhelm Tell, Schweizer Nationalheld, erstmals erwähnt im “Weissen Buch von Sarnen” um 1470. Bekannt für seinen “Apfelschuss”. Von Friedrich Schiller 1804 literarisch verewigt.

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