
Wie der Klimawandel den Schweizer Tourismus unter Druck setzt

Der Klimawandel trifft den Schweizer Tourismus hart – vor allem der Skisport steht unter Druck. Eine Tourismusforscherin erklärt, welche Herausforderungen auf die Branche zukommen und ob klimaneutraler Tourismus überhaupt realistisch ist.
Der Klimawandel verändert die Schweiz – das ist in den touristischen Regionen deutlich spürbar. «Die steigenden Temperaturen sind fatal für den Skitourismus», sagt Monika Bandi, Leiterin der Forschungsstelle Tourismus an der Universität Bern. «Dazu kommen häufigere Starkniederschläge im Sommer, regenärmere Winter und das Auftauen des Permafrosts, was Hänge instabil machen kann.»
So ist jede dritte Hütte des Schweizer Alpen-Clubs potenziell gefährdetExterner Link, weil sie in einem Gebiet liegt, wo der Permafrost auftaut. Auch Wanderwege sind bedroht. «Vermehrt muss auch in Gebieten und zu Jahreszeiten mit Naturgefahren gerechnet werden, die bisher verschont geblieben sind», schreibt Schweizer WanderwegeExterner Link.
Auftauender Permafrost werde zu mehr Steinschlägen führen, dazu kommen Starkniederschläge und Nassschneelawinen in tiefen Lagen.
Ein Bergsturz hat Ende Mai 2025 fast das ganze Bergdorf Blatten unter sich begraben:

Mehr
Nach Blatten: Warum all die Bergstürze in der Schweiz?
Längere Herbstsaison
«Die Auswirkungen des Klimawandels sind stark orts- und jahreszeitenabhängig. In den Bergen gefährdet der Schneemangel den Skitourismus, im Sommer erschweren Unwetter Outdoor-Aktivitäten», sagt Monika Bandi.
Doch nicht alle Auswirkungen sind negativ. «Im Sommer können die alpinen Regionen durch ihre kühleren Temperaturen attraktiver werden.» Und weiter: Die Herbstsaison kann nun auch in höheren Lagen bis in den Oktober oder gar November verlängert werden.
Schweiz Tourismus hat den Herbst zuletzt gezielt vermarktet. Die beiden Schwergewichte Roger Federer und Mads Mikkelsen wurden für ein Werbevideo gewonnenExterner Link, um mehr Tourist:innen in den Schweizer Herbst zu locken.
Das grösste Problem mit den steigenden Temperaturen haben die Wintersportorte. «100 Tage Schneesicherheit mit 30-50cm Schnee werden zunehmend unrealistisch», sagt Bandi. Die Nullgradgrenze wird bis 2050 um weitere 300 Meter steigen, prophezeien Wissenschaftler:innen in einem von Seilbahnen Schweiz beauftragten FaktenblattExterner Link.
Skigebiete in mittleren Höhenlagen bis 1500 MeterExterner Link sind besonders betroffen – dort fällt künftig häufiger Regen statt Schnee, vor allem zu Beginn und am Ende des Winters. Die Skisaison wird dadurch kürzer.» Dies kann auch nicht mit Schneekanonen kompensiert werden, da sie nur an Eistagen mit Temperaturen unter 0 Grad Celsius, Schnee produzieren können.
In diesem Video (ab 00:54) erklärt der Betreiber eines Skilifts auf 900 Meter über Meer, wieso er seine Piste trotzdem mit Kunstschnee beschneit:
Wie einschneidend diese Veränderungen für die Wintersportdestination Schweiz sein werden, ist schwierig abzuschätzen. «Heute lernen nicht mehr so viele Kinder Skifahren», sagt Monika Bandi. Und: «Wird es in 10 bis 20 Jahren noch ein Bedürfnis sein, 80 bis 100 Franken für einen Skitag auszugeben?»
Auch die Schweizer Bergbahnen schreiben in ihrer AnpassungsstrategieExterner Link, dass die Nachfrage zurückgehen wird. Schon heute stehen über 60 stillgelegte Skilifte in der Schweizer Landschaft – mit den steigenden Temperaturen dürften es noch viele mehr werden.
Um die Einbussen aus der Wintersaison wettzumachen, haben typische Wintersportorte wie die Lenzerheide, Arosa und Saas Fee aufgerüstetExterner Link, um auch im Sommer Tourist:innen anzulocken, die mehr wollen, als bloss zu wandern.
Die Bergdestinationen investieren in ihre Sommerinfrastruktur, bauen Trails zum MountainbikenExterner Link oder Laufen, sie bauen auch Kletterparks und versehen Wanderwege mit Themen. Darüber hinaus bieten sie Yoga-Retreats und Genusswanderungen an.
Schweiz Tourismus nennt auf Anfrage von Swissinfo unter anderem neue Angebote wie der Glacier Experience TrailExterner Link, ein Gletscher-Themenweg im Engadin, das Arosa BärenlandExterner Link oder den Ausbau des Sommertourismus mit dem Fokus auf Bike, wie in Disentis SedrunExterner Link.
Tourismus ist CO2-Produzent
Der Tourismus in der Schweiz ist jedoch nicht nur betroffen vom Klimawandel, sondern auch ein Verursacher. Der CO2-Verbrauch ist einfach zu bestimmen – jedoch nicht so einfach zu eliminieren: «Der CO2-Fussabdruck einer Reise entsteht zu zwei Dritteln durch die und An- und Abreise», sagt Monika Bandi. «Besonders bei Fernreisen.»
Ein Weg, um diesen Fussabdruck zu vermindern, wären Gäste aus der Nähe, die länger an einer Destination bleiben. «Stammgäste, so wie es Scuol oder Adelboden haben.»
Andere Destinationen setzen auf stets neue Gäste auf der ganzen Welt, zum Beispiel Interlaken oder das Jungfraujoch. Nachhaltiger Flugzeugtreibstoff sei momentan noch keine Option und auch Kompensationen seien nicht eine reale Schadensminderung.
Das letzte Drittel des CO2-Fussabdrucks entsteht durch das Essen, die Bauten und Infrastruktur für Aktivitäten. «Seilbahnen beziehen grösstenteils Strom aus Wasserkraft, sie sind kein grosser Faktor», so Bandi. Unterkünfte versuchen auf verschiedene Arten, CO2 einzusparen und energieautark zu werden, zum Beispiel mit Solaranlagen auf den Dächern, immer mehr Hotels setzen auf vegetarisches oder veganes Essen.
Tourismus auf Rekordkurs – doch wie wird er nachhaltiger? Ein WEF-Experte setzt auf Technologie:

Mehr
WEF-Bericht: Der Tourismus muss die Balance zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit meistern
Als gutes Beispiel nennt Bandi die Jugendherbergen in der Schweiz, die in den letzten 20 Jahren trotz Wachstum ihren CO2-Ausstoss halbiert haben, indem sie beispielsweise umweltfreundlich bauen und das Fleischangebot reduziert haben. Dabei spiele jedoch auch mit, dass die Jugendherbergen traditionell Gästegruppen ansprechen, die nicht von weither anreisen.
Regionale Projekte für mehr Nachhaltigkeit
Auch ganze Tourismusregionen haben Projekte gestartet, um ihren Fussabdruck zu reduzieren, zum Beispiel der Myclimate Klimafonds DavosExterner Link. Dieser basiert auf freiwilligen Beiträgen von Gästen, die von den Betrieben verdoppelt werden, um lokale Klimaschutzprojekte wie Gebäudesanierungen oder Solaranlagen zu finanzieren.
Ziel ist es, CO₂-Emissionen in der Region zu senken – ohne gesetzliche Vorgaben. Auch Arosa will in eigenen Worten eine der nachhaltigsten Destinationen der Alpen werden und hat dafür die Strategie Arosa 2030Externer Link gestartet, mit der die Destination Wachstum und Nachhaltigkeit unter einen Hut bringen will.
Für Bandi besteht genau darin die Schwierigkeit. «Man kann einzelne gute Angebote schaffen, um den ökologischen Fussabdruck zu verringern. Wird das Angebot gleichzeitig ausgebaut, macht der Wachstumseffekt die Einsparungen zunichte.»
Das Netto-Null-Ziel 2050 des Bundes gilt auch für den Tourismus. Besonders für Skigebiete sieht sie die grössten Probleme. «Die Bahnen können CO2-neutral betrieben werden», sagt sie. Doch die Energiebilanz der Pistenbullys sei heftig.
Denn diese können vielleicht für Langlaufloipen, jedoch nicht in steilen Hängen elektrisch betrieben werden. «Am Ende des Tages hat der Tourismus ein gespaltenes Verhältnis zur Nachhaltigkeit.»
– Die Saisons werden ausgeweitet oder verschmelzen gar: In Arosa und in der Lenzerheide kann man im November gleichzeitig Skifahren, Biken und WandernExterner Link.
– Skigebiete wachsen über sich hinaus: Während vielerorts die Talabfahrten kaum mehr befahrbar sind, konzentrieren sich die Wintersportdestinationen auf die höheren Lagen. Zermatt plant, die Beschneiung am Theodulgletscher und Klein Matterhorn sowie den Neubau eines Restaurants auf dem Klein Matterhorn – auf 3800 M.ü.M. hofft man auf Schnee im Winter und Kühle im Sommer.
– Andermatt, Sedrun und Disentis haben sich zu einem verbundenen Skigebiet zusammengeschlossen, um mehr Höhenlage und Schneesicherheit zu bieten – dazu setzt Andermatt mit Golf, einer Konzerthalle und exklusiven Restaurants auf den GanzjahrestourismusExterner Link.
– Das Skigebiet Sörenberg hat aufgrund Schneemangel in den vergangenen Jahren den Fixpreis für Skibillette wieder eingeführt, der Vorverkauf mit dem flexiblen Preissystem hat wegen Unsicherheit zur Schneesituation nicht funktioniert. 2024 wurde ein neues Restaurant auf dem Brienzer Rothorn eröffnet, das als «Top of Biosphäre» vermarktet wird.
Editiert von Balz Rigendinger

Mehr
Alles zum Thema «Wissenschaft»

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch