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Anerkennung der muslimischen Glaubensgemeinschaft ist umstritten

Der Vorzeigekonvertit

Ein Mann blickt in die Kamera
Pascal Gemperli ist zum Islam konvertiert. zvg

Pascal Gemperli ist gläubiger Muslim. Nicht nur seine persönlichen Ansichten sind liberal, sondern auch sein Engagement ist staatstragend: Der Waadtländer Muslimverband soll zur staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft werden.

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Fachhochschulstudium, aktiv im Verein und im Parlament seiner Wohngemeinde: Pascal Gemperli ist ein modellhafter Schweizer. 

“Religion hat mit Gefühlen zu tun, nicht so sehr mit dem Kopf.”

Gemperlis Verein ist die UVAMExterner Link, der muslimische Dachverband im Kanton Waadt; Gemperlis Langzeitprojekt die staatliche Anerkennung des Islams als Religionsgemeinschaft. “Nicht des Islams – es gibt nicht den Islam. Es geht um die Anerkennung der Moscheenvereine, die in der UVAM zusammengeschlossen sind”, korrigiert er. 

Knapp 5% der 640 000 Einwohner des Kanton Waadts bekennen sich zum islamischen Glauben. 17 der 21 Moscheen und muslimischen Zentren im Kanton sind UVAM-Mitglied. Vergangenen Sommer – als Gemperli noch ihr Präsident war – reichte die UVAM den entsprechenden Antrag ein. Erst wird ihn eine Expertenkommission prüfen, dann positioniert sich die Regierung, dann das Parlament. Es dauert noch einige Jahre bis Gemperlis Langzeitprojekt abgeschlossen ist.

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Anerkennung ermöglicht Subventionen

Wäre er staatlich anerkannt, hätte der Waadtländer Muslimverband Vorteile. Die UVAM wäre von den Steuern befreit, bekäme für die Seelsorge Zugang zu Spitälern und Gefängnissen. Dafür und für den interreligiösen Dialog könnte sie Subventionen beantragen. Gemperli gewichtet aber auch, wie die Waadtländer Behörden von der Anerkennung profitieren würden. Ihrem Antrag hat die UVAM die Bilanzen aller Moscheen beigelegt: “Der Staat kann künftig komplette Transparenz einfordern.” 

Weiter fordert der Kanton von den Imamen der UVAM, unter anderem sehr gute Französischkenntnisse und Engagement im interreligiösen Dialog. Einige der Moscheenvereine, die in der UVAM organisiert sind, müssen noch nachbessern, um diese Bedingungen zu erfüllen: „Die Imame dreier türkischer Moscheen wechseln im Turnus von fünf Jahren. Deren Deutsch ist teilweise nicht genügend, um als Imam dem öffentlichen Interesse dienlich zu sein.“ Die drei Moscheen sind sich laut Gemperli ihrem Nachholbedarf bewusst. „Nur schon das Projekt unterwegs zur Anerkennung löst eine Integrationsleistung aus“, Gemperli weiter.

Ansprechpartner für Medien und Behörden

Die Anerkennung würde dem Kanton Waadt ein offizielles Gegenüber geben. Die Waadtländer Muslime sind aber schon jetzt keine Blackbox mehr. Die Kirchen positionierten sich vor zwei Jahren politisch klar gegen islamfeindliche Initiativen und mittlerweile informieren sich Behörden – etwa der Lausanner Sicherheitsdirektor – laut Gemperli erst bei der UVAM, bevor sie Statements abgeben. Wann immer Journalisten anrufen und Fragen zu angeblichen oder tatsächlichen Vorkommnissen in Moscheen stellen. Vertrauen ist bereits da.

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Gemperlis Schweizer Mundart ist etwas eingerostet. Wie sagt man auf Deutsch schon wieder „Sicherheitsdirektor“? Aufgewachsen ist er im Thurgau. In der Familie gibt es einen katholischen Pfarrer; Gemperli selbst war Ministrant. Als Jugendlicher habe er sich vom Glauben entfernt. Die Dreifaltigkeit und die Erbsünde erschienen dem jungen Gemperli schlicht unlogisch. „Heute könnte ich wohl anders damit umgehen. Religion hat mit Gefühlen zu tun, nicht so sehr mit dem Kopf“, sagt er. Zwar ist Gemperli heute Muslim, aber wie die UVAM als Verband hat auch er selbst keine Berührungsängste. Katholische Messen inspirieren ihn.

Durch Freund zum Islam gekommen

Den ersten Kontakt mit dem Islam hatte Gemperli, als ihn ein ägyptischer Freund gefragt hatte, wo es eine Moschee gebe. Einer der schweizweit bekanntesten Muslimvertreter kannte damals keine. Gemperli informierte sich – über den Islam und den Standort einer Moschee. Das Interesse an der Religion war geweckt, den Glaubensübertritt wagte er später, vor der Hochzeit mit seiner Frau, damals schon Muslimin.

Bereits 18 Jahre lang lebt Gemperli in der Romandie, mittlerweile in Morges am Genfersee. Dort sitzt er auch für die Grünen im Gemeindeparlament. Dort setzt er sich etwa dafür ein, dass in der regionalen Kommission für die Kläranlage auch Parlamentarier vertreten sind oder für die Überprüfung, wie Taxilizenzen erteilt werden. 

“Muslime sind prinzipiell Bürger wie alle anderen auch.”

Ob im Kleinen oder im Grossen: Viele seiner Anliegen haben mit blanken Strukturen zu tun. Der Glauben hat dem Kopfmenschen nicht den Garaus gemacht. Spricht man mit ihm über die staatliche Anerkennung argumentiert er vornehmlich praktisch. Werden seine Argumente idealistisch, sind sie das auf staatstragende Weise: “Muslime sind prinzipiell Bürger wie alle anderen auch. Sie haben dieselben Rechte und Pflichten. Wenn es Probleme gibt, kann man sie pragmatisch lösen.”

Klischee der extremistischen Konvertiten

Dass Konvertiten für fundamentalistisch bis extremistisch gehalten werden, liegt an Hasspredigern wie dem Deutschen Pierre Vogel oder der Splittergruppierung mit dem anmassenden Namen “Islamischer Zentralrat der SchweizExterner Link“. Erst litten alle Muslime der Schweiz unter deren medienwirksamen Provokationen. Seit einer breiteren Öffentlichkeit bewusst wurde, dass der IZRS nur einen Bruchteil der Muslime in der Schweiz vertritt, prägt er vor allem noch das Bild, das man sich von Konvertiten macht. Die lautesten Figuren im IZRS sind Konvertiten.

Gemperli sagt, in der französischsprachigen Schweiz habe man den IZRS weniger wahrgenommen. Und die UVAM biete der Öffentlichkeit Gegenbeispiele für dieses Klischee: Nach sechs Jahren als Präsident ist Gemperli seit diesem Frühling Generalsekretär des Waadtländer Muslimverbands. Seine Nachfolgerin ist ebenfalls Konvertitin.

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