Schweizer Familie, Schweizer Mundart, Schweizer Leben – und doch nicht integriert?
Der Fall der Adoptivtochter eines Auslandschweizers, der die Abschiebung aus der Schweiz droht, hat hohe Wellen geschlagen. Swissinfo hat nun die Schweizer Behörden gefragt, wie Nachkommen von Auslandschweizer:innen ihre Integration in der Schweiz nachweisen müssen.
Swissinfo und der «Blick» berichteten vergangene Woche über Gabriela Purtschert. Purtschert wuchs als Adoptivtochter eines Auslandschweizers in Ecuador auf – mit Schweizer Kultur und Traditionen.
Seit 16 Jahren lebt sie in der Schweiz, studierte und doktorierte hier – und arbeitete gar für eine Forschungseinrichtung des Bundes. Doch nun droht ihr die Abschiebung, weil ihre befristete Anstellung ausgelaufen ist – und sie bisher keinen neuen Job gefunden hat. Einen Schweizer Pass hat sie nicht.
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Nachfahrin von Auslandschweizer steht vor Ausschaffung
Das Zürcher Migrationsamt entzog ihr die Aufenthaltsbewilligung – unter anderem mit der Begründung, es fehle an Anzeichen für vertiefte Integration. Warum die Schweizerdeutsch sprechende Purtschert, Enkelin eines Produzenten von Schweizer Käse in Ecuador, aus Sicht des Migrationsamts, als nicht integriert gilt, bleibt offen.
Der Chef des Rechtsdiensts beim Zürcher Migrationsamt liess die entsprechenden Fragen von Swissinfo mit Verweis auf das laufende Verfahren unbeantwortet.
Integration in Auslandschweizergemeinschaft
Auch die allgemeinen Fragen zur Beurteilung der Integration von Nachkommen von im Ausland lebenden Schweizer:innen ohne Pass beantwortete er nicht, denn er könne sich nicht «im Kontext zu laufenden Verfahren» äussern. Anders das Staatssekretariat für Migration (SEM).
«Im Rahmen der persönlichen und sozialen Integration» könne die Integration in die Auslandschweizergemeinschaft im Herkunftsland berücksichtigt werden, teilt eine SEM-Sprecherin mit. Wenn bei einem Aufenthaltsentscheid die Integration eine Rolle spielt, werde «die familiäre oder kulturelle Bindung zur Schweiz mitberücksichtigt».
Dass eine Person – wie Gabriela Purtschert – im Schweizer Zivilstandsregister als Tochter einer Schweizerin und eines Schweizers eingetragen ist, spielt hingegen keine zentrale Rolle. «In erster Linie» gehe es um «die Nationalität der betroffenen Person», nicht um jene der Eltern. Erst bei einer Härtefallprüfung könnte «ein Bezug zur Schweiz» allenfalls berücksichtigt werden.
Im Hinblick auf die Sprache sei «allein das Beherrschen der Schweizer Mundart» kein «ausreichender Beleg für die Integration». Wesentlich für die Integration in der Schweiz ist gemäss der SEM-Sprecherin die «Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, an der Respektierung der Werte der Bundesverfassung, an den Sprachkompetenzen sowie an der Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung.»
Gibt es eine Sonderregelung für Nachkommen von Auslandschweizer:innen?
Dafür, dass speziell Nachfahr:innen von Schweizerinnen und Schweizern ohne Pass «unter gewissen Voraussetzungen» eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung bekommen, bräuchte es gemäss der SEM-Sprecherin eine gesetzliche Grundlage. Doch diese fehlt. Das SEM verweist darauf, dass sich der Bundesrat gegen solche Sonderkontingente für Nachkommen von Schweizer:innen aus DrittstaatenExterner Link ausgesprochen hat.
Aber für manche gibt eine Möglichkeit: «Ausländische Nachkommen (nur 1. Generation) von Schweizerinnen und Schweizern» bekommen eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie die Bedingungen für eine Wiedereinbürgerung oder eine erleichterte Einbürgerung erfüllen, so das SEM.
Dabei handle es sich um eine «Ausnahme von den ordentlichen Zulassungsvoraussetzungen». Es besteht gemäss SEM kein Rechtsanspruch, doch die kantonalen Migrationsämter müssen dies Fall für Fall prüfen. Denn man braucht für den Prozess der erleichterten Einbürgerung oder Wiedereinbürgerung «in gewissen Fällen», so das SEM, neben einer engen Verbundenheit auch einen Wohnsitz in der Schweiz.
Swissinfo berichtete bereits im August über diese gesetzliche Sonderregelung, mit der auch eine Erwerbstätigkeit ohne Rücksicht auf Inländervorrang möglich ist.
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Neue Hoffnung auf den Schweizer Pass für Nachkommen von Ausgewanderten
Der Fall von Gabriela Purtschert
Doch im Fall von Gabriela Purtschert stellen sich weiterhin konkrete und akute Fragen. Insbesondere wirft das Kriterium «Integration in die Auslandschweizergemeinschaft» die Frage auf: Ist eine Nachfahrin eines mit der Schweiz auch emotional verbundenen Auslandschweizers überhaupt verpflichtet, sich nach gängigen Masstäben um Integration zu bemühen?
Wenn die nächsten Verwandten Schweizer:innen sind, könnte man jedes Gespräch mit dem Vater und jede Teilnahme an einem Familienfest als Teil der Integration in eine Schweizer Gemeinschaft verstehen – selbst, wenn diese Integration physisch in Ecuador stattfindet.
Purtschert ist seit 16 Jahren physisch in der Schweiz und hat hier Bildung erworben, die sie zur hochspezialisierten Fachkraft macht.
Aus Sicht des Zürcher Migrationsamts hat in diesem Zeitraum keine «besonders enge oder nachweislich vertiefte Integration stattgefunden».
Editiert von Balz Rigendinger
Dieser Artikel wurde am Abend des 16. Oktober, nach Veröffentlichung, mit einer Antwort des Staatsekretariats für Migration auf eine vertiefende Nachfrage von Swissinfo ergänzt.
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