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Digitaler Journalismus als Bollwerk der Demokratie: Das Beispiel «CalMatters»

Das kalifornische State Capitol mit zwei vorbeilaufenden Personen
Dave Lesher, der Gründer von "CalMatters", will von Sacramento aus für mehr Transparenz in der Politik sorgen. Auf dem Bild sieht man das California State Capitol. Justin Sullivan / AFP

Mit einer eigenen Social Media-Plattform und ständigen Ankündigungen dominiert US-Präsident Donald Trump die mediale Öffentlichkeit. Dagegen tritt nun eine digitale Recherche-Plattform für Medienschaffende in Kalifornien an – und will damit die Demokratie stärken.

«Donald Trump stellt punkto medialer Aufmerksamkeit alles in den Schatten», stellt Journalist Dave Lesher fest. Die Berichterstattung rund um den US-Präsidenten nehme die Ressourcen vieler Medien in Beschlag und schwäche damit die Berichterstattung über viele wichtige Geschehnisse und Entwicklungen auf der lokalen und regionalen Ebene, meint Lesher, der viele Jahre lang bei der Los Angeles Times über die kalifornische Politik berichtet hat.

Die rasante Digitalisierung der letzten Jahre habe diese Entwicklung noch verstärkt. Die Zahlen geben ihm Recht: Gemäss dem jüngsten State of Local News-Report der Northwestern University in Evanston bei Chicago sind in den letzten zwei Jahrzehnten in den USA fast 40% von ursprünglich knapp 9000 Titeln verschwunden.

Der Bericht erklärt fast 200 Distrikte zu «Nachrichtenwüsten» ohne lokale Berichterstattung. Just in diesen Gebieten gelang Trump bei den Präsidentschaftswahlen im letzten November ein Erdrutschsieg.

Lesen Sie auch unseren Beitrag dazu, wie Digitalisierung möglichst im Sinne der Demokratie verlaufen kann:

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Newswüsten breiten sich weltweit aus

Die Ausbreitung von «Nachrichtenwüsten» ist gemäss dem «World Justice Report» (WJP) – einer NGO mit Büros in Washington, Mexiko-Stadt und Singapur – «ein globales Phänomen».

Mit der Digitalisierung der Medien ist das Geschäftsmodell vieler traditioneller Zeitungen mit Werbeanzeigen und Abos weggebrochen.

Auf dem digitalen Markt dominieren grosse Plattformen wie Meta und Google den Anzeigemarkt und Abos lassen sich für Online-Angebote nur schwierig verkaufen. Dies schwächt laut einer StudieExterner Link von WJP die Meinungsbildung in Demokratien. 

Vor zehn Jahren, noch vor der ersten Präsidentschaft von Donald Trump, gründete Dave Lesher das gemeinnützige Medienunternehmen «CalMatters»Externer Link.

«Wir finanzieren uns aus Spenden und sorgen für mehr Transparenz in der Politik», sagt Lesher zu Swissinfo in Sacramento, wo er an diesem Tag das Team hinter dem Recherchetool «Digital Democracy»Externer Link versammelt hat.

Screenshot of the website calmatters.com
Das Recherchetool «Digital Democracy» von «CalMatters». calmatters.com


Zu diesem gehört neben Journalist:innen, Marketingspezialist:innen und Politikanalytiker:innen auch Foaad Khosmood, der an der staatlichen Polytechnischen Universität «CalPoly» in San Luis Obispo als Professor für Computertechnik wirkt.

«Mit ‚Digital Democracy‘ wollten wir anfänglich eine Plattform schaffen, welche den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, bessere Einsicht in den Gesetzgebungsprozess zu erhalten», erinnert sich Khosmood und fügt hinzu: «Das misslang, weil die durch uns erfassten Daten zu ungenau und zu wenig verständlich waren.» Die Folge: kaum Nutzer:innen und nur wenig Wirkung.

Mehr Öffentlichkeit, stärkere KI und kleinere Zielgruppe

Am Tag, als Donald Trump im November 2016 erstmals ins Weisse Haus gewählt wurde, hiessen die Stimmbürger:innen Kaliforniens eine Verfassungsänderung gut, welche die Behörden dazu verpflichtet, sämtliche Anhörungen und Verhandlungen in den beiden Parlamentskammern aufzuzeichnen und innerhalb von 24 Stunden zu veröffentlichen.

«Diese Reform, die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und unser Entscheid, die Plattform auf eine andere Zielgruppe auszurichten, waren Gamechanger», sagt Foaad Khosmood,

«Die Datenbank richtet sich nun an Medienschaffende, welche ‚Digital Democracy‘ für ihre Recherchen nutzen.»

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Eine solche Nutzerin ist etwa die Investigativjournalistin Julie Watts. Beim Gespräch im Grossraumbüro des Fernsehsenders CBS in Sacramento macht sie deutlich, wie hilfreich die Plattform geworden ist: «Ich brauche ‚Digital Democracy‘ jeden Tag und für fast alle meine Geschichten», sagt Watts und legt gleich los: «Schauen wir mal, was wir zur ‚Wahlbezirkreform‘ finden, dem sogenannten ‚Gerrymandering’».

Das Thema sorgt derzeit wieder einmal für viel Aufsehen in den USA, nachdem der Bundesstaat Texas im Vorfeld der Wahlen 2026 eine Reform beschloss, welche die Zahl der republikanischen Abgeordneten im Kongress erhöhen soll.

In Kalifornien hat nun Gouverneur Gavin Newsom eine entsprechende Gegenmassnahme lanciert, die so genannte «Proposition 50», über welche die Kalifornier:innen am 4. November 2025 abstimmen können.

Transkripte von über 100’000 Redner:innen

Mittels einiger Suchbegriffe erhält Watts auf «Digital Democracy» schnell eine gute Übersicht zu Wortmeldungen prominenter Mitglieder der Demokratischen Partei, welche sich noch vor kurzem lautstark gegen die Wahlrechtsreform ausgesprochen hatten.

«Das System bietet mir innerhalb von Sekunden Videos, Zitate und Hintergründe, die ich für meine Berichterstattung direkt nutzen kann. Dafür benötigte ich in der Vergangenheit sehr viel Zeit», sagt die Investigativjournalistin, die für ihre ArbeitExterner Link mehrfach ausgezeichnet worden ist.

Julie Watts
Die Investigativjournalistin Julie Watts in Sacramento. Bruno Kaufmann / SWI swissinfo.ch

Auf «Digital Democracy» sind neben den Transkripten der Wortmeldungen von über 100’000 Redner:innen auch sämtliche zugänglichen Finanzinformationen, Berichte in sozialen und anderen Medien sowie Einträge des Gesetzgebungsinformationen miteinander verknüpft.

«So kann ich zum Beispiel schnell nachschauen, ob eine in der Umweltpolitik profilierte Politikerin auch Wahlkampfgelder der Ölindustrie erhält», sagt Watts.

Diese durch «Digital Democracy» und KI unterstützte Berichterstattung von Julie Watts zeigt Wirkung: «Mir gelang es mittels einer Analyse von über einer Million Abstimmungen im Parlament und tausender Stunden Anhörungen aufzuzeigen, wie über zweitausend Gesetze daran gescheitert sind, dass sich Abgeordnete an entscheidenden Abstimmungen nicht beteiligten.»

Die Folge: In mehreren Fragen – wie etwa dem Umgang mit der Droge Fentanyl – haben sich die dadurch besser informierten Bürger:innen dazu entschlossen, eine Volksinitiative zu lancieren.

Lesen Sie auch den Beitrag über Karl Bürkli, jenen Schweizer der die direkte Demokratie in US-Bundesstaaten wie Kalifornien inspiriert hat:

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Das Beispiel zeige, für eine Rechercheplattform wie «Digital Democracy» brauche es nicht nur starke Transparenzbestimmungen und zugängliche Daten, betont der Schweizer KI-Medienexperte Reto Vogt.

Wichtig sei auch die Kenntnis politischer Nuancen oder Kausalitäten, um diese Daten auch richtig zu deuten. «In der Schweiz zum Beispiel fehlen den KI-Modellen speziell im Lokaljournalismus genügend grosse Datenmengen», sagt Vogt.

Während der Politikbetrieb in Sacramento trotz Trump’scher Aufmerksamkeitsdominanz vorderhand medial gut abgedeckt ist, gibt es im südlicher gelegenen Central Valley nur noch wenige lokale Medien.

«Viele unserer lokalen Zeitungen sind verschwunden oder gehören jetzt grossen Hedgefonds, welche das Medium als Werbeplattform und Sprachrohr für eigene Interessen nutzen», sagt Brianna Vaccari, Chefredaktorin einer Onlinezeitung in der Kleinstadt Merced.

Der von ihr geleitete Merced Focus hat kein eigenes Büro und nur wenige Mitarbeitende: «Wir sind Teil eines Journalistenkollektivs im Central Valley, dass sich aus Zuwendungen von Stiftungen und Privaten finanziert.»

Recherche zu Trinkwasserqualität

Vor wenigen Wochen erhielt Vaccari einen Hinweis von «Digital Democracy», dass eine demokratische Abgeordnete aus ihrem Berichterstattungsgebiet einen Gesetzesvorschlag eingereicht hat, welcher öffentliche Trinkwasseranbieter im Fall von Qualitätsproblemen vor Klagen schützen soll.

«Das überraschte mich sehr und ich ging der Sache nach», sagt Vaccari. Bei den Recherchen für ihren ArtikelExterner Link, der in Merced viel Aufsehen erregte, erhielt Vaccari Unterstützung von einem Kollegen bei «CalMatters».

«Wir konnten zeigen, welche gesundheitlichen und finanziellen Folgen die neuen staatlichen Auflagen für die Wasserqualität haben», sagt Brianna Vaccari.

Auf diese Weise über Lokaljournalismus informierte Bürger:innen sind letztlich das Ziel von «CalMatters», egal welcher politischer Couleur, unterstreicht Vaccari. Um auf lokaler Ebene politische und ideologische Gräben zu überwinden.

Editiert von Mark Livingston

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