
Wie prunkvoll darf das neue Giacometti-Museum in Paris sein?

2028 wird das Giacometti-Museum auf der Esplanade des Invalides in Paris seine Türen öffnen. Ist der Ort zu luxuriös für einen Künstler, der stets in einem 16 Quadratmeter grossen Atelier gearbeitet hat? Die Frage spaltet die Gemüter.
Es ist ein königlich anmutender Teil von Paris, wo 2028 das zukünftige Giacometti-Museum eröffnet werden wird: Am Ufer der Seine, mit einer pompösen Aussicht auf den Pont Alexandre-III, die Brücke, die Ende des 19. Jahrhunderts zu Ehren des russischen Zaren erbaut worden war, bis hin zum Invalidendom, wo sich das Grab von Napoleon I. befindet.
Ein glamouröses Viertel voller Kanonen, Diplomatinnen und Diplomaten – die Schweizer Botschaft ist nur hundert Meter weit entfernt.
Der ehemalige Bahnhof Les Invalides, in dem die Werke des Bündner Künstlers Alberto Giacometti untergebracht werden sollen, befindet sich derzeit im Umbau. Nur die Passagiere der Metro können ihn noch passieren, vorbei an Bauzäunen und dem Lärm von Presslufthämmern.
Noch vor etwa zehn Jahren liess man sich hier vor einer Reise impfen oder nahm den Bus zum Flughafen Paris-Orly. Künftig werden auf 6000 Quadratmetern zahlreiche Versionen von «L’Homme qui marche» und andere Werke des genialen Schweizer Künstlers zu sehen sein.
Um genau zu sein: Die Hälfte der Fläche wird für Geschäfte und Restaurants genutzt und beinhaltet einen pädagogischen Bereich, die andere Hälfte ist für Ausstellungen reserviert. 3000 Quadratmeter für Giacometti – das ist aussergewöhnlich. Ist es auch ein wenig unverhältnismässig?
Die Fondation Alberto et Annette GiacomettiExterner Link, die das Museum verwalten wird, freut sich über den grosszügigen Raum, nachdem sie bisher nur auf das zwar charmante, aber winzige Institut Giacometti zurückgreifen konnte.
Andere Stimmen jedoch kritisieren den Prunk. Sie bedauern, dass Giacometti sein beliebtes 14. Arrondissement in Paris verlassen wird.
Unser Artikel aus dem Jahr 2018 über die Eröffnung des Giacometti-Instituts:

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«Ich bin nicht besonders begeistert davon, wenn Künstler:innen in eine Art Götterpalast aufgenommen werden», sagt der französisch-schweizerische Architekt und Bildhauer Serge Lemeslif.
«Für mich steht Alberto für Einfachheit. Als ich 1962 in der Rue des Plantes arbeitete, sah ich ihn aus seinem Atelier kommen und zum Mittagessen ins ‘Rendez-vous des camionneurs’ gehen. Das war noch eine andere Zeit!»
1926 bezog Giacometti ein 16 Quadratmeter grosses Atelier in der Rue Hippolyte-Maindron 46 im Stadtteil Alésia. Dort blieb er bis 1965, ein Jahr vor seinem Tod.
Das Bild eines Giacometti in einer Wolljacke in seinem Atelier, in dem ein fröhliches Durcheinander herrscht, wurde von Dutzenden berühmten Fotograf:innen, von Henri Cartier-Bresson bis zum Schweizer René Burri, verewigt und ist zur Legende geworden.
«Die schönste Statue von Giacometti entdeckte ich unter dem Tisch, als ich mich bückte, um meine Zigarettenkippe aufzuheben», schreibt der Theatermacher Jean Genet. «Sie lag im Staub, er versteckte sie, der Fuss eines Besuchers hätte sie beschädigen können.»
Der Regen sei ins Zimmer gedrungen, so Genet. «Mit schwerem Herzen fand er sich mit den Fliesen ab. Die schönsten, aber auch die bescheidensten, die es gibt. Er sagte mir, dass er nie eine andere Wohnung als dieses Atelier und sein Zimmer haben werde.»

«Geschmacklos»
Handelte es sich dabei um ein von Giacometti gekonnt inszeniertes Image oder entsprach es dem gelebten Alltag des Bildhauers? «Dieses harte Leben eines Nomaden, losgelöst von jeglichem materiellen Besitz, körperlich anstrengend, ist mehr als nur ein malerisches Element, das zur bildhaften Legende des Künstlers beiträgt», schreibt Véronique Wiesinger im Katalog der grossen Ausstellung, die das Centre Pompidou 2007 dem Atelier Giacometti widmete.
«Diese Entbehrung ist eine bewusste Askese, die untrennbar mit dem gesamten Schaffen des Künstlers verbunden ist.»
Müssen wir uns also vom genügsamen Giacometti aus den kleinen Strassen von Alésia und Montparnasse verabschieden, einem Viertel, in dem viele Maler:innen lebten, darunter Picasso, Soutine und Man Ray?
«Seine Werke in einem luxuriösen Ambiente zu präsentieren, grenzt an Geschmacklosigkeit. In Wirklichkeit folgt dies ganz einfach einer kommerziellen Idee: die Stiftung näher an die Tourist:innen im Zentrum von Paris heranzubringen», kritisiert der Maler Pierre Lamalattie in der Zeitschrift Causeur.
Und er fragt sich, womit die 3000 Quadratmeter des Museums gefüllt werden sollen, denn, so sagt er, «nichts ähnelt einem Giacometti mehr als ein anderer Giacometti».
Der aus dem Jura stammende François Kneuss, der seit fast fünfzig Jahren Schweizer Tourist:innen durch Paris führt, ist anderer Meinung. «Der ehemalige Bahnhof Les Invalides, in dem das Museum untergebracht werden soll, stammt aus der Zeit Giacomettis», sagt er.
«Er muss ihn oft besucht haben, da er regelmässig im Deux Magots auf dem Boulevard Saint-Germain, nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt, seinen Kaffee trank. Ich sehe kein Problem darin. Derzeit gibt es kein echtes Giacometti-Museum, was für einen Künstler dieses Kalibers bedauerlich ist.»
Die Anwohner:innen wurden nicht konsultiert
Neben denjenigen, die den Weggang des Bündners aus dem 14. Arrondissement bedauern, gibt es auch diejenigen, die seine Ankunft im reichen 7. Arrondissement missbilligen.
Politiker:innen aus dem Umfeld der Bezirksbürgermeisterin Rachida Dati, Kulturministerin und bekannte Gegnerin der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, sind der Meinung, dass das Projekt das unveränderliche Bild der Esplanade des Invalides beeinträchtigt.
Durch die Erhöhung des ehemaligen Bahnhofs um zwei Meter und die Freilegung alter Trichter würde das Projekt den Blick vom Grand Palais auf die Invalides beeinträchtigen, heisst es.
«Wir wurden zu diesem Projekt nicht konsultiert», bedauert Xavier de Maistre, Vorsitzender des Vereins der Einwohner:innen des 7. Arrondissements.
«Wir sind nicht grundsätzlich dagegen, aber es ist schade, dass man uns bei einem Projekt nicht angehört hat, das den Massentourismus im Viertel weiter verstärken könnte, während gleichzeitig die Bevölkerung stetig abnimmt und die Gebäude von Investoren aufgekauft werden, um sie für touristische Zwecke zu vermieten.»
Ziel: eine Million Besucherinnen und Besucher pro Jahr
«Giacometti hatte sich entschieden, in Paris zu leben, wir haben uns entschieden, hier zu bleiben», sagt Catherine Grenier, Direktorin der Fondation Alberto et Annette GiacomettiExterner Link.
«Das derzeitige Institut kann der Öffentlichkeit nur einen winzigen Teil der Werke der Stiftung präsentieren. Der Rest, also 10’000 Zeichnungen, Skulpturen und Gemälde, ist in Lagerhäusern in den Vororten untergebracht. Das zukünftige Museums- und Schulgebäude wird uns die Möglichkeit geben, neben den temporären Ausstellungen eine echte Dauerausstellung zu präsentieren.»
Die von Grenier erwähnte Schule wird ein pädagogischer Raum für künstlerische Praxis sein, der keine Abschlüsse vergibt und sich über 1000 Quadratmeter erstrecken wird.
Für die Stiftung werden die Kosten für die Raummiete bei der Stadt Paris, für die Arbeitsplätze und für die Instandhaltung erheblich sein. «Der Businessplan steht, wir streben eine Million Besuchende pro Jahr an», sagt Grenier.
Bis zur Eröffnung des grossen Museums empfängt das Institut weiterhin Neugierige – oder Nostalgikerinnen und Nostalgiker – in seinem reizvollen Gebäude in der Rue Victor Schoelcher neben dem Friedhof Montparnasse.
Editiert von Pauline Turuban, Übertragung aus dem Französischen: Meret Michel

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