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2060 herrscht Gluthitze in der Schweiz

Boote sitzen auf dem Trockenen
Der Lac des Brenets im Kanton Neuenburg während der aussergewöhnlichen Dürre, welche die Schweiz im Sommer dieses Jahres heimgesucht hat. KEYSTONE / ANTHONY ANEX

Über 40 Grad in den Städten, anhaltende Dürreperioden und schneearme Winter: In rund 40 Jahren könnte die Schweiz einem heutigen Mittelmeer-Land ähneln. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Gesellschaft, den Alpentourismus und die Umwelt?

“Die Temperatur erreicht heute in Genf 45 Grad. Das Mittelland und die Alpentäler erleben seit Anfang des Jahres ihren zwanzigsten Tropentag. Die Hitzewelle, welche die Südalpen und das Wallis seit über einem Monat im Griff hat, wird sich in den kommenden Wochen fortsetzen. Aufgrund der anhaltenden Dürreperiode wird die Bevölkerung dazu angehalten, den Wasserverbrauch zu minimieren.”

So oder ähnlich könnte der Wetterbericht eines Sommertages um das Jahr 2060 herum lauten. Diese Prognosen basieren auf neuen Klimaszenarien für die SchweizExterner Link, die das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz) und die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) Mitte November gemeinsam präsentiert haben. “Die Schweiz wird heisser und trockener”, fasste Meteo-Schweiz-Direktor Peter Binder zusammen.

Grafik: Veränderung der mittleren Sommertemperatur in der Schweiz
Veränderung der mittleren Sommertemperatur in der Schweiz während der Referenzperiode von 1981 bis 2010. In Rot die Entwicklung ohne Klimaschutz-Massnahmen, in Blau die Prognosen mit sofortigen Massnahmen zur Emissionsreduzierung. swissinfo.ch

Um sich ein Bild vom Klima der zweiten Jahrhunderthälfte in der Schweiz zu machen, reiche die Beobachtung, was in diesem Jahr geschehen sei, sagte ETH-Klimatologe Christoph Schär bei der Präsentation. “Die Hitzewelle 2018 ist eine Warnung vor der Zukunft. Die Extreme von heute könnten 2060 die Norm sein.”

Von den alpinen Gletscherlandschaften bis zum Leben in Städten in der Ebene hat swissinfo.ch die möglichen Folgen der Klimaerwärmung analysiert, falls die Forderungen nach einer drastischen Reduzierung der Emissionen unbeachtet bleiben.

Seit 1850 haben die etwa 1500 Gletscher der Schweiz 60% ihrer Masse verloren. Allein im Sommer 2018 schmolzen die Gletscher um 2,5%Externer Link. Wegen des Temperaturanstiegs und der Abnahme der Schneefälle im Frühjahr würden kleine Gletscher verschwinden, glaubt ETH-Glaziologe Matthias Huss. Laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) werden nur jene in den Berner und Walliser Hochalpen überleben, darunter der Aletschgletscher.

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Die Verringerung der Eismasse hat nicht nur Auswirkungen auf die Landschaft und die Stabilität der Hänge, sondern wird sich teilweise auch auf den Wasserhaushalt auswirken.

Gemäss dem heutigen KenntnisstandExterner Link, der auf Klimaszenarien von 2011 basiert, könne man sagen, dass “der Klimawandel die Wasserressourcen auf lokaler Ebene erheblich verändern wird”, sagt Olivier Overney, Leiter der Abteilung Hydrologie des Bafu. Es sei jedoch notwendig, neue Klimaszenarien in hydrologische Modelle zu integrieren, um präzise Daten zu erhalten, betont er.

Klar ist, dass der Rückzug der Gletscher Konsequenzen für die grossen Flüsse Europas haben wird, die in den Schweizer Alpen entspringen. So könnte sich gemäss Prognosen etwa die Kapazität der Rhone in den nächsten Jahren um 40% reduzierenExterner Link.

Auch in Zukunft wird es schneereiche Winter geben. Nur werden diese immer seltener. Wer auf den Pisten der Skigebiete hoch über Zermatt oder St. Moritz Ski fahren will, wird mit einer um 30 bis 60% geringeren Schneedecke rechnen müssen.

Skistationen um die 1500 Meter über Meer werden rund 100 Schneetage verlieren. Und Adelboden auf 1350 Metern wird weniger Schneetage haben als heute in der Hauptstadt Bern (542m) verzeichnet werden. Das zeigen PrognosenExterner Link der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und LandschaftExterner Link (WSL) und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL).

Schmale Schneepiste inmitten einer Herbstwiese
So sah das Skigebiet Adelboden im Berner Oberland am 29. Dezember 2016 aus. © KEYSTONE / PETER KLAUNZER

Zahlreiche Schweizer Wintersportorte böten schon seit einiger Zeit Sommer- und Herbstprogramme an, mit dem Ziel, weniger abhängig vom Wintertourismus zu werden, sagt Bruno Galliker, Sprecher des Verbands Seilbahnen SchweizExterner Link.

Doch der Wintersport in der Schweiz sei nicht gefährdet, betont er: “In den kommenden Jahrzehnten wird es in der Schweiz noch möglich sein, Ski zu fahren, namentlich dank der künstlichen Beschneiung. Die Schweiz wird sogar einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Nachbarländern haben, denn die Skigebiete liegen in höheren Lagen.”

Der Klimawandel könnte laut Galliker sogar positive Auswirkungen auf den alpinen Tourismus haben: “Es entstehen faszinierende neue Landschaften, die vom Tourismus genutzt werden können. Die zunehmende Hitze in den Ebenen wird die Öffentlichkeit dazu bringen, in den Bergen nach Frische zu suchen, wo die Temperaturen angenehmer bleiben.”

Laut WSL führt die Klimaerwärmung zu einer Erhöhung der Vegetationszone um 500 bis 700 Meter. In den Bergen werden Laubbäume wie Eiche und Bergahorn die Nadelbäume ersetzen. Die Rottanne – der wichtigste Baum für die Schweizer Forstwirtschaft – läuft Gefahr, aus dem Mittelland zu verschwinden, weil sie besonders schädlichen Organismen wie Borkenkäfern ausgesetzt ist.

Experten betonen, es sei wichtig, besonders die Vielfalt der Baumarten weiter zu fördern, weil ein natürlicher Wald mit einem hohen Grad an Biodiversität besser in der Lage sei, heissen Sommern und regnerischen Wintern standzuhalten. Wie Forstingenieure den Wald der Zukunft vorbereiten, erfahren Sie hier.

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WSL-Forstingenieur Marco Conedera erinnert daran, dass “steigende Temperaturen und weniger Schnee in tiefen Lagen die Brandgefahr erhöhen” würden. Vor allem könnte es die relative Häufigkeit und Gefahr von Bränden durch Blitze erhöhen, die sehr schwer zu kontrollieren sind, da sie hauptsächlich Bergkoniferen in unzugänglichen Gebieten betreffen.

“Eine weitere Tendenz, die heute bereits zum Teil sichtbar wurde, ist die Ausdehnung der Hauptbrandzeit auf die Herbst- und Wintermonate”, sagt Conedera.

Helikopter bekämpft Waldbrand
Waldbrand über Biasca im Kanton Tessin am 24. September 2018. © Ti-Press

In einem sehr schlechten Zustand befindet sich die Biodiversität in der Schweiz. 36% aller Tier-, Pflanzen- und Pilzarten stehen laut Urs Tester von der Umwelt-Organisation Pro NaturaExterner Link auf der Roten Liste. Mit der globalen Erwärmung werde sich die Situation noch verschlimmern.

“Zwar finden Arten aus Südeuropa den Weg zu uns. Doch noch mehr Arten werden verschwinden. Ihr jetziger Lebensraum verschlechtert sich, und sie finden keinen passenden Ersatz. Betroffen sind Arten in Gewässern, in Feuchtgebieten und im Gebirge, zum Beispiel die Helm-Azurjungfer, der Rundblättrige Sonnentau oder das Alpenschneehuhn.”

Zwei Alpenschneehühner
Das Alpenschneehuhn nistet in einer Höhe von 2000 bis 2500 Metern über Meer. Der Vogel leidet, wenn die Temperatur 15 Grad übersteigt. Wikipedia / Jan Frode Haugseth

Auch die Schweizer Landwirte werden mit schlechten Nachrichten rechnen müssen, worunter der Rückgang der Niederschläge in den Sommermonaten nicht die einzige bleiben wird. Mit steigenden Temperaturen nimmt auch die Verdunstung zu. Das Resultat: Die Böden werden trockener, der Wasserbedarf nimmt zu.

Aber nicht nur. Es würden auch mehr Schädlinge auftauchen, und eingeschleppte Arten und Krankheiten aus subtropischen oder tropischen Gebieten könnten sich auch hierzulande etablieren, sagt Pierluigi Calanca von AgroscopeExterner Link, dem Kompetenzzentrum des Bundes für Agrarforschung.

Die Landwirte werden sich auch mit der Zunahme extremer Wetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen herumschlagen müssen, “welche die Kulturen schädigen und zu Ernteverlusten führen”, sagt Sandra Helfenstein, Sprecherin des Schweizer BauernverbandsExterner Link.

Verdorrte Felder, von oben fotografiert
Verdorrte Felder bei Zollikofen, Kanton Bern, August 2018. THOMAS HODEL / KEYSTONE

Die Klimaerwärmung werde aber auch positive Auswirkungen auf einige Aktivitäten haben, wie etwa den Weinbau. “Der Anstieg der Durchschnittstemperatur und die längere Vegetationszeit erlauben den Anbau von Kulturen und Sorten, die bisher in südlicheren Ländern zu Hause waren oder deren Anbau auf die Kantone Tessin und Wallis begrenzt war. Zukünftig könnte es beispielsweise auch nördlich der Alpen möglich sein, Reis anzubauen”, sagt Helfenstein.

Die Schweiz produziert 60% ihrer Elektrizität aus Wasserkraft. Die Gletscherschmelze wird laut einer Studie des Schweizerischen NationalfondsExterner Link (SNF) nur einen geringen Einfluss auf die Produktion von Wasserkraft haben. Dagegen könnte die Zunahme der Dürreperioden erhebliche Folgen nach sich ziehen: So verzeichnete das Wasserkraftwerk Schaffhausen am Rheinfall in diesem Sommer einen Produktionsrückgang von 50%.

Die Auswirkungen des Klimawandels hätten vor allem negative Auswirkungen auf die Wasserkraft, aber nicht in gravierendem Ausmass, sagt Felix Nipkow, Projektleiter “Strom & Erneuerbare” bei der Schweizerischen EnergiestiftungExterner Link. “Es kann auch sein, dass sich an neu entstehenden Seen durch den Gletscherrückgang neue Möglichkeiten zur Wasserkraftnutzung ergeben.”

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Hängebrücke über einen Bergsee am Ende eines Gletschers
Ein neuer See. Er entstand durch den Rückzug des Triftgletschers im Berner Oberland. Keystone

2060 werden die Winter milder sein, und der Heizbedarf wird abnehmen. Diese Reduktion wird allerdings durch den Anstieg des Energieverbrauchs im Sommer wieder zunichte gemacht (Klima-Anlagen).

Die grösste Herausforderung für die Schweiz liegt im schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie, die heute rund 30% zur Energieproduktion beisteuert. Um den Atomstrom zu ersetzen, will die Schweiz die erneuerbaren Energien fördern, den Energiekonsum reduzieren und die Energieeffizienz verbessern.

“Die Schweiz tut also gut daran, auf Solarenergie zu setzen, die heute günstigste Technik zur Stromerzeugung. Ihr Potenzial entspricht mehr als der doppelten Menge der heutigen Atomstrom-Produktion”, sagt Nipkow.

Weil in den Städten der Boden versiegelt ist und Verkehr, Industrie und Gebäude viel Wärme erzeugen, sind dort die Temperaturen um einige Grad höher als in den umliegenden Gebieten. In Zürich wurden Unterschiede von mehr als vier Grad gemessen. Wenn die Sommer heisser werden, bedeutet das für die Städte, dass sie noch mehr zu Wärmeinseln werdenExterner Link.

Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, sollten Stadtbehörden mehr grüne und offene Plätze einrichten, auf die Farbwahl und die thermophysikalischen Eigenschaften von Gebäuden einwirken und die Luftzirkulation erleichtern, indem sie beispielsweise die Höhe und Dichte von Gebäuden beschränken. Eines der Klimaschutz-Pilotprojekte der Eidgenossenschaft befindet sich in Sitten (Sion), Kanton Wallis, in jener Schweizer Stadt, die sich am meisten aufgeheizt hat.

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HitzewellenExterner Link sind laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine der gravierendsten Bedrohungen für die Schweiz. Am meisten gefährdet sind alte und kranke Menschen. So fanden im Hitzesommer 2003 wegen der beständigen Temperaturen über 30 Grad in der Schweiz mehr als tausend und in Europa 70’000 Menschen einen vorzeitigen Tod.

Höhere Temperaturen werden auch dazu führen, dass Infektionskrankheiten, die heute nur in den Tropen vorkommen, auch hierzulande auftauchen. In der Schweiz ist man beunruhigt über die Asiatische TigermückeExterner Link, ein potenzieller Vektor von Krankheiten wie Dengue oder Chikungunya-Fieber.

Hitzesommer begünstigen zudem die Verbreitung der Zecke, die Trägerin von Erregern der Hirnhaut-Entzündung und der Borreliose sein kann. Die folgende Karte zeigt die von Borreliose bedrohten Gebiete in der Schweiz:

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Das Bild einer Schweiz im Jahr 2060 mag düster erscheinen. Doch auch wenn weltweit die Temperaturen ansteigen, bestehe noch die Möglichkeit, den Trend umzukehren und die schlimmsten Szenarien abzuwehren, betonen Klimaexperten der Vereinten Nationen (UNO).

Laut Reto Knutti, Klimaforscher an der ETH und einer der Hauptautoren des Klimaberichts des UNO-Weltklimarats (IPCC), zahlen sich vorbeugende Massnahmen aus. “Mit einem konsequenten Klimaschutz könnten die Auswirkungen des Klimawandels in der Schweiz bis zur Mitte dieses Jahrhunderts halbiert werden”, sagt er.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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