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Bambussprosse küsst Lotusknospe

Liebespaar und Jüngling von Sugimura Jihei; Japan, um 1685. Museum Rietberg

Das Museum Rietberg in Zürich überrascht mit seiner Ausstellung "Liebeskunst". Liebeslust und Liebesleid in der Weltkunst.

Über 230 Kunstwerke aus der Antike, aus Persien, Indien, China, Japan, Afrika und dem alten Amerika zeigen die hohe Kunst der Liebe.

Wer will, kann ihm noch nachspüren dem schwachen Odeur in der Villa Wesendonck, den Räumlichkeiten des Museums Rietberg. Denn hier erblühte 1857 die Liebe zwischen Mathilde Wesendonck und Richard Wagner.

Und hier schrieb Richard Wagner «Tristan und Isolde». Das Liebesdrama in der Opernliteratur. Lebensfreude, sexuelle Wonne, Liebesverlust, Schmerz und Todesahnung. Alles ist vorhanden in diesem Meisterwerk.

Eintauchen in eine Welt der Liebe und der Kunst
Wie gliedert man eine Ausstellung mit vielen Werken aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt? Aus verschiedenen Zeitepochen, verschiedenen Stilrichtungen? Die Ausstellungsmacher haben sich für eine geographische Gliederung entschieden.

Eine gute Wahl. Sie lässt die Besucherinnen und Besucher eintauchen in farblich abgesetzte Räume. Wir finden uns wieder in Persien, in Japan, in China, in Afrika, in Indien, in der Antike.

Symposium und Dionysos



Gleich zu Beginn des Rundgangs weckt ein Torso von Aphrodite, dem Sinnbild für vollkommene Schönheit, Appetit auf mehr. Aphrodite, die Göttin der Liebe, war ihrem Mann, dem hinkenden Gott Hephoistos, regelmässig untreu. Sie betrog ihn nicht nur mit anderen Göttern, nein, sie war auch sterblichen schönen Männern nicht abgeneigt.

Wunderschön anzuschauen sind in der Ausstellung die zahlreichen Schalen, Krüge, Töpfe, Teller aus gebranntem Ton. Tiefes Schwarz kontrastiert mit verschieden Ockertönen. Dargestellt sind «symposia», die so rein gar nichts mehr mit einem heutigen Symposium, man denke an Davos, gemeinsam haben.

Ein «symposion» ist ein Trinkgelage, das strengen Regeln folgt. Patron des «symposions» war Dionysos, der Gott des Weines. Zur Unterhaltung pflegten Hetären, Prostituierte, den Zechern aufzutanzen und sie sexuell zu Erregen. So finden sich denn abgebildet auf den tönernen Werken, lustvoll inszenierte Liebesspiele, Hetären stimulieren mächtige erigierte Penisse, tanzen, hantieren mit künstlichen aus Leder gearbeiteten «phalloi».

Ein «symposion» konnte durchaus auch in einer Orgie enden. Angeregt vom Wein, praktizierte Mann die verschiedensten Spielarten des Geschlechtsaktes. Akrobatische Liebespositionen bis hin zu sadistisch-masochistischem Treiben. Bürgersfrauen waren von diesen erotischen Amüsements ausgeschlossen, sie dienten rein den Männern.

Kopfkissenlied

Ein Höhepunkt, der an Höhepunkten reichen Ausstellung, sind die Holzschnitte des japanischen Künstlers Kitagawa Utamaro (1753-1806). Einerseits seine atemberaubend schönen Frauenporträts, andererseits die unverhüllte Sinnlichkeit in seinem Album «Kopfkissenlied».

Hier zeigt Utamaro, ein Grossmeister seines Faches, ungeniert und provokativ intimste Köperteile. Doch Komposition und Farbgestaltung sind so raffiniert, dass niemand zu erröten braucht, im Gegenteil, man will lange schauen. Schauen in die Gesichter, welche die Wonne, die Ekstase, die Zärtlichkeit wiederspiegeln. Welch ein Genuss!

Keine Philosophie der Liebe

«Liebeskunst» ist die absolut sehenswerte Ausstellung über die Kunst des Liebens, die manchmal viel, manchmal fast gar nichts mit Erotik zu tun hat.

«Liebeskunst» zeigt die Zeit des Begehrens, des Wartens, der sexuellen Vereinigung, aber auch des Alleinseins und Verlassenseins. Nicht zu kurz kommen die Sexualität im religiösen Kontext und die gleichgeschlechtliche Liebe.

«Liebeskunst» zeigt einige Aspekte der Liebe und der Kunst – längst nicht alle. Die Ausstellungsmacher haben gut daran getan, sich zu beschränken. Wie sagt doch Roland Bartes in «Fragmente einer Sprache der Liebe», eine «Philosophie der Liebe» wäre ein Monstrum.

«Liebeskunst» ist eine Ausstellung, der man viele Besucher wünscht, auch Schulklassen, auch Männer. Nicht des voyeuristischen Blickes wegen, den kann Mann und Frau durchaus haben, sondern als Anstoss für die Erotik, für die Liebe und für das Glück.

In einer Zeit in der Beate-Uhse-Shops höchste Zuwachsraten verzeichnen, sind Ausstellungen wie «Liebeskunst» ein notwendiges Gegengewicht. Wer die Ausstellung nicht besichtigen kann, dem sei der Katalog wärmstens empfohlen.

Zu hoffen bleibt auch, dass der sichere Erfolg dieser Ausstellung, den Zürcher Gemeinderat beflügelt, den dringend notwendigen Erweiterungsbau des Museums zu unterstützen.

swissinfo, Brigitta Javurek

Die Ausstellung «Liebeskunst» ist in der Villa Wesendonck vom
1. Dezember bis 27. April 2003 zu sehen.

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