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Elisa Shua Dusapin: “Ich fühle mich sehr schweizerisch in diesem viersprachigen Helvetien”

Elisa Shua Dusapin signiert Bücher am Livre sur les Quais.
Elisa Shua Dusapin beim Signieren ihrer Bücher an einem Literaturfestival in Morges, Anfang September 2023. © Keystone / Laurent Gillieron

Elisa Shua Dusapin hat als erste Schweizerin den renommierten National Book Award gewonnen. Porträt einer erfolgreichen Schriftstellerin, die sich die Bodenhaftung bewahrt hat.

Elisa Shua Dusapin gehört zu den besten Botschafterinnen der Schweiz im Ausland. Was sie vermittelt, ist so feinfühlig wie überschaubar: Bisher umfasst ihr Werk vier Romane, die durch ihre Schlichtheit und ihr Gespür beeindrucken. Sie wurden in 30 Sprachen übersetzt und mit Preisen überhäuft, darunter mit dem international renommierten National Book Award. In deutscher Übersetzung sind bis jetzt “Winter in Sokcho” und “Die Pachinko-Kugeln” erschienen.

Elisa Shua Dusapin ist gefragt. Universitäten, Buchhandlungen und Literaturfestivals sorgen für einen übervollen Terminkalender. Aber überwältigen lässt sie sich vom Erfolg nicht. Elisa Shua Dusapin bewahrt sich Raum. Ihr fehlt es zwar an Zeit, aber nicht an Bodenhaftung.

Glamour behagt ihr nicht, anders als vielleicht anderen mit 31 Jahren. “Nein, ich bin kein Star”, sagt sie. Und noch weniger wirkt sie wie eine junge Romanautorin, die den Profit im Blick hat und Bücher als kommerzielle Produkte betrachtet.

Der erste National Book Award für eine Schweizerin

Die Geschichten von Elisa Shua Dusapin tragen etwas Einzigartiges in sich. Diese entspringt den inneren Landschaften ihrer Protagonistinnen, die wie die Autorin Wurzeln in verschiedenen Kulturen haben.

Dieser Hintergrund bildet einen Schatz, den die Autorin – Tochter eines Franzosen und einer Koreanerin, seit dem Alter von fünf mit ihren Eltern in Porrentruy im Kanton Jura – seit “Winter in Sokcho” am Erkunden ist.

Elisa Shua Dusapin in einem hellbraunen Mantel.
Elisa Shua Dusapin ist eine der besten Botschafterinnen der Schweiz im Ausland. Editions Zoé

Der Debütroman “Winter in Sokcho”, der im Original 2016 erschien, fand schnell grossen Anklang bei Publikum und Kritiker:innen. Er wurde mit mehreren Preisen geehrt, darunter mit dem National Book Award for Translated Literature 2021 für die englische Version des Romans.

In der nach 1950 zurückreichenden Geschichte des National Book Award ist Elisa Shua Dusapin die erste Schweizer Schriftstellerin, die mit dem begehrten US-amerikanischen Preis ausgezeichnet wurde. Das steigert ihren Bekanntheitsgrad weiter. Rund 50’000 Exemplare werden verkauft, was eine Seltenheit ist für einen Roman, der weder von brutalen Verbrechen noch von spektakulären Diebstählen handelt.

Von “Winter in Sokcho” zu “Die Pachinko-Kugeln”

Elisa Shua Dusapins Romane erweitern das Denken und die Grenzen, sie sind sanft und spannungsgeladen zugleich. Ihr erster Roman spielt am anderen Ende der Welt, in der südkoreanischen Kleinstadt Sokcho, wo eine junge Frau auf einen französischen Zeichner trifft, der in Korea nur auf Durchreise ist.

Die Themen sind gegenseitige Anziehung und Kommunikationsschwierigkeiten. Diese finden sich auch in den anderen Romanen der Schriftstellerin: In “Die Pachinko-Kugeln”, das in Tokio spielt und in “Vladivostok Circus”, der im titelgebenden Wladiwostok spielt. In den drei Büchern geht es immer um die Reibung zwischen dem Privaten eines Individuums und dem geografischen Raum eines Landes.

“Ich fühle mich sehr schweizerisch in diesem viersprachigen Helvetien. Die Sprachenvielfalt findet bei mir und in meiner Arbeit eine Resonanz. Ich spreche seit meiner Kindheit Koreanisch, aber ich bin ebenso von der jurassischen Kultur durchdrungen und von so vielen anderen Orten auf der Welt inspiriert, die ich während meiner Schreibaufenthalte und der Lesereisen für meine Bücher entdeckt habe”, sagt die Autorin.

Weiter führt sie aus: “Als ich im Alter von 17 Jahren mit dem Schreiben begann, befand ich mich mitten in einer Identitätssuche. Heute gelingt es mir, die grossen inneren Diskrepanzen zusammenzubringen.”

Sensibilität und Sinnlichkeit

Für Olivier Babel, Generalsekretär des frankofonen Verbands Livresuisse, widerspiegeln Elisa Shua Dusapins Erzählungen ihre Persönlichkeit perfekt.

“Das fällt sofort auf, wenn man sie trifft. Ich denke, dass dies zu ihrem grossartigen Erfolg beigetragen hat. Manchmal gibt es eine riesige Kluft zwischen dem Bild, das man von einer Autorin, einem Autoren hat, und dem Bild, das man von den Figuren gewinnt. Bei ihr jedoch besteht eine völlige Übereinstimmung zwischen den beiden. Ihre Sensibilität und Sinnlichkeit tauchen in ihren Büchern mit impressionistischen Pinselstrichen auf.”

Ihr neuester Roman “Le vieil incendie”, der im Herbst 2023 auf Französisch erschienen ist, spielt im Périgord in Frankreich, wo die Autorin zur Welt kam. Die Handlung: Zwei Schwestern, die seit 15 Jahren getrennt leben, treffen sich wieder, um ihr Elternhaus zu entrümpeln.

Kann die Rückkehr an den Ort der Kindheit die für lange Zeit unterbrochene Kommunikation zwischen den beiden Frauen wieder entfachen? Die Beziehungen von Menschen, auch wenn sie sich sehr nahe stehen, können kompliziert sein.

Bei der Lektüre gewinnt man den Eindruck, dass Elisa Shua Dusapin wohl Verhaltensforscherin geworden wäre, würde sie keine Romane schreiben.

“Zwischenmenschliche Beziehungen können mich verletzen. Da ich mehrere Kulturen in mir trage, weiss ich nie sicher, ob ich den richtigen Code benutze, um mit einem anderen Menschen zu kommunizieren”, sagt sie.

Schweigen über das nächste Buch

Zumindest in einer Sache kann Elisa Shua Dusapin beruhigt sein: Als Lesende versteht man sie und nimmt sie wahr. So gut, dass “Le vieil incendie” bereits zwei französische Auszeichnungen erhielt: den Wepler-Preis und den Fénéon-Preis.

Jede Auszeichnung sei mit Emotionen verbunden. “Der National Book Award hat mein Leben verändert”, sagt Elisa Shua Dusapin. Eine solche Anerkennung vermittelt einer Autorin, einem Autoren das Gefühl von Legitimität und sorgt für öffentliches Scheinwerferlicht.

Nachdem “Winter in Sokcho” in der Westschweiz bereits für das Theater adaptiert worden ist, ist das Buch nun auch verfilmt worden. Der französisch-japanische Regisseur Koya Kamura hat dafür in Südkorea gedreht. Die Rolle des Zeichners übernimmt der französische Schauspielstar Roschdy Zem.

Der Film ist noch nicht in den Kinos angelaufen, aber Elisa Shua Dusapin war bereits bei einer ersten Vorführung dabei. Sie sagt: “Ich war überwältigt.” Und leise ergänzt sie: “Das Produktionsteam hofft, dass der Film für die nächsten Filmfestspiele in Cannes ausgewählt wird.”

Wir hätten gerne mehr erfahren. Aber das bleibt ein Geheimnis, genauso wie das nächste Buch, auf das sich die Autorin im Moment konzentriert.

Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Benjamin von Wyl

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