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Fischli/Weiss, die Meister der Balance, in Zürich

'Unfall', aus der "Wurstserie", 1979. (Kunsthaus.ch) Kunsthaus.ch

Das Kunsthaus Zürich präsentiert mit "Fragen & Blumen" die erste Schweizer Retrospektive des Künstlerpaares mit seinem ansteckenden wie universellen Humor.

Doch hinter dem Lachen tauchen die grossen Fragen auf – und trotzdem bezaubern sie die Welt.

Fischli/Weiss sind die ersten Schweizer Künstler, die nicht ins Exil gehen mussten, um internationale Anerkennung zu erhalten. Fast 30 Jahre nach ihren Anfängen werden die Zürcher Peter Fischli und David Weiss, 55 und 61 Jahre alt, in ihrer Heimat mit einer umfassenden Retrospektive gefeiert.

Die Ausstellung “Fragen & Blumen”, ein fröhlicher und gleichsam irritierender Parcours, ist in neun verschiedene Räume aufgeteilt, doch wie alles bei Fischli/Weiss, verbindet sie ein innerer Dialog, wundersam ausbalanciert.

Das gesamte Werk schwebt zwischen Universellem und Besonderem, zwischen Lachen und Tragik, zwischen enzyklopädischem Wissen und alltäglicher Banalität.

Dieser Balanceakt ist auch Thema eines Werkes: “Equilibres – ein stiller Nachmittag” ist eine Serie aus rund zehn Installationen, bestehend aus Alltagsobjekten, zusammengefügt mit viel Raffinesse und ohne Klebstoff.

Blumen und Airports

Doch es sind zwei andere, kunstvoll ineinander greifende Werkgruppen, die die Ausstellung eröffnen: Blumen und Airports. Die grossen und scheinbar banalen Ansichten von Flugzeugen aus der ganzen Welt entführen den Betrachter auf Anhieb in die magische Welt von Fischli/Weiss.

Hinter dem vordergründig Banalen versteckt sich ein Zauber. “Sie brechen zwar nicht die grossen Tabus unserer Gesellschaft, jedoch die kleinen Stereotypen unserer Wahrnehmung”, schreibt treffend die Zürcher Wochenendbeilage “Das Magazin”.

“Readymades – andersrum”

In einem erst kürzlich geschaffenen Werk wird unsere Wahrnehmung erschüttert: “Eine nicht vollendete Arbeit” (2004-2006) ist ein Readymade, nur andersrum.

Im Gegensatz zu Duchamp stellen Fischli und Weiss keine existierenden Objekte ins Museum, sondern sie erschaffen sie neu. Aus schwarzem Polyurethan schnitzen sie Kindergummistiefel, die auf einer Baustelle vergessen wurden, Pneus, Palette, Werkzeuge.

Weitere, geduldig modellierte Tonfiguren sind jene aus der Serie “Plötzlich diese Übersicht” (1981). 1982 wurden 300 dieser kleinen ganz unterschiedlichen Szenerien wie “Der erste von Freud analysierte Traum” oder “Mick Jagger und Brian Jones zufrieden nach Hause gehend, nachdem sie den Song ´I can’t get no satisfaction´, komponiert hatten”, in Zürich ausgestellt. Die Retrospektive zeigt rund hundert dieser Figuren.

Drei Filme

Besonders bei den Ensembles entfaltet sich die ganze Schönheit aus der vordergründigen Einfachheit, was noch deutlicher in den Filmen zur Geltung kommt. Seit den Anfängen bedienen sich die Künstler des Zelluloids, später des Videos. Sie drehten drei Filme, die Spuren hinterlassen haben.

In “Der geringste Widerstand” erforschen Fischli/Weiss, verkleidet als Bär und Ratte, die Welt und philosophieren über “die Kunst und die Kriminalität”. Der Film wurde in den USA gedreht und bedient sich aller Kunstgriffe des Kriminalromans (Musik, Montage).

Umdeutung der Objekte

Die Ratte und der Bär tauchen auch im Film “Der rechte Weg” wieder auf, der im Kunsthaus ebenfalls gezeigt wird. Die zwei Kostüme werden in abgedunkelten, schwarzen Vitrinen ausgestellt, die eine unheimliche Atmosphäre schaffen.

Zwei Vitrinen als Kunstobjekte: Dies ist die Antwort der zwei Künstler auf die Anfrage einer Freundin, ob sie für eine Performance die Kostüme wieder hervorholen würden. Ein weiteres Beispiel, wie Fischli/Weiss den Objekten eine neue Bedeutung geben.

Kinderblicke

Die Retrospektive kann natürlich nicht auf den Film “Der Lauf der Dinge” verzichten, eine Dokumentation, wie Brennen, Fliessen, Fallen und Gleiten verschiedener Materialien Kettenreaktionen auslösen. Zum ersten Mal zeigen die Künstler das “Making of” dieser Arbeit, gedreht vom Herausgeber und Kabarettisten Patrick Frey.

Dieser Dokumentarfilm zeigt Fischli/Weiss bei der Arbeit, wie sie mit kindlich staunendem Blick ihre Experimente beobachten, dokumentiert aber auch die Ruhe und Gelassenheit des Erwachsenen, der sehr wohl die Projekte des “inneren Kindes” ernst nimmt.

So ist es weiter nicht erstaunlich, weshalb Fischli/Weiss über 400 Fragen stellen, wie “Warum gibt es schlechte Menschen?” oder “Sollte ich Russland angreifen?”, “Sollte ich singen?” oder “Mag man mich?”? Man kann es vermuten.

Die Werkgruppe “Fragen” hat ihnen 2003 den goldenen Löwen an der Biennale von Venedig eingebracht.

Mit unbedeutenden, alltäglichen Materialien, Wörtern und Szenen schaffen es Fischli/Weiss, die Menschen mit Lust für die Welt zu begeistern. Das Künstlerpaar unterstützt übrigens zahlreiche junge Künstler.

swissinfo, Ariane Gigon Bormann
(Übertragung aus dem Französischen, Christine Fuhrer)

Peter Fischli wurde 1952 und David Weiss 1946 in Zürich geboren.

Peter Fischli studierte an der Accademia di Belle Arti in Urbino und Bologna in Italien, David Weiss studierte an der Kunstgewerbeschule in Zürich und absolvierte die Bildhauerfachklasse in Basel, bevor er einige Bücher publizierte.

Die zwei Zürcher Künstler haben ihre Zusammenarbeit 1979 mit der «Wurstserie» begonnen.

Im Jahr 2003 erhielten sie den goldenen Löwen für das beste Werk der Biennale von Venedig.

2006 wurde ihnen der Roswitha Haftmann-Preis, der höchstdotierte europäische Kunstpreis, verliehen.

“Fragen & Blumen”, Retrospektive von Fischli/Weiss, zu sehen im Kunsthaus Zürich vom 6. Juni bis zum 9. September 2007.

Die Retrospektive ist eine “Erfindung” von Fischli/Weiss und der Kuratorin Bice Curiger in Zusammenarbeit mit der Tate Modern in London, wo sie zum ersten Mal zwischen Oktober 2006 und Januar 2007 zu sehen war.

Die Ausstellung wurde von der ersten Etappe zur nächsten leicht verändert. “Sichtbare Welt”, 3000 Dias auf einem 30m langen Leuchttisch, wurde in London und in Paris, wo die Ausstellung bis letzten Mai gastierte, nicht gezeigt.

Anschliessend geht die Ausstellung nach Hamburg.

Das Buch zur Ausstellung, “Fischli/Weiss, Fragen & Blumen, eine Retrospektive” herausgegeben von Bice Curiger, Peter Fischli, David Weiss, Verlag JPR Ringier, ist erhältlich auf deutsch, französisch und englisch im Kunsthaus-Shop.

Ein weiteres Buch, das im Kunsthaus-Shop erhältlich ist: “Findet mich das Glück?”, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln.

Die Filme von Fischli & Weiss, Verleih T&C Film,: “Der Lauf der Dinge” (1986/1987), “Der geringste Widerstand” (1980/81) und “Der rechte Weg” (1982/83) sind ebenfalls im Kunsthaus-Shop zu haben.

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