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Höher, grösser, grüner: Bürohochhäuser jagen nach Superlativen. Doch wozu noch?

Rochetürm
Haifischflossen am Rhein: Die Basler Skyline hat sich mit den Roche-Türmen sprunghaft verändert. © Ruedi Walti

Warum Städte mit Büronutzung verdichten? Die Organisation der Arbeit ist derzeit so stark in Veränderung, dass wir bald keine Büros mehr brauchen. Eine Analyse zur Debatte in der Schweiz.

Der 205 Meter hohe, wie eine gigantisch schmale Haifischflosse über die Dächer von Basel hinausragende Turm sei «eines der weltweit nachhaltigsten Bürohochhäuser», schrieb die Firma RocheExterner Link zur Eröffnung im letzten September. Es ist ein doppelter Superlativ, und noch mehr: am nachhaltigsten, am höchsten, und erst noch weiss schimmernd und elegant.

Erstaunlich ist dabei vor allem, dass sämtliche Ansagen gegenüber dem Publikum die Nachhaltigkeit und nicht den Höhenrekord in den Vordergrund stellten. 550 Millionen Schweizer Franken hat das Gebäude gekostet und bietet den Roche-Mitarbeitenden auf 50 Stockwerken insgesamt 3200 Arbeitsplätze. Der neue Schweizerrekord von 205 Metern für ein Hochhaus wird dabei geradezu nebensächlich erwähnt.

Dass in einer Zeit, in der die Arbeit nur noch teilweise im Büro erledigt werden muss, für ebendieses Büro gerade zwei, wenn nicht sogar drei Riesentürme gebaut werden, darf erstaunen.

Wenn so viele Arbeitnehmende überwiegende remote und online arbeiten können, stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit von Büroarbeitsplätzen auf ganz neue Art: Richtig nachhaltig wäre es doch, Pendlerfahrten aufs Nötigste einzudämmen und Büroräume nur noch für ausgewiesene Tätigkeiten zu besuchen?

Etwa für die seltenen Besprechungen, bei denen das persönliche Gegenüber einer zwar bequemen, aber technisch bedingt distanzierten Telekonferenz vorzuziehen ist.

Rochetürm, interior
Im Erdgeschoss des zweiten Turms ziert eine bepflanzte Wand des Star-Botanikers und Gartenarchitekts Patrick Blanc die innere Landschaft. © Roche

Wie produktiv allerdings das Arbeiten im bequemen Daheim oder in der Berghütte sein kann, fragen Arbeitsplatzspezialist:innen seit Langem, auch schon vor der Pandemie. Diese gab der Entwicklung neuer Bürokonzepte enormen Schub. Ohne lange Reisen zu Hause zu arbeiten, gehörte dank dem Coronavirus plötzlich zum Alltag. Das Home-Office war für viele sogar zeitweise Vorschrift.

Als dies passierte, waren die meisten der gegenwärtig als Büros genutzten Hochhäuser fertig gebaut. Die Baustellen, wo Baukräne gerade Wände und Träger in die Höhe hoben, waren längst zu Ende geplant und folgten weiterhin Regeln aus der Zeit vor der Pandemie.

Die Rezepte für eine nachhaltige Bauwirtschaft definiert sich so vor allem über eine moderne Gebäudetechnik und umweltbewusste Materialwahl. Den allgegenwärtigen Beton mit Holz zu ersetzen, gelingt bis anhin sogar bei niedrigen Häusern nur den wenigsten. Um solche Bemühungen, für den Bau und Unterhalt von Gebäuden weniger Ressourcen aufzuwenden, kommt die Industrie nicht mehr herum.

Top floor
Im obersten Geschoss von Bau 2 gibt es eine Kantine mit Aussicht. © Roche

Den Zwilling übertrumpfen

Roches sogenannter «Bau 2» ist nicht der zweite Bau der Firma, sondern ihr zweiter, der einen Schweizer Hochhausrekord knackt. Der Erste steht unmittelbar, sogar sehr nah neben dem grösser geratenen Zwilling.

Mit seiner ebenso weissen, nach oben abgetreppten Fassade sieht der ältere Bruder genau gleich aus, nur ist er mit knappen 178 Meter etwas kürzer. 2016 knackte «Bau 1» die Schweizer Gipfelleistung in Sachen Gebäudehöhe. Sein Vorgänger, der Zürcher Prime Tower, hatte sich mit 126 Metern Höhe ebenfalls fünf Jahre lang an der Spitze gehalten.

Die Meterzahlen, mit denen diese Bürohochhäuser über die sogenannte Hochhausgrenze – in den meisten Schweizer Städten beträgt diese 25 Meter – hinausragen, stiegen in schwungvollen Schritten. Kein Wunder war die Aufregung gross. Doch nach einigen Monaten der Gewöhnung, so war dies in Zürich und Basel zu beobachten, beruhigten sich die Gemüter bald. 

Interior spiral staircase
Wie schon im Bau 1 sind auch im Bau 2 mehrere Geschosse über Spiraltreppen verbunden. Roche

Wer kommt noch ins Büro?

Mehr Anlass zur Sorge als die veränderte Stadtsilhouette gibt das Innenleben der Bürohochhäuser. Der Gebäudetypus scheint vom Niedergang bedroht: Auf der einen Seite wollen die Unternehmen Flächen einsparen. Auf der anderen Seite möchten die Angestellten nur noch ab und zu auf einen Schwatz vorbeikommen – alles andere geht von zuhause genauso gut, wenn nicht besser.

Das passt also zusammen, nur: Wozu genau braucht es in Zukunft noch Büros?

Das Büro der Zukunft gleiche eher einem Klub, so der Vorschlag von Nora FehlbaumExterner Link, CEO des legendären Designunternehmens Vitra. Im «Club Office» geht es, genauso wie im Schachclub, im Debattierclub und im Fussballclub, um Austausch und Identifikation. In ihren Einrichtungen differenziert die Firma ruhige und aktive, private und gemeinschaftliche Zonen.

Auch das Innenleben der Roche-Türme folgt diesem Trend, das Büro nicht als möglichst stille Kammer auszulegen. Die Architekten Herzog & de Meuron, die auch für die Architektur der neuen Roche-Landmarken verantwortlich zeichnen, knüpfen für deren Innenleben an das vor gut 50 Jahren in den USA entwickelte «activity based working» (ABW) an, das schon damals die Idee eines fixen Arbeitsplatzes gegen flexiblere Organisationsformen auszutauschen vorschlug.

Büro
Das Büro dient nicht nur der Einzelarbeit, sondern vor allem dem Austausch. © Robert Rieger

ABW ist unterdessen bei vielen internationalen Firmen das Mass aller Dinge der räumlichen Organisation, auch bei der international tätigen Roche. Ob in den neuen Basler Türmen die vielen Büroflächen ausgelastet sind, weiss keiner, denn, so die Auskunft der Medienstelle: «Die effektive Auslastung der Arbeitsplätze pro Abteilung tracken wir nicht.»

Arbeitsplätze jedenfalls gibt es zu Tausenden: In Bau 1 sind es auf 74’200 Quadratmetern Bruttogeschossfläche (58’000 davon sind als Büroflächen ausgewiesen) für 2000 Mitarbeitende, in Bau 2 sind es 83’000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche (61,500 davon für Büros) für 3200 Mitarbeitende, und in der auf 221 Meter Höhe ausgelegten Zukunftsvision für Bau 3 von allem noch mehr.

Die Firma Roche betont weniger die Anzahl von Personen als den Zusammenhalt: Die symbolische Ausstrahlung dieser allerhöchsten Türme der Stadt soll die Identifikation mit der Firma stärken. Der Bau 2 sei, so die AnkündigungExterner Link, «das zentrale Element, um Mitarbeitende am Standort zusammen zu führen». 

Superlative sind relativ

Rocheturm
Je nach Blickwinkel erscheinen die neuen Bürohochhäuser nicht besonders gross. © Ruedi Walti

Dass Superlative in der Planung dieser Hochhäuser eine Rolle spielten, bezweifelt wohl niemand. Aber nicht nur die Basler Bürohochhäuser nehmen Nachhaltigkeitsrekorde für sich in Anspruch.

Auch der vor zwei Jahren eingeweihte Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich präsentierte sich als herausragend in der Nachhaltigkeit, dies dank hervorragenden technischen Lösungen für ein grosses Gebäude, das sich mancher etwas kleiner gewünscht hätte.

Dass Roche die Bilanz des eigenen nachhaltigen Bauens auf allen Kanälen lobte, stiess auf breite Skepsis. Der Verlag für BaukulturExterner Link

beispielsweise beanstandete, dass die «in das Betontragwerk eines solchen Wolkenkratzers geflossene graue Energie und der bevorstehende Abriss des umgebenden Bestands» nicht in die Betrachtung eingeflossen sei.

Rocheturm
Die beiden Haifischflossen machen sind auch im Stadtinneren immer wieder in den Strassenfluchten bemerkbar. © Ruedi Walti

Immerhin, so die Erläuterung von Bauingenieur Martin Stumpf, habe die Weiterentwicklung des Typs beim zweiten Roche-Turm eine Materialersparnis von 8%Externer Link gebracht.

Man warte also auf Bau 3: Noch mehr Grösse und Höhe wird auch einen neuen Superlativ an Sparpotenzial ermöglichen. Einen Wermutstropfen allerdings gibt es im Cocktail dieser Vision: Ob ein Gebäude als nachhaltig bezeichnet werden darf, bleibt eine Frage der Rechenmethoden und Referenzwerte. Diese könnten sich unter dem zunehmenden Druck auf die Bauindustrie, ihre Ökobilanzen umsichtiger zu rechnen, bald ändern.

Vom Hochhaus zum Klub

Bei der Diskussion um die Nachhaltigkeit der neuen Roche-Türme stellt sich die Frage: Was geschieht, wenn die neuen Formen von Arbeit keine Bürohochhäuser mehr benötigen?

Das Büro als Klub beispielsweise liesse sich auch gut in einem der kleineren, historisch bedeutenden Gebäude auf dem Roche-Firmenareal unterbringen, beispielsweise in den dem Abbruch geweihten historischen Bauten der bedeutenden Architekten Roland Rohn und Rudolf Salvisberg.

Interior Turm
Im 47. Geschoss gliedert sich die Bürohochhausetage in private Nischen – wie in einem Klub. Roche

Dass sich ausgediente Bürohochhäuser umbauen lassen, beweist beispielsweise derzeit die Stiftung PWG zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich. An der Zürcher Stadtgrenze im Quartier Leutschenbach, nahe der Zürcher Tramhaltestelle «Fernsehstudio», soll nächstes Jahr ein Bürohochhaus aus den 1960er-JahrenExterner Link zu Wohnungen umgebaut werden.

Die Vorgabe ist dort, möglichst kleine Eingriffe in die Bausubstanz vorzunehmen, also wenig Material rückzubauen und möglichst viel davon stehen zu lassen.

Dies ist schon bei den sechs Geschossen der Leutschenbacher Stahlbetonkonstruktion eine Herausforderung. Wie der Umbau der fünfzig und mehr Geschosse der Roche-Türme einmal von sich gehen wird, weiss niemand.

Umnutzungen verlangen einiges an Planungsgeschick. Im Gegenzug versprechen sie bezüglich der baulichen Nachhaltigkeit gute Bilanzen. Die Aussichten auf neue Rekorde oder Superlative sind dabei allerdings gering.

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