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Immer weniger Hotels in Locarno

Im inzwischen geschlossenen Grand Hotel ging 1946 das erste Festival über die Bühne. swissinfo.ch

Locarno leidet unter einem boomenden Immobilienmarkt, dem immer mehr traditionsreiche Hotels zugunsten von teuren Wohnungen zum Opfer fallen.

Das Hotelsterben in Locarno hat auch Auswirkungen auf das Filmfestival, das bald seine 59. Ausgabe eröffnet. Ausweichmöglichkeiten gibt es in der Nachbarstadt Ascona.

“Das Festival hat seine Seele verloren”, klagt Festival-Präsident Marco Solari, dem vor allem die Schliessung des Grand Hotels mehr bedeutet als der Verlust von 83 Zimmern.

In dem Prachtbau aus der Belle Epoque ging das Festival 1946 erstmals über die Bühne. Als die Leinwand 1970 auf die Piazza Grande verlegt wurde, trafen sich Produzenten, Regisseure, Schauspieler und Kritiker nach den Vorführungen jeweils weiterhin im Grand Hotel zum Gedankenaustausch.

“Das Grand Hotel war der Mythos des Festivals”, sagt Solari. Er spricht in der Vergangenheitsform. Denn das Grand Hotel schloss Ende letzten Jahres seine Tore – wie zuvor schon das “Muralto”, das “Verbano”, das “Beau Rivage”, das “Zurigo” oder das “Reber”.

“Immobilienmarkt spielt verrückt”

Allein Muralto, das eng mit Locarno zusammengewachsen ist, hat in den letzten sechs Jahren 650 von 1450 Hotelbetten verloren. Der Grund für das Hotelsterben liegt im “Immobilienmarkt, der derzeit verrückt spielt”, wie Rolando Vonlanthen sagt, der Präsident der Locarneser Hoteliers.

Die meisten Hotels wurden in Wohnungen umgewandelt. So entstehen nun etwa im “Muralto” mit seinen einst 150 Betten 20 Appartements. Am Seeufer, erzählt Vonlanthen, gibt es Wohnungen, die für 5 Mio. Franken gehandelt werden. Das macht 15’000 Franken pro Quadratmeter.

Käufer finden sich trotzdem. “Wir leben in einer schönen Gegend”, sagt Vonlanthen. Das Plus des Tessins sei die Sicherheit: “Es gibt Leute, die von der Riviera hierher ziehen, weil sie hier keine Angst haben müssen, dass ihnen das Auto aufgebrochen wird.”

Solari wünscht sich ein Kongresszentrum

Während das Immobiliengeschäft boomt, vermeldet auch die Tourismusbranche erste Anzeichen einer Besserung. Die Talsohle sei durchschritten, sagt Vonlanthen. Er ist überzeugt, dass sich bald auch Investoren für die Hotellerie finden werden: “Locarno wird langsam wieder in”.

Was jedoch fehlt, ist ein Magnet wie beispielsweise das KKL in Luzern, von dem Solari in den höchsten Tönen schwärmt: “Locarno braucht auch ein solches Kongresszentrum. Ich bin überzeugt, dass dieses das ganze Jahr über ausgebucht wäre.”

Ein ähnliches Projekt soll in Ascona entstehen. Die Londoner Architekten Adam Caruso und Peter St John haben Anfang Jahr ihre Pläne vorgestellt. Umgehend meldeten sich Kritiker zu Wort. Der Bau zerstöre das harmonische Dorfbild von Ascona, wurde moniert. Solari sagt dazu: “Das Beste ist oft der Feind des Guten.”

Botta plant Wellness-Oase

Ob und wann das Kultur- und Kongresszentrum realisiert wird, steht in den Sternen. Gebaut wird in Ascona aber trotzdem. Im Januar soll mit dem Bau einer Wellness-Oase im Luxushotel Eden Roc begonnen werden. Geplant hat das 20 Mio. Franken teure Projekt der Tessiner Stararchitekt Mario Botta.

Während es in Locarno kein Fünfsterne-Hotel mehr gibt, buhlen in Ascona gleich vier Herbergen dieser Kategorie um die Gunst der Gäste.

Die Festival-Direktion wird diesen Sommer denn auch den Shuttle-Service zwischen Ascona und Locarno ausbauen, um die Folgen des Hotelsterbens abzufedern. Vielleicht findet der Mythos des Festivals seine Fortsetzung ja in Ascona.

swissinfo und Agenturen

In den letzten 20 Jahren ist das Filmfestival von Locarno ständig gewachsen. Es hat sich als viertwichtigstes europäisches Festival bestätigt, nach Cannes, Venedig und Berlin.

Das reichhaltige Programm und das informelle Klima erleichtern die Begegnungen zwischen Filmemachern und professionellen wie privaten Film-Interessierten.

In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Festival-Besucherinnen und -Besucher zu.

Mit der Ausweitung des Programms gegen Ende der 90er-Jahre strömten auch mehr Interessierte in die Vorführungen in den geschlossenen Räumen als auf die Piazza Grande – ein Zeichen für das gewachsene Interesse an den verschiedenen Programm-Segmenten.

Die 59. Ausgabe des Filmfestivals von Locarno findet vom 2. bis 12. August statt.
170 Spiel- und Dok-Filme werden zu sehen sein.
21 Filme aus 15 Ländern nehmen am Wettbewerb teil.
Das Festival-Budget 2006 beträgt 9,8 Mio. Franken.
2005 besuchten ungefähr 190’000 Personen die verschiedenen Anlässe.

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