Locarno National

Eines der wichtigsten Film-Festivals ist am Donnerstag (02.08.) eröffnet worden: das 54. internationale Film-Festival von Locarno. Es bietet nicht nur Einblick in das weltweite Filmschaffen, sondern wirft auch einen Blick auf den Schweizer Film.
Das Schweizer Produktionsjahr war quantitativ sehr erfolgreich: Neben acht Uraufführungen (vier Spiel- und vier Dokumentarfilme) sind dieses Jahr in Locarno 25 Kurzfilme und vier so genannte Wieder-Entdeckungen zu sehen.
Im internationalen Wettbewerb stehen zwei Schweizer Produktionen auf dem Programm: «Happiness is a Warm Gun» des Luzerners Thomas Imbach – sein erster Kinofilm überhaupt -, sowie «Scheherazade» vom Bündner Riccardo Signorell.
Signorells Film – auch dies ein Erstling – handelt von der schwierigen Beziehung zwischen einem Vater und seinem Sohn aus grossbürgerlichen Kreisen. Auf einem Bootsausflug kommt es zum Streit. Dabei wird auch die Beziehung des Vaters zur Tochter bzw. Schwester in Frage gestellt.
«Happiness is a Warm Gun» erzählt hingegen die Geschichte von Petra, einer engagierten Pazifistin und Grünen, welche von ihrem Freund, einem politischen Mitstreiter, eines Tages erschossen wird.
Annemarie Schwarzenbach und Anne-Marie Blanc
Auf der Piazza Grande wird der neue Film der Brüder Fosco und Donatello Dubini gezeigt. «Die Reise nach Kafiristan» handelt von der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach und der Ethnlologin Ella Maillard Genf. Die beiden Frauen verliessen 1939 die Schweiz, um über den Balkan, die Türkei und Persien nach Kafiristan zu reisen. Der Film erzählt deren gemeinsame Reise, deren Erlebnisse und Liebes-Geschichten bis nach Kabul. Denn, kaum in Kabul angekommen, bricht der Zweite Weltkrieg aus und durchkreuzt die Pläne der reisefreudigen Frauen.
Noch eine weitere Schweizerin kommt zu Ehren in Locarno. Im Rahmen einer Hommage an die Schauspielerin Anne-Marie Blanc wird der Dokumentarfilm «La petite Gilberte» von Anne Cueno vorgeführt. Zudem sind «Die missbrauchten Liebesbriefe» von Leopold Lindtberg aus dem Jahre 1940 zu sehen. In beiden Filmen spielt Anne-Marie Blanc, Tochter französischsprachiger Eltern und eine der bedeutendsten Schweizer Schauspielerinnen.
Ihre Karriere begann in der deutschen Schweiz. Ihre Schauspiel-Ausbildung absolvierte sie in Zürich, am Stadttheater in Bern erhielt sie 1932 ihre erste Rolle. Dank ihres Talents und schauspielerischen Könnens konnte sie sich jedoch auch bald in Deutschland und Österreich durchsetzen. Blanc spielte an zahlreichen deutschsprachigen Theatern und in mehr als 25 Filmen, die im Dreieck Berlin, Wien und Paris gedreht wurden.
Grosse Schweizer Präsenz
Als weitere Hommage wird Michel Soutters Erstling «La lune avec les dents» (1966) gezeigt. Zehn Jahre nach seinem Tod würdigt das Festival den 1932 in Genf geborenen Wadtländer Regisseur.
Obwohl fast alle seine Filme in Locarno zu Ehren kamen, war die erste Begegnung zwischen ihm und dem Festival eher schmerzhaft. Während der Vorführung von «La lune avec les dents» verliessen Publikum und Kritiker gelangweilt den Kinosaal und verrissen in ihrer Berichterstattung den Film. Kaum einer zeigte damals Verständnis für die Schweizer Nouvelle Vague. Soutter war zutiefst gekränkt gewesen und schrieb in einem Brief an einen Freund. «Ich werde … den Schmerz der Abweisung nie vergessen.»
Ebenfalls als Klassiker des Schweizer Films sind in der Reihe «Wiederentdeckte Schweizer Filme» die neurestaurierten Produktionen «Arena des Todes» (1917/18), ein Stummfilm von Alfred Lind, sowie «Bergführer Lorenz» (1942) von Eduard Probst zu sehen.
Für den Wettbewerb der Kurzfilmsektion «Leoparden von morgen» sind 16 Schweizer Werke ausgewählt worden. In einem Spezialprogramm werden zudem acht weitere Schweizer Kurzfilme gezeigt.
Im Videowettbewerb der Sektion «Cinéasten von morgen» laufen die beiden Schweizer Produktionen «Pretty Colors» von Jessie A. Allaoua und «Othello, la tragédie et sa farce» von Elena Hazanova. Ausser Wettbewerb ist zudem Edna Politis Porträt «Paul Sacher» zu sehen .
Die Sektion «Appellation Suisse» stellt in ihrer Jahresauswahl bereits bekannter Schweizer Produktionen acht Kinofilme vor, etwa die Spielfilme «Birthday» von Stefan Jäger, «Das Fähnlein der sieben Aufrechten» von Simon Aeby, «Heidi» von Markus Imboden, «Gripsholm» von Xavier Koller sowie den Dokumentarfilm «Varlin» von Friedrich Kappeler.
Carole Gürtler, Locarno

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