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Pioniere der Digitalkunst

Sie haben die Digitalkunst pioniermässig geprägt: Domagoj Smoljo und Carmen Weisskopf. Florian Bachmann, !Mediengruppe Bitnik

Sie hackten die Zürcher Oper und liessen einen Bot im Darknet wahllos einkaufen. Carmen Weisskopf and Domagoj Smoljo sind die ausgezeichnete "!Mediengruppe Bitnik" und die achten Schweizer Digitalpioniere, die wir in unserer Serie Swiss Digital Pioneers porträtieren.

Das Telefon klingelt. «Grüezi. Hier ist das autonome Operntelefon der Stadt Zürich. Zu Ihrer Freude und Unterhaltung haben wir in der Zürcher Oper eine Wanze platziert. In wenigen Sekunden werden Sie live ins Opernhaus verbunden.» Im Frühjahr 2007 konnte man in Zürich vom Sofa aus den «Rosenkavalier» live mithören.

Die !Mediengruppe BitnikExterner Link hatte die Oper so «gehackt». Mit Hilfe eines Telefoncomputers und per Zufallsgenerator wurde in Zürcher Privathaushalte angerufen. Wer den Hörer abnahm, hörte die Oper, die von illegal deponierten Abhörgeräten übertragen wurde.

Das Schweizer Fernsehen berichtete über den «Kulturanschlag auf die Oper».

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Bis heute kann man die Anleitung, um «die Oper in zehn einfachen Schritten zu hacken», auf der Bitnik-WebsiteExterner Link downloaden.

Bitnik heisst mit ganzem Namen «!Mediengruppe Bitnik» und besteht aus Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo, die sich Anfangs der Nuller-Jahre an der Hochschule für Gestaltung und Kunst ZürichExterner Link kennengelernt haben. Die beiden schlossen an der damaligen Hochschule noch als Studierende heimlich einen eigenen Server ans Netz, den sie Bitnik nannten. «Wir wurden von der IT entdeckt, aber die Hochschule pfiff uns nicht zurück.»

In der Serie SWISS DIGITAL PIONEERS porträtiert SWI swissinfo.ch interessante Schweizer Persönlichkeiten im Ausland oder mit internationaler Ausstrahlung, die früh das Potenzial des Internets erkannt haben und es für ihre Tätigkeiten erfolgreich genutzt haben. Die Autorin Dr. Sarah Genner ist Medienwissenschaftlerin und Digitalexpertin. 2017 erschien ihr Buch ON | OFF.

Die Hochschulleitung erkannte die klandestinen digitalen Aktivitäten der beiden Studierenden bereits als Kunst. Sie selbst blieben auch über das Studium hinaus als Duo tätig, verwirklichten Projekte an der Schnittstelle von Technologie und Aktivismus. 

Weisskopf und Smoljo verstanden sich damals aber noch nicht als Digitalkünstler. Erst als sie 2006 vom damaligen Direktor des Zürcher Cabaret Voltaire Philipp Meier – er ist heute Community-Developer bei Swissinfo – aufgefordert wurden, in Kooperation mit dem Cabaret Voltaire eine Arbeit zu machen, wurde auch für sie selbst klar: «Wir machen Medienkunst.» 

Diese Arbeit war das Projekt Opera CallingExterner Link. Im Cabaret Voltaire hingen Telefonhörer in einem Ausstellungsraum, wo man die Opernübertragung ebenfalls live mithören konnte.

Ein Paket für Julian Assange

Damals arbeitete ich für meine Abschlussarbeit an der Universität Zürich zu Internet und Demokratie oft in WLAN-Cafés. Das Cabaret Voltaire war einer meiner Lieblingsorte, denn es war gemütlich und hatte neben einem stabilen WLAN auch zugängliche Steckdosen. Der Zufall wollte es, dass ich dort eine Sitzung von Direktor Philipp Meier mit Bitnik unfreiwillig mithörte, aber erst später aus den Medien vom Resultat Opera Calling erfuhr.

!Mediengruppe Bitnik

In Zürich sah ich später Bitniks interessante Arbeit Delivery for Mr. AssangeExterner Link ausgestellt, für die sie auf dem Höhepunkt der Wikileaks-Debatte ein Paket zu Julian Assange in die ecuadorianische Botschaft in London schickten. Obwohl ich persönlich Wikileaks-Gründer Assange kritisch gegenüberstehe, faszinierte mich die konzeptuelle und technische Umsetzung der Online-Live-Performance: Bitnik steckte ein Smartphone mit Online-Livestream in ein Paket und adressierte es an Assange in London.

So konnte die ganze Reise des Pakets über das Guckloch im Paket und GPS über einen öffentlichen Livestream verfolgt und überwacht werden, während dieses auf dem Weg zu einem der überwachtesten Menschen der Welt war.

Jede digitale Nachricht an ihn wäre abgefangen worden, während das analoge Brief- und Paketgeheimnis an sich gilt. Dennoch erfuhr der britische Geheimdienst vom Paket und der ecuadorianische Aussenminister musste entscheiden, ob das Paket ausgeliefert werden darf. 

Über diese Arbeit ist das Buch Ein Paket für AssangeExterner Link erschienen. Ähnlich wie Assange sind Weisskopf und Smoljo der Überzeugung, dass in Demokratien Informationen frei zugänglich sein sollten.

Die Schweiz ist für Digitalkunst interessant

Inzwischen sind Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo seit 14 Jahren zusammen als «!Mediengruppe Bitnik» unterwegs, haben in Museen von Shanghai, Amsterdam über São Paulo bis Teheran ausgestellt. Heute lebt das Zürcher Duo hauptsächlich in Berlin und zieht ein gemeinsames Kind gross.

Beide betonen im Skype-Interview, dass die Schweiz für ihre Grösse im Bereich der Digitalkunst ein interessanter Ort sei: auch das H3K, das Haus der elektronischen Künste in Basel, das Kunsthaus Langenthal und die Kunst Halle St. Gallen, zeugen davon. «In Berlin sind die Debatten aber nur schon durch die grössere Kunst- und Digitalszene insgesamt breiter und inspirierender.» Für das H3K Basel haben Bitnik ein Glitch, eine Bildstörung durch einen digitalen Übertragungsfehler, in ein Kunstwerk am BauExterner Link verwandelt.

In meinem Forschungsjahr am Institut für Internet und Gesellschaft in Harvard, begegnete mir 2015 eine weitere Bitnik-Arbeit. Den Random Darknet ShopperExterner Link diskutierten wir mit Interesse, weil das Kunstprojekt auf eine sehr anschauliche Weise jene Fragen bearbeitete, die uns auch in der Internet-Forschung beschäftigten: Wer ist rechtlich und ethisch verantwortlich, wenn Algorithmen Illegales tun? 

Die Bitnik-Software Random Darknet Shopper kaufte automatisiert jede Woche mit Bitcoin im Wert von 100 Dollar wahllos Produkte auf Online-Schwarzmärkten ein und schickte nach der Shoppingtour die Waren an den Ausstellungsort in St. Gallen. Das Kunstprojekt gelangte in die internationalen SchlagzeilenExterner Link, weil illegale Drogen, die der Darknet-Bot gekauft hatte, von der Polizei konfisziert wurden.

Darknet Shopper – Live performance (2014-2016) !Mediengruppe Bitnik

Der Darknet-Bot gehört zu einer Serie von Bitnik-Arbeiten zu Bots. Ein weiteres Bot-Projekt realisierte das Duo Bitnik in Paris im Zusammenhang mit dem Hack der Datingwebsite Ashley Madison. Wie in ihren anderen Projekten verzahnen sie Online- und Offlinewelten geschickt.

Sie schufen für die weiblichen Chatbots von Ashley Madison im Ausstellungsraum in Paris eine physische Heimat. Auf der Datingwebsite waren die Chatbots als echte Frauen angepriesen worden. «Erst durch den Hack wurde klar, in welchem Mass Bots mit zahlenden Männern geflirtet hatten.»

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Bitnik gewannen zahlreiche Preise für ihre Arbeiten, darunter auch den Schweizer Kunstpreis und eine Auszeichnung an der Ars Electronica, das bedeutendste Festival für Digitalkunst. Smoljo und Weisskopf bleiben produktiv und die Arbeit wird ihnen im raschen digitalen Wandel nicht so schnell ausgehen.

Ein neueres Werk befasst sich mit «Smart Home Devices», die derzeit in vielen Haushalten einziehen und über Sprachsteuerung funktionieren. Gemeinsam mit dem Pariser Musiker Low Jack haben sie drei Songs erarbeitet, die – laut genug abgespielt – die Alexas und Siris in den umliegenden Wohnungen aktivieren können.

Mitten in der Debatte um das digitale Zeitalter

Die !Mediengruppe Bitnik orientierte sich in den Anfängen an Net.Art-Werken, die bereits in den 1990er-Jahren künstlerische Experimente mit Internet-Technologien umsetzten. Ein verwandtes Kunstverständnis fanden sie jedoch auch in der Zürcher Dada-Bewegung und der Kunstrichtung Fluxus. 

Bitnik sind nicht die allerersten Digitalkünstler, haben jedoch international die Digitalkunst pioniermässig geprägt. Dank gutem Storytelling und geschickter Öffentlichkeitsarbeit haben sie gesellschaftliche Debatten über das digitale Zeitalter weit über die Kunstszene hinaus bereichert.

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