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Peter Knapp – Die Freiheit jenseits der Pose

Porträt Peter Knapp
"Er ist ein Auge, ein nacktes Auge, ungezähmt, subtil, ein Auge und nichts anderes." So beschreibt die Schriftstellerin Annie Le Brun den Künstler Peter Knapp. Thomas Kern/swissinfo.ch

Nach einer grossen Retrospektive in der Cité de la Mode et du Design in Paris wurde ihm 2021 auch der Schweizer Designpreis verliehen. Der Schweizer Modefotograf Peter Knapp prägte den Schwung der 1960er-Jahre – und zeigt ein waches Auge.

Bei meiner Ankunft im Fotozentrum in Winterthur sehe ich durch ein grosses Fenster Peter Knapp im Eingang des Museums stehen. Hinter einer Art Theke ist er dabei, einen Stapel von AusstellungskatalogenExterner Link zu signieren. Sorgfältig, methodisch und mit einem Hauch von Stolz in den Augen.

Die vor ihm ausgebreiteten Bücher und die in der Ausstellung «Mon temps»Externer Link gezeigten Bilder hat der 91-Jährige nicht in den letzten Jahrzehnten gemacht: Sie stammen aus einer anderen Epoche. Hauptsächlich der Zeit, als Knapp im Paris der 1960er-Jahre als Art Director und Fotograf für die Frauenzeitschrift Elle arbeitete.

Im hinteren Teil der Ausstellungsräume und des Katalogs sind dann auch spätere Bilder von Aufträgen für andere bekannte Modemagazine und Zeitschriften zu sehen. Das letzte Bild im Katalog, das Peter Knapp mit der Welt der Mode verbindet, machte er 1991 für L’Oréal.

Peter Knapp beim signieren von Ausstellungskatalogen
Thomas Kern/swissinfo.ch

Wieso also sollte man sich diese Ausstellung eines Modefotografen sehr fortgeschrittenen Alters ansehen?

Der Schwung der 1960er-Jahre

Die Antwort darauf ist vorerst einfach: Peter Knapp fotografierte Bilder, die den Aufbruch der 1960er- und 1970er-Jahren verkörperten. Er brachte mit seinen Ideen und Bildern Bewegung in die Welt der Mode. Seine Modelle trugen nicht mehr Haute-Couture, sondern Prêt-à-Porter oder sogar Stangenware.

Parallel zu dieser Demokratisierung der Mode suchte der Fotograf bei den Modellen nach einer alltäglichen Natürlichkeit. Knapp fotografierte auch nicht mehr im Studio, wo die Kleider die Hauptrolle spielten und die stillstehenden Modelle von Stylist:innen umgeben waren, die ihnen die Kleider zurechtzupften. Er ging mit ihnen nach draussen, auf die Strasse. Knapps Modelle bewegten sich, wie im Alltag oder wie man es von Filmen her kannte.

Beim Blick auf die Abzüge, Layouts und die grossformatigen Fotografien an den Wänden des MuseumsExterner Link öffnet sich einem die Sicht auf eine Welt in Bewegung. Diese Welt hat eine Dynamik, die weit über die Mode oder Fragen des Stils hinausgeht. Man macht eine Zeitreise, die auch für Spätgeborene funktioniert.

Der Geist der Zeichnung

Doch die AusstellungExterner Link ist nicht nur historisch interessant. Peter Knapp verfügt auch über ein ausgeprägtes Sensorium für alles Sichtbare und er ist geradezu besessen von der Idee, die Welt, so wie sie sich ihm zeigt, in Bildern einzufangen. Die Welt erschliesst sich ihm durch seine Augen. Die Fotografie war dabei nur eines der vielen Medien, die er während seines Lebens nutzte.

Die frühen Jahre seiner Kindheit verbrachte Knapp bei seinen Grosseltern. «Meine Mutter war Amateur-Operettensängerin, mein Vater war sehr verliebt in sie. Als mein jüngerer Bruder zur Welt kam, war ich zu viel, es hatte einfach keinen Platz für mich.»

Mit acht Jahren kehrte er zurück ins Elternhaus, wo die musische Seite seiner Mutter ihn prägen sollte. «Wir verbrachten viel Zeit draussen. Sie hat uns Kinder an der Hand genommen. Zusammen mit meinen Brüdern spazierten wir mit geschlossenen Augen entlang eines Baches oder wir gingen bei Föhnsturm mit in den Wald, um dort dem Knacken und Krachen der Bäume zuzuhören.»

«Ich war von der Natur immer sehr beeindruckt», sagt Knapp im Gespräch. Schon als 13-jähriger entdeckt er seine Leidenschaft für Landschaften und die Ölmalerei. Die Leistungen in der Schule waren gut, der Unterricht bei einem Kunstmaler war die Belohnung dafür. Knapp erinnert sich: «Die Ölmalerei erfordert viel Disziplin und strukturiertes Arbeiten. Die Pinsel müssen immer wieder gereinigt werden, die Reihenfolge des Farbauftrags muss eingehalten werden. Mein Lehrer malte in den 1940er-Jahren noch so wie es die Impressionisten taten.»

Kataloge Peter Knapp
Thomas Kern/swissinfo.ch

«Gleich nach meinem Abschluss an der Kunstgewerbeschule fuhr ich 1951 nach Paris. Ich wollte Maler sein und ich wollte mich weiterbilden an der Ecole des Beaux-Arts in Paris. Mit meiner Vorbildung aus Zürich war ich aber auch prädestiniert für die Gebrauchsgrafik. Kaum war ich an der Schule begann ich damit Aufträge auszuführen, erst für befreundete Künstler, Galerien.» Später gestaltete Knapp mehrere Pavillons für die Weltausstellung in Brüssel 1958.

Im Gespräch ist er aufmerksam und zuvorkommend. Seine Präsenz ist einnehmend, seine Augen wandern, der Blick ist wach, sein Schritt noch immer geschmeidig. Sein Interesse für die Welt draussen ist ungebrochen. Nur einmal, ganz kurz macht sich sein wahres Alter bemerkbar – er ist Jahrgang 1931, als er sich in einem Nebensatz diskret dafür entschuldigt, nicht mehr so gut zu hören.

Peter Knapp Helene Lazareff
Peter Knapp zusammen mit Hélène Lazareff, Chefredaktorin von Elle und einer weiteren Mitarbeiterin. zVg Peter Knapp

Auch wenn er sich immer wieder der Fotografie bediente, so blieb er der Zeichnung als Ausgangspunkt seines kreativen Prozesses treu. Als 17-jähriger kaufte er sich ein Buch von Leonardo da Vinci. An den Titel könne er sich nicht mehr erinnern, aber ein Satz daraus hat ihn sein ganzes Leben begleitet: «Eine Idee ist keine Idee, bis sie gezeichnet ist.»

Die Ausstellung in Winterthur baut auf einer früheren Schenkung des Künstlers an die Fotostiftung auf. Diese Schenkung umfasst 15 Kartons gefüllt mit Bildern, Originalabzügen seiner Fotografien, Layoutskizzen und Dokumenten, hauptsächlich aus seiner Zeit bei Elle und den darauffolgenden Jahren, von 1965 bis 1985, in denen er als Modefotograf arbeitete.

Während eines Rundgangs entlang der Bilder bleibt Peter Knapp vor einer grossformatigen Fotografie stehen. Es handelt sich um die Reproduktion einer Doppelseite aus Elle von 1965, auf die er, wie er sogleich anmerkt, besonders stolz ist. «Mit diesem Bild war ich wirklich am Puls der Zeit. Ich benutzte dafür eine Paillard 16mm-Filmkamera. Ich wollte die natürliche Bewegung der Modelle auflösen in viele Einzelbilder. Zu der Zeit gab es noch keine Fotokameras mit motorisiertem Aufzug. Ich liess die Modelle dreimal eine Treppe hinabsteigen und filmte diese kurze Sequenz. Das ergab sofort mehrere Hundert Bilder. Es ist so ganz unmöglich das einzelne Bild zu kontrollieren – die Entscheidung verschiebt sich also auf den Auswahlprozess auf dem Leuchtpult.»

Ich spreche ihn auf ein früheres Interview aus Anlass der Verleihung des Schweizer Design Awards 2021 an und frage ihn nach seinem «Motor»: Was treibt ihn als heute 91 Jahre jährigen Mann weiterhin an?

«Ich bin in der Schweiz, vor allem aber bin ich protestantisch erzogen worden. Die Bedeutung und Ernsthaftigkeit gegenüber der Arbeit in der Schweiz kann dem Leben, dem Savoir Vivre, schon etwas zusetzen. Unter dem Strich lebe ich doch lieber in Frankreich. Tatsächlich pendle ich aber seit vielen Jahren hin und her zwischen den beiden Ländern. Wenn mir die Leute in der Schweiz im Dorf begegnen, fragen sie mich: Sind sie in den Ferien? Als Antwort sage ich: Ja. In Wahrheit bin ich stets irgendwie am Arbeiten. Oder befinde ich mich tatsächlich in den Ferien? Das hängt wohl von der Betrachtungsweise ab.»

Die Ausstellung «Mon temps»Externer Link in den Räumen der Fotostiftung Schweiz in Winterthur ist noch bis am 12. Februar geöffnet.

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