
Helvetisches auf balkanischem Teller (4)

Die mittel- und südosteuropäische Küche hat im Gegensatz zur französischen und italienischen die Schweizer Esssitten bisher nur wenig beeinflusst.
Und wie steht es umgekehrt? Hinterlassen Schweizerische Koch-Gepflogenheiten über die Festtage Spuren in Südosteuropas Küchen?
Hunderttausende von Mittel- und Südosteuropäern leben in der Schweiz. Längst sind sie mit dem kulinarischen Alltag, von Aromat über Betty Bossi bis Gault Millau, vertraut.
Doch die Festtage verbringen viele dieser eingebürgerten Schweizer aus Südosteuropa mit ihren Familien im Herkunftsland. Und bei Festessen zeigt es sich, ob ihre kulinarische Integration schon erste Blüten bis in ihre alten Stammlande treibt.
In der Schweiz sind die früheren aufwändigen Weihnachtsmenüs längst durch kinderfreundliche und einfacher zuzubereitende Speisen wie Fondue chinoise oder bourgignonne ersetzt worden.
In den neuen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens hingegen gibt man sich weiterhin konventionell – besonders über die Festtage.
In Zagreb, der Hauptstadt Kroatiens, sei dünn geschnittenes Fleisch à la Carpaccio fürs Fondue bourguignonne kaum aufzutreiben, sagt Helena Denac, Auslandschweizerin mit kroatischen Wurzeln. «Raclette würde ich gern essen, finde aber unter all den hier angebotenen Schweizer Käsen ausgerechnet den passenden Schmelzkäse nicht.»
Belgrad: Delikatessen für die Elite
Viele Schweizer Käse gibt es auch in Belgrad in Serbien. «Und auch noch frische Käsefondue-Mischungen dazu», sagt die Zahnärztin Maja Kapor aus Opfikon. Zu finden sind sie in einem Delikatessenladen, sogar inklusive Schweizer Weinen.
Wenig Schweizerisches gebe es jedoch in den Restaurants der Hauptstadt Serbiens: «Höchstens Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti. Da Fleisch aber ohnehin häufig geschnetzelt zubereitet wird, tönt es aus der Sicht des Küchenchefs besser, das Gericht als «Zürcher Geschnetzeltes» etwas höher zu stufen!»
Schon Hühnersuppe wird als fleischlos erachtet
«Fondue ist vor allem etwas für Kinder», urteilt Osman Besic, Basler aus Bosnien, und als Vegetarier unter den Muslimen ein Exot: «Ich nehme viel aus der Schweiz mit, wenn ich meine Familie besuchen gehe. In den Restaurants dort verpflege ich mich mit den ausgezeichneten Beilagen. Es macht meist wenig Sinn, nach vegetarischen Menus zu fragen.»
Für viele Bosnier (und Herzegowiner) sei bereits Hühnersuppe eine Art Vegetarismus, meint er. Viele Südosteuropäer würden ausserdem gerne kulinarisch überborden, wenn sie heimkämen. In der Schweiz gehöre ja eine gewisse Zurückhaltung beim Essen zum guten Ton. «Aber zu Hause kann man sich dafür ungeniert gehen lassen und sinnlos zuschlagen.»
Raclette: Sowohl koscher als auch halal
Dobrila Gelbhaus, die mit ihrem Mann während vielen Jahren das jüdische Altersheim in Lengnau (AG) betreut hat, schätzt Raclette als ein äusserst praktisches Präsent für Besuche in Bosnien: «Man kann es allen mitbringen, wie Schokolade. Es hält den koscheren Geboten für Juden stand, und es ist auch für Muslime, die die Halal-Regeln beachten, kein Problem. Inklusive den kleinen Maiskölbchen und den weissen Zwiebeln, die dazu gereicht werden.»
«Der Kaffee aus der Schweiz wäre eigentlich auch besser», so Gelbhaus. «Aber die Südosteuropäer sind sich an eine andere Röstung gewöhnt. So nehme ich eben Nescafé und Teesorten mit.»
Pralinées als Bresche in Bajramfest-Tradition
Eine Bresche jedoch schlage die Schweiz in das sehr konventionelle muslimische Essen, sagt Besic: Das Spektrum der Süssigkeiten für den Bajram-Feiertag lasse sich besser durchbrechen als die oft festgefahrenen Speisezettel über die Festtage. Da fänden zum Beispiel Schweizer Pralinées grossen Zuspruch, Tradition hin oder her.
Südosteuropäer reagieren also ähnlich wie Auslandschweizer: Wenn letztere wieder mal zu Hause sind, ziehen auch sie die althergebrachte Bratwurst oft den kulinarischen Neuheiten vor.
«Röschtigraben Ost» und Würz-Generikum «Vegeta»
Stevo Karanpandza, einer der bekanntesten Südost-Gastroprofis, gibt sich keinen Illusionen hin: «In Kroatien kann ich den Leuten problemlos Rösti mit überbackenem Käse und Speck servieren. Sie essen das liebend gerne. Aber nur wenigen kommt es in den Sinn, das Rezept nachzukochen.»
Karapandza, eine Art balkanischer Betty Bossi, ist Symbol für die Würzmischung «Vegeta», mit der das Unternehmen Podravka die sozialistische Hausfrauen-Küche emanzipierte. Seit den 70er-Jahren belebt «Vegeta», eine gastroregional angepasste Version des Aromats, die Küchen von der Türkei bis Triest.
Seit dem Krieg haben Einwanderer aus dem Balkan gewisse Lebensmittel aus ihrer Heimat auch in der Schweiz bekannt gemacht. Auch «Vegeta» ist inzwischen sehr verbreitet.
Karapandza, der ebenfalls in die Schweiz gezogen und als Gastronom in Ennetbaden tätig ist, macht einen Unterschied zwischen der Deutschschweizer Küche und jener der Romandie.
«Westschweizer Küche bahnt sich als gepflegte französische Cuisine ihren Weg auch in Kroatien. Dort brät heute der Küchenchef im Gault-Millau-Restaurant die Ente ebenfalls saignant, und die Gäste essen sie mit Genuss.»
Kaum seien die Leute aber wieder bei sich zu Hause, so müsse die Hausfrau die Ente im Ofen wie immer ganz durchbraten und obligat Rotkraut dazu servieren.
swissinfo, Alexander Künzle
Südost-Europäer in der Schweiz (2006 laut Ausländerstatistik):
191’000 Serben (inkl. Kosovo-Albaner)
60’000 Makedonier (vor allem Albaner)
40’000 Bosnier/Herzegowiner
39’000 Kroaten
74’000 Türken
Dazu kommen zahlreiche Eingebürgerte.
Wie feiern Schweizerinnen und Schweizer im Ausland Weihnachten? Was kommt bei ihnen auf den Festtagstisch?
swissinfo berichtet dazu in einer losen Serie aus verschiedenen Regionen der Welt.
Besondere Resistenz gegen äussere kulinarische Einflüsse zeigt Dalmatien. Ähnlich wie den Italienern liegt den Bewohnern der Küste die kontinentale Schweizer Küche aus Prinzip fern.
Stark hat sich in den letzten 20 Jahren die mediterrane Küche in der Schweiz etabliert. Im Gegensatz dazu konnten sich am Meer schwere Käsegerichte, leichter Weisswein oder in Butter geschmorte Gerichte mit Rahmsösschen kaum festsetzen.
Über die Feiertage nicht wegzudenken ist an der Küste das Fischgericht Bakalar. Den luftgetrockneten Dorsch aus dem Atlantik hatten die Venezianer vor einem halben Jahrtausend nach Dalmatien gebracht.
Sein starker Geruch kann es mit dem würzigen Duft des Käsefondues durchaus aufnehmen. Küsten- und Inselbewohner sind süchtig danach, die Leute im Landesinnern jedoch lieben weder das eine noch das andere.
Kulinarisch-gastronomisch führt die Schweiz auf verschiedenen Ebenen aus:
Verarbeitete Nahrungsmittel von Marken-Produzenten:
Süssigkeiten: Schokolade, Kaffee, Confiserie, Glacé, Bonbons. Bekannte Namen sind: Linth & Sprüngli, Nescafé, Ricola.
Käsearten: Diese werden zwar meist ebenfalls industriell hergestellt, aber meist unter der Herkunftsbezeichnung verkauft (Emmentaler, Gruyère, Sbrinz, Appenzeller, etc.). Käsehersteller: Emmi, Cremo, Elsa; 800 gewerbliche Molkereien. Neu ist der Export auch von Milchprodukten wie Caffe Latte.
Suppenwürfel wie Maggi, oder Gewürze wie Aromat sind keine gewichtigen Imageträger mehr.
Toblerone, Mövenpick oder Knorr sind Brands mit Schweizer Appeal, aber in ausländischem Besitz.
Küchentechnik und Zubereitung:
Die Schweiz war Pionier beim Dampf- und Schnellkochtopf (Duromatic von Kuhn-Rikon wurde gegen 10-Mio. Stück verkauft). Grossküchen-Produzenten wie Franke beliefern McDonalds.
Kaffeemaschinen verschiedener Hersteller wie Jura und die Nespresso-Portionierung finden weltweit Verwendung.
Die traditionellen Rechauds für verschieden Fondue-Arten aus Kupfer sind am Verschwinden und machen modernem Design Platz.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch